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Titelthema
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Mit dem neuen Herzen leben
I
m vergangenen Jahr erhielten in Heidelberg 23 Patienten ein neues Herz, deutschlandweit waren es 320.
Doch wie sieht die medizinische Nachsorge nach einer Herztransplantation aus? Der KlinikTicker hat
sich in der Herztransplantationsambulanz der kardiologischen Klinik kundig gemacht. Dort werden un-
ter der Leitung von PD Dr. Andreas Dösch und Dr. Philipp Ehlermann etwa 600 Patienten betreut, denen in
den letzten Jahren ein neues Herz eingepflanzt wurde – darunter auch Patienten, deren Operation bereits
lange Jahre zurückliegt.
DAS EXPERTENTEAM DER HERZTRANSPLANTATIONS-AMBULANZ SORGT FÜR EINE
INDIVIDUELLE, LEBENSLÄNGLICHE BETREUUNG DER PATIENTEN
Unmittelbar nach der Transplantation
In den Tagen nach der Transplantation wird der Patient
intensivmedizinisch betreut und im Hinblick auf Funk-
tionsfähigkeit und Pumpleistung des neuen Herzens
engmaschig überprüft. Damit die Körperabwehr das
fremde Organ nicht abstößt, erhalten die Patienten
Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems.
Dadurch ist jedoch auch die Infektionsanfälligkeit
erhöht. Dr. Dösch: „In der Frühphase nach einer Trans-
plantation stellen Infektionen die größte Gefahr dar.
Deshalb ist das Einhalten strenger Hygienestandards
und einer optimierten Immunsuppression besonders
wichtig.“
Abstoßungsreaktion verhindern
In den vergangenen Jahren wurden auf dem Gebiet der
Immunsuppression erhebliche Fortschritte erzielt, so
dass heute Abstoßungsepisoden seltener auftreten.
„Symptome einer Abstoßung sind meist unspezifisch
und können sich durch Herzrhythmusstörungen, Leis-
tungsschwäche und ein allgemeines Krankheitsgefühl
äußern“, berichtet Dr. Dösch. Zur Sicherung der Diag-
nose kommen Ultraschall und Herzmuskelbiopsie in
Frage. ImRahmen von Studien finden derzeit Genanaly-
sen Anwendung, die mit einer einfachen Blutuntersu-
chung durchführbar sind. Erst bei einementsprechenden
Wert folgen weitere den Patienten belastende Untersu-
chungen. So können zukünftig invasive Eingriffe wie
z.B. eine Herzmuskelbiopsie verhindert werden.
Überleben des Organs sichern
Von 100 Patienten mit einem neuen Herzen leben nach
einem Jahr noch 80, die Überlebensrate beträgt nach
fünf Jahren 70 Prozent. ImLangzeitverlauf ist vor allem
die Transplantatvaskulopathie gefürchtet, eine häufig
schnell voranschreitendeFormder koronarenHerzkrank
heit, bei der sich Fett- und Kalkpartikel in den Herz-
kranzgefäßen ablagern. Neben einer optimalen Medi-
kation erhalten die Patienten in regelmäßigen Abstän-
den eine Herzkatheter-Untersuchung, damit kleinste
Veränderungen der Herzkranzgefäße bereits frühzeitig
erkannt werden können. Ergänzend kommenMRT-Unter
suchung bzw. intravaskulärer Ultraschall zumEinsatz.
