Seite 34-35 - KLINIKTICKER 01

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Titelthema
Titelthema
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Schies:
Als Faustformel rechnen wir auf die Klemmzeit - das ist
die Zeit, in der die Aorta abgeklemmt ist - ein Drittel Wieder-
durchblutungszeit, in der die HLM allmählich zurückgefahren
wird und das neueHerz die Arbeit schrittweisewieder übernimmt.
Das Kommando „Aorta auf“, also der Beginn der Übergangsphase,
als sich Ellens neues Herz wieder mit Blut füllte, war um4:09 Uhr.
Gottfried:
Ich hatte den Wecker auf acht Uhr gestellt. Um halb
neun rief ich in der Klinik an, doch es gab keine Neuigkeiten. Als
ich eine Stunde später wieder anrief, hieß es plötzlich, die Opera-
tion sei gut verlaufen, aber mehr könne man noch nicht sagen und
nachher werde sich der Arzt bei uns melden.
Dr. Tochtermann:
Ich ging auf die Intensivstation zu
Ellen. Da es niemanden gibt, der das Organsystem bes-
ser kennt als der operierende Arzt, bietet es sich an, dass
er in den ersten Stunden nach dem Eingriff auch nach
ihm sieht. Zwar kennt der Intensivarzt den Patienten
nicht so gut wie ich, aber er ist neutral, frisch - während
ich nach so einer Operation natürlich Emotionen habe:
Die Anspannung fällt ab, ich bin erleichtert. Er und ich -
wir sind in dieser Phase eine ideale Kombination, um
Entscheidungen zu treffen. Die Anspannung, die Konzen­
tration sind ja nicht schlagartig weg. Der große Schritt,
auf den alles hinfieberte, ist getan, es ist gutgegangen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich bei Ellen blieb und ob
ich dann gleich nach Hause ging. Aber formal hatte ich
Feierabend, als ich sah, dass Ellens Zustand stabil blieb.
Ellen:
Die erste Erinnerung, die ich habe - das war ein
rundes Fenster, eingelassen in eine Tür. Daran huschten
pausenlos Gesichter vorbei, schauten herein, winkten
freundlich zu mir, verzerrt, wie hinter dem Glas eines
runden Aquariums. Und ich habe natürlich permanent
lächelnd zurück gewunken. Gefühlt habe ich erst mal
einen ganzen Tag lang nur gewunken. Wie lange ich
dann brauchte, um klar zu werden, weiß ich nicht. Es
muss erst am nächsten Tag gewesen sein.
Prof. Ruhparwar:
Ich hatte Ellen die ganze Zeit über
betreut. Nur ausgerechnet an dem Tag, als sie endlich
ihr neues Herz bekam, war ich nicht da. Dass sie sich so
erstaunlich schnell erholte, lag aber auch an demKunst­
herz, das sie vorher getragen hatte. Dadurch hattenLeber
und Niere Zeit gehabt, sich wieder zu regenerieren. Sie
ging in einem physisch recht fitten Zustand in die Ope-
ration und kam so auchwieder heraus. Patienten, für die
kurzfristig ein Spenderorgan gefunden wird, tun sich da
oft schwerer.
Thomas:
Am Dienstag fuhr ich dann auch mit den Kin-
dern in die Uniklinik, Ellen war noch benommen, aber
sie war da, stellte Fragen, welcher Tag sei. Ich fühlte
mich unendlich erleichtert. Ich dachte, den Rest, den
schaffen wir jetzt auch.
Häfner:
Über ein halbes Jahr hatte Ellen von uns jeden
Morgen die gleichen Fragen gehört: Wie fühlen Sie sich,
haben Sie gut geschlafen? Ich glaube, zuletzt konnte sie
es nicht mehr hören. Aber ich habe sie das auch nie wie-
der gefragt.
Dr. Tochtermann:
Und dannbegann
Ellens neuesHerz zu schlagen. Ohne
unser Zutun. Einfach durch den
mechanischen Reiz des warmen
Blutes von Ellen, das die Konservie-
rungslösung herauswusch und es
füllte. Nur selten kommt es vor, dass
wir ihm einen Stromstoß geben
müssen.
Dr. Schmack:
Ich war noch geblie-
ben und hatte Frau Dr. Tochtermann
assistiert. Der Moment, in dem das
Herz wieder schlägt, ist auch nach
vielen Operationen immer noch ein
eindrucksvoller Moment.
Schies:
Ich drosselte vorsichtig die
Leistung der HLM, weniger Blut zir-
kulierte durch die Maschine, und da
Venen und Aorta nun nicht mehr
abgeklemmtwaren, nahmes also den
organischenWeg durch das Herz. In
dieser Phase beobachten wir alle
die Herzkurve ganz genau, Frau Dr.
