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„Achtung, wir beginnen jetzt mit der Bestrahlung“, sagt Sabine Kuhn zu dem
Patienten, der wenige Meter von ihr entfernt – getrennt durch einen gewun-
denen Gang und meterdicke Barytbetonmauern – auf dem Bestrahlungstisch
liegt. Er hat einen bösartigen Knochentumor (Chondrosarkom) im Bereich
der Schädelbasis, der schlecht auf herkömmliche Photonenbestrahlung an-
spricht. Doch seine Chancen auf Heilung sind gut: Am Universitätsklinikum
Heidelberg steht mit dem Ionenstrahl-Therapiezentrum weltweit die erste
Anlage an einer Klinik, an der Patienten mit Protonen und Kohlenstoffionen
bestrahlt werden können. Diese Strahlen bilden ein scharf begrenztes Bün-
del mit nur minimaler seitlicher Streuung. Dort, wo die Ionen mit fast 75 Pro-
zent der Lichtgeschwindigkeit ihre zerstörerische Energie auf einen Schlag
an den Tumor abgeben, arbeitet Sabine Kuhn. Als MTRA-Gesamtleitung ist
sie für die Abteilung Radioonkologie und Strahlentherapie und das Ionen-
strahl-Therapiezentrum verantwortlich.
Ein Tischroboter bringt den Patienten in Position –
bis auf einen Millimeter genau
Erzählt Sabine Kuhn von ihrer Arbeit, leuchten ihre Augen. „Unsere Anlage
verfügt über ein Rasterscan-Verfahren, damit erzielen wir eine zuvor noch nie
erreichte Präzision in der dreidimensionalen Bestrahlung von Tumoren“, spru-
delt es aus ihr hervor. Hierfür muss der Patient allerdings immobilisiert (z.B. in
einer Thermoplastmaske) und genau positioniert werden – eine Aufgabe, die
Sabine Kuhn mit Hilfe eines Tischroboters übernimmt. „Damit bringen wir den
Patienten mit Präzisionen von unter einem Millimeter in die richtige Position.“
Eine exakte Bestrahlungsplanung im Vorfeld und robotergesteuerte, ortho-
gonale Röntgenaufnahmen direkt vor Bestrahlungsbeginn sorgen zusätzlich
dafür, dass der Therapiestrahl den Tumor zielgenau trifft, ohne dabei umlie-
gendes gesundes Gewebe und Risikoorgane zu zerstören.
Im HIT zu arbeiten ist für Sabine Kuhn äußerst reizvoll. „Innovationen in der
Medizin haben mich schon immer begeistert“, erzählt sie, „ich will dabei sein,
wenn Behandlungsmethoden im Interesse der Patienten weiter entwickelt
werden. Mein Beruf bietet keinen Stillstand, sondern fordert mich jeden Tag
aufs Neue.“
Das HIT im Steckbrief
Medizinischer Leiter:
Prof. Dr. Jürgen Debus
Technischer Leiter:
Prof. Dr. Thomas Haberer
Baubeginn / Eröffnung:
Mai 2004 / November 2009
Gesamtkosten:
119 Millionen Euro
Bestrahlungsplätze:
zwei Horizontal-
Plätze / ein Gantry-Platz
Eingesetzte Strahlung:
Ionenstrahlung
(Protonen und Schwerionen). Diese
gewährleistet die höchstmögliche
Präzision. Schwerionen haben eine
größere Zerstörungskraft als konven-
tionelle Photonen.
Bilanz nach zwei Jahren
Im November 2009 wurde das HIT
unter großer Beachtung der Öffentlich-
keit eröffnet. Am 15. November 2011
feierte das Klinikum das zweijährige
Bestehen – und zog eine äußerst posi-
tive Bilanz, und zwar aus medizinischer
als auch aus wirtschaftlicher Sicht: „Wir
konnten immer mehr Patienten mit sel-
tenen Tumoren behandeln, die von der
Behandlung besonders profitieren“,
so Prof. Dr. Jürgen Debus. „Außerdem
wurden klinische Studien begonnen,
die die Wirksamkeit der Ionenstrahlthe-
rapie bei häufigen Tumoren wie Pros-
tata- oder Lungenkrebs überprüfen.“
Zusätzlich laufen Forschungsprojekte,
die sich mit der Wechselwirkung der
Bestrahlung mit Schwerionen und
Protonen auf unterschiedliche Zellen
und Gewebe befassen. Auch wirtschaft-
lich haben die letzten beiden Jahren
gezeigt, dass eine Ionenstrahl-Thera-
pieanlage so betrieben werden kann,
dass Investitions- und laufende Kosten
gedeckt werden können. Basis des
soliden Businessplans sind die Verein-
barungen mit den Krankenkassen, die
ihren Mitgliedern einen Zugang zu der
Therapie ermöglichen. Für 2012 ist die
Bestrahlung des 1.000. Patienten sowie
die Inbetriebnahme der Gantry geplant.
„Mein Beruf fordert
mich jeden Tag
aufs Neue“