Immunsuppression lebenslang
In den ersten Wochen werden die Medikamente – zum
Einsatz kommt meist eine duale Immunsuppression in
Verbindung mit Steroiden – hoch dosiert eingesetzt, um
eine frühe Abstoßungsreaktion zu verhindern. Später
müssen Zusammenstellung und Dosis der Medikamente
individuell neu abgestimmt und regelmäßig überprüft
werden. Dr. Dösch: „Einerseits muss die Organabstoß-
ung verhindert werden, andererseits gilt es, die Abwehr-
fähigkeit des Organismus bestmöglich aufrechtzuer-
halten, umdie Nebenwirkungen durch ein geschwächtes
Immunsystem zu reduzieren.“ Deshalb werden Medika-
mente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen kom-
biniert. Häufige Nebenwirkung immunsuppressiver
Behandlung sind Tumorerkrankungen, die sich meist
erst nach Jahren entwickeln. Nehmen die Patienten
noch andereMedikamente ein, besteht die große Gefahr
von Wechselwirkungen und einer unkontrollierten Ver-
änderung der Blutspiegel. „Jedes zusätzliche Medika-
ment, das der Patient einnehmen will oder muss, darf
nur in Rücksprache mit uns erfolgen ", so Dr. Dösch.
Ernährung
Eine spezielle Diät für Transplantierte gibt es nicht.
Vorsicht ist allerdings bei Rohmilchprodukten und Säf-
ten mit einem hohen Gehalt an Fruchtsäuren geboten.
Dies gilt besonders für Grapefruitsaft, auf dessen
Genuss aufgrund von Interaktionen mit verschiedenen
Immunsuppressiva unbedingt verzichtet werden muss.
Körperliche Belastungen und Sport
Viele Patienten genießen es, nach ihrer Operation wie-
der körperlich aktiv werden zu können. Sport ist kein
Tabu, sondern hilft, neue Energie aufzubauen und den
gesamten Gesundheitszustand positiv zu beeinflussen.
Ausdauersportarten wie Radfahren, Walking oder
Schwimmen sind besonders geeignet, während Sportar-
tenmit hohemVerletzungsrisiko (Fußball, Handball etc.)
oder Kraftsportarten nur eingeschränkt zu empfehlen
sind.
Psychologische Betreuung
Aufgrund ihrer schweren Erkrankung konnten viele
Patienten vor der Transplantation jahrelang nur einge-
schränkt am Alltagsleben teilhaben. Neben den körper-
lichen Beeinträchtigungen gehörten Ungewissheit,
Verlustängste, Hoffen und Bangen zu ihremAlltag. Auch
nach der Transplantation werden diese psychischen
Belastungen nicht sofort verschwinden. Nachwie vor ist
das Bewusstsein, auf ein fremdes Organ und lebenslang
auf Medikamente angewiesen zu sein, präsent. Am Kli-
nikum gibt es daher eine gut eingespielte Zusammen
arbeit mit der Psychokardiologischen Ambulanz, um
Patienten und Angehörige vor und nach der Transplan-
tation zu unterstützen. Besonders stolz ist Dr. Dösch auf
die Herztransplantation Südwest, das langjährig etab-
lierte Selbsthilfenetzwerk der Herztransplantationspa-
tienten amUniversitätsklinikumHeidelberg.
Langzeitprognose
Knapp 40 Jahre nach der ersten Herztransplantation
sindweltweit etwa 35.000Herzen erfolgreich verpflanzt
worden. Die medizinische Nachsorge ist ein wichtiger
Erfolgsfaktor. Dr. Dösch: „Entscheidend ist eine auf den
Patienten abgestimmte Behandlung aus einer Hand, wie
sie nur in einemZentrumwie amHeidelberger Klinikum
gewährleistet werden kann, in demMediziner verschie-
dener Fachbereiche interdisziplinär zusammen arbeiten.“
So lassen sich kleinste Auffälligkeiten schnell entdecken,
beurteilen und umgehend therapieren – zumWohle des
Patienten und für ein langes Leben mit dem neuen
Organ.
–cf
Die Patienten
beginnen bereits nach
der Herztransplanta-
tion mit moderatem
Ausdauersport.
Während der
Rehabilitation und
später zu Hause lernen
sie, die Belastung nach
und nach zu steigern.
Besonders geeignet
sind Ausdauersportar-
ten wie Radfahren,
Walking oder
Schwimmen.