Tochter­mann sagte: „Füllmalmehr!“
- und so, Schritt für Schritt, drosselte
ich die Leistung der HLM. Dann
nahm Frau Dr. Tochtermann die
erste Kanüle aus der unteren Hohl-
vene. Wieder sahen wir auf die Herz-
kurve. Und dann sagte Frau Dr.
Tochtermann: „Jetzt gehen wir ab.“
Um 5:49 Uhr hatte ich die HLM voll-
ständig heruntergefahren, die venöse Drossel war zu. Ich sagte:
„Maschine steht.“ EllensHerz hatte seinen neuen Job übernommen.
Dr. Tochtermann:
Das verwachsene Gewebe, das wir beimLösen
des Kunstherzens durchtrennt hatten, ist teilweise mit winzigen
Blutgefäßen durchzogen. Ich musste daher sehr sorgfältig prüfen,
dass es keine Stelle mehr gab, an der noch von Pulsschlag zu Puls-
schlag Blut hervortritt. Erst als ich nach mehrfachem Checken
sah, dass Ellens Brustkorb trocken blieb, alle Blutungen gestillt
waren, konnte ich darangehen, ihn wieder zu verschließen.
Dr. Tochtermann:
Es gibt eigentlich
nur einenUnterschied zwischendem
eigenen und einem transplantierten
Herz. Bei der Operation durchtren-
nen wir auch die Nerven im Bereich
der Gefäße, so dass dieser Kommu-
nikationsweg verlorengeht. Das neue
Herz wird also nur über die Substan-
zen im Blut gesteuert. Erregungszu-
stände - das Herzklopfen, wennman
verliebt ist oder sich erschreckt -
können unter Umständen etwas
verzögert sein, weil das nun nicht
mehr über die Nerven erfolgt, son-
dern allein über die Stoffe, die das
Gehirn ausschüttet. Die Operation
war um10:10Uhr beendet.Während
der Assistenzarzt die Haut vernähte
und der Anästhesist alles für den
Transport auf die Intensivstation
fertigmachte, ging ich nach nebenan,
zog meinen OP-Kittel aus und rief
zuerst Ellens Schwiegervater an.
Gottfried
: Etwa Viertel nach zehn
klingelte tatsächlich unser Telefon,
und eine Ärztinwar amApparat. Sie
meinte, dass Ellen stabil sei und nun
auf der Intensivstation liege. Da
mochte ich nicht mehr warten und
habe sofort alle benachrichtigt, die
ich erreichen konnte. Thomas kam,
sofort nachdem er jemanden zur
Betreuung der Kinder gefunden
hatte, in die Klinik. Wir wollten
natürlich ebenfalls hin, dachten aber, das wäre - so kurz nach der
Operation - zu viel. Stattdessen öffnete ich zu Hause eine Flasche
Sekt und stieß mit meiner Frau an.
Thomas:
Die Kinder tobten gerade im Schlafzimmer herum, als
meinVater anrief. Siewaren so ins Spiel vertieft, dass sie zunächst
überhaupt nicht reagierten. Erst als ich sagte, dass Mama nun das
„Berlin Heart“ nicht mehr brauchen wird, begannen sie zu verste-
hen, dass sich das Blatt gewendet hatte.
Prof.Katus:
Am26. Juni 2012unterschrieb ichEllensEnt­-
lassungsbrief, gab ihr dieHand und entließ sie indieReha.
DieKinder:
Mama hat gesagt, sie bestellt einenUmzugs­
wagen. Denn wir haben ja einen Platz in ihrem Herz.
Und wenn ihr Herz rauskommt, dann ist ja auch der
Platz, den wir da haben, fort. Aber Mamas Herz war ja
ganz schwach. Mama hat gesagt, alles, was in ihrem
Herz von uns drin ist, kommt in den Umzugswagen, und
sie lässt es ins neue Herz bringen. Wir haben zuerst
nicht geglaubt, dass das geht. Aber es hat gestimmt, was
Mama gesagt hat.
*Namen geändert.
** Den Ort, an dem das Spenderherz abgeholt wurde, darf
nicht genannt werden, um zu vermeiden, dass Rück-
schlüsse auf den Spender möglich sind.
©Alle Rechte vorbehalten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.
Fotos: F.A.Z.-Fotos/Frank Röth
Wie danken der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für die
Genehmigung des Nachdrucks.
Die Geschichte einer Transplantation „Ein Herz für Ellen“
finden Sie auch im Internet-Portal der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung
http://tinyurl.com/einherzfuerellen