169
Jahresbericht 2010 – 2011
anhand spezifischer Merkmale charakterisiert. Diese
umfassen Selbsterneuerungspotential, Dif ferenzie-
rungspotential, Nachbildung des humanen Tumors
auf Mäusen und die Expression von spezif ischen
Ober f lächenmarkern, welche eine Aufreinigung der
Tumorstammzellen ermöglichen. Desweiteren f indet
man bei Tumorstammzellen des Pankreaskarzinoms
eine erhöhte Aktivität des Enzyms ALDH1, eine aus-
geprägte Resistenz gegenüber der Induktion des pro-
grammierten Zelltods, vermehrte Signaltransduktion
durch den NF-
κ
B Faktor und aktivierte Signalwege der
epithelialen-mesenchymalen Transition, welche mit
einer gesteigerten Zellbeweglichkeit und Wanderungs-
potential verbunden ist. Anhand dieser Marker haben
wir etablier te Zellen des Pankreaskarzinoms charak-
terisiert, welche in Petrischalen im Labor wachsen. Es
gab darunter Zellen die zu 95% Tumorstammzellcharak-
ter zeigten, aber auch Zellen mit weniger als 15% dieser
Marker. Letztere wuchsen weniger aggressiv. Wir konn-
ten jedoch durch mehrere Chemotherapie-Zyklen den
Tumorstammzell-Charakter dieser anfänglich weniger
aggressiven Zellen auf über 45% erhöhen. Desweiteren
haben wir die Tumorstammzellpopulation durch „FACS-
Sorting“ auf eine über 95% reine Population angerei-
cher t und direkt für Experimente eingesetzt. Ebenso
haben wir Tumorstammzellen direkt aus frisch operativ
entfernten Tumoren von Patienten durch serielle Trans-
plantation auf Mäusen unter Gemcitabin-Selektions-
druck angereichert. Aus den Xenograft-Tumoren haben
wir wiederum spheroidal-wachsende Tumorstammzell-
Kulturen in Petrischalen gezüchtet. Die hier dargestell-
ten Untersuchungen werden unterstützt durch Mittel
aus der Heidelberger Stiftung Chirurgie und Stiftungs-
mittel der Universität Heidelberg.
2. Bioaktive Stoffe aus Obst- und Gemüse zur Tumor-
prävention und Tumortherapie
Daten der Molekularen OnkoChirurgie zeigen, dass
Tumorstammzellen des Bauchspeicheldrüsenkrebs
sich mit einem speziellen Mechanismus vor toxischen
Angriffen schützen, dem NF-
κ
B-Stoffwechselweg, der
an der ausgeprägten Therapieresistenz des Pankre-
askarzinoms beteiligt ist. Brokkoli allerdings scheint
die Resistenz der Tumorstammzellen zu durchbrechen
und diese für die konventionelle Krebstherapie emp-
fänglich zu machen: das Gemüse enthält Sulforaphan,
welches NF-
κ
B blockier t und damit die gefährlichen
Zellen verwundbar macht. Aber nicht nur Brokkoli, son-
dern auch andere Mitglieder der Kreuzblütlerfamilie,
darunter die verschiedenen Kohlarten, Raps, Rettich,
Kresse, Rucola und Senf haben einen hohen Gehalt an
Sulforaphan und verwandten Stoffen. Wie andere Wis-
senschaftler gezeigt haben wirken diese Substanzen
auch gegen Entzündung und Infektionen. Außerdem
schützt Sulforaphan die Körperzellen vor Schäden im
Erbgut und leitet den Zelltod bei Zellen ein, die sich un-
kontrolliert teilen. Versuche der Arbeitsgruppe I. Herr
zeigen, dass Sulforaphan die Blutgefäßbildung im Tu-
mor und das Tumorwachstum hemmt, ohne Nebenwir-
kungen in Mäusen zu verursachen. Dies fand sich nicht
nur beim Pankreaskarzinom, sondern auch bei Zellen
des Prostatakarzinoms. Ebenso konnte Sulforaphan
die Wirkung des neuar tigen Krebsmedikaments So-
rafenib verstärken. Dieser Multi-Kinase-Hemmer wird
bei fortgeschrittenem Leber- und Nierenkrebs einge-
setzt, da er verglichen zu anderen Medikamenten le-
bensverlängernd wirkt. Das Team I. Herr fand heraus
dass Sorafenib auch bei Bauchspeicheldrüsenkrebs
wirksam ist: es zeigte sich, dass Sorafenib typische
Eigenschaften von Tumorstammzellen hemmt und das
Tumorwachstum stark reduziert. Dieser Effekt hielt al-
lerdings nur kurz an, und nach vier Wochen hatten sich
erneut kleine Kolonien der Tumorstammzellen gebildet,
die nun nicht mehr auf eine weitere Behandlung mit
dem Multi-Kinase-Inhibitor reagierten. Diese Resistenz
scheint wiederum mit NF-
κ
B zusammen zu hängen. Das
Team Molekulare OnkoChirurgie hat erstmalig gezeigt,
dass Sorafenib die Aktivität von NF-
κ
B erhöht, was
kontraproduktiv für die Wirksamkeit dieses neuen Me-
dikaments ist. Sulforaphan verhindert jedoch die Akti-
vierung des NF-
κ
B Signalwegs und macht dadurch die
Kombinationsbehandlung effizienter. Die Krebszellen
konnten keine Absiedelungen mehr bilden, die Meta-
stasierungsfähigkeit war in der Zellkultur komplett auf-
gehoben. Bemerkenswert ist, dass auch andere Pflan-
zeninhaltsstof fe eine Wirkung gegen pankreatische
Tumorstammzellen zeigen und der Effekt daher nicht
auf Gemüse der Kreuzblütlerfamilie beschränkt ist. Un-
ter anderem untersucht die Arbeitsgruppe den Effekt
des Polyphenols Quercetin, das ebenfalls in Brokkoli
vorkommt, aber auch in vielen weiteren Obst- und Ge-
müsesorten wie Äpfeln, Zwiebeln und Beeren enthal-
ten ist. Interessanterweise konnte die Kombination von
Sulforaphan mit Quercetin genau so gut Tumorstamm-
zellen im Labor und auf Mäusen eliminieren, wie die
Kombination von Sulforaphan mit Chemotherapie, So-
rafenib oder TRAIL. Diese Daten weisen auf Synergien
verschiedener Pf lanzeninhaltsstof fe bezüglich ihrer
therapeutischen Wirkung hin. Sie belegen die große
Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung mit viel
frischem Obst- und Gemüse zur Krebsvorbeugung und
begleitenden Behandlung von Tumorpatienten. Die hier
dargestellten Studien werden seit Anfang 2011 von der
Deutschen Krebshilfe gefördert.