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Feuilleton
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„Ich habe mir die Geschichte meiner
wundersamen Rettung selbst erzählt“
Wie empfinden schwerkranke Patienten, die auf ein Organ warten? Was machen sie während
der Wartezeit durch, wie erleben sie ihre Genesung auf der Intensiv- und Normalstation? Kann
die Rückkehr ins eigene Leben mit einem fremden Organ gelingen?
Wer all das erfahren möchte, und dies mit Liebe zummedizinisch korrekten Detail, dem sei die
Lektüre des Buches „Leben“ von David Wagner empfohlen. Das mit dem "Preis der Leipziger
Buchmesse" ausgezeichnetete Werk ist jedoch viel mehr: Es ist die Auseinandersetzung eines
großartigen Autors mit den wirklich wichtigen Fragen: Leben, Liebe und Tod.
„Alles war genau so und auch ganz anders.“ Mit dieser lapidaren Feststellung beginnt David
Wagner sein Buch „Leben“. Und was für ein Leben! Schon der Einstieg ist dramatisch: zwei Öso
phagus-Varizenblutungen, lange erwartet, denn der Autor ist seit seinem 13. Lebensjahr mit der
I
n seinem Buch „Leben“ schildert David Wagner beeindruckend und einfühlsam seine
Erlebnisse vor und nach seiner Lebertransplantation – voller Bewunderung und zu
gleich auch Irritation über den Klinikbetrieb
DavidWagner wurde 1971 in Andernach geboren und lebt heute in Berlin. Als Autor von Romanen, Erzählungen und Gedichten sowie feuilletonistischen Artikeln wurde er mehrfach
ausgezeichnet. 2008 wurde er in Berlin lebertransplantiert © Susanne Schleyer
Annette Tuffs:
Hat das Schreiben von „Leben“ Ihnen bei
demLeben mit dem neuen Organ geholfen?
David Wagner:
Ungefähr ein Jahr nach meiner Trans
plantation habe ich begonnen, mir selbst die Geschichte
dieser wundersamen Rettung zu erzählen – denn, ist es
nicht einWunder, dass einMensch, der eigentlich sterben
müsste, durch das Geschenk eines anderen überlebt?
Ich wollte mir dieses Wunder erzählen, um es zu verste
hen. An ein Buch habe ich da noch nicht gedacht. Habe
dann aber bemerkt, dass in dieser Geschichte etwas
steckt. Das eigentliche Schreiben des Buches hat dann
fünf Jahre gedauert. Hat es mir geholfen? Ja, sicher, es
hat geholfen. Es hat mich aber auch nicht wenig gequält,
denn so leicht, wie es sich nun liest, ist es mir nicht
gefallen...
AT:
Mit welchen Erwartungen sind Sie als Patient in die
Klinik gekommen?
DW:
Erwartungen? Ich war, glaube ich, nicht mehr in
einem Zustand, in dem man mit großen Erwartungen
insKrankenhaus kommt.Mirwurde geholfen, mirwurde
das Leben gerettet, mehrfach. Eine Universitätsklinik
ist ein sehr großer Betrieb – ich habe mich oft daran
erfreut, wie gut das alles funktioniert, obwohl da so
viele Menschen zusammenarbeiten. Ich war fasziniert
vonderOrganisation. Natürlichhabe ichmichmanchmal
auch geärgert, über irgend etwas – aber das passiert mir
anderswo, draußen, genauso. Meist ließ sich das anspre
chen. Ich war eigentlich immer (und bin es noch immer)
sehr dankbar, daß mir geholfen wurde. Daß solch ein
Aufwand ummich betrieben wurde. Selbstverständlich
ist das nicht.
AT:
Was empfehlen Sie Ärzten und Pflegekräften, die Men-
schen vor und nach einer Transplantation betreuen?
DW:
Informieren, informieren. Sprechen. Geschichten
erzählen. Keine übertriebenen Erwartungen wecken.
Behutsam auf die Fragen, die kommen werden, vorberei
ten. Es ist eine seltsame Sache, mit der Gabe, mit dem
Geschenk eines Toten zu überleben und selbst nicht zu
sterben. Vielleicht den Patienten darauf vorbereiten,
ihm eine Möglichkeit anbieten, wie er sich mit seinem
neuen Organ anfreunden kann – denn das muß er ja, auf
die ein oder andereWeise, oder?
Drei Fragen an
David Wagner
Diagnose Autoimmunhepatitis vertraut und von seinen Ärzten vorge
warnt. Seitdem ist er Dauergast in Berliner Arztpraxen und der dorti
gen Universitätsklinik, Meister im Austarieren der Nebenwirkungen
seiner Medikamente („Bin ich derselbe Mensch ohne Kortison?“).
Der erneuteKlinikaufenthalt bringt ihnzumSinnieren; dasAmmoniak
im Blut trübt den Blick und beflügelt gleichzeitig die Erinnerung. Ein
drücke auf der Station („das Krankenhaus ist ein Geschichtenhaus;
jeder Patient bringt eine mit“) mischen sich mit den Stationen des
eigenen Lebens, der Kindheit, dem Vagabundieren durch die ganze
Welt – trotz Krankheit – dem Studium, den Liebesbeziehungen.
Dann ist es unausweichlich: Nur eine Transplantation kann dieses
Leben retten. Er gibt die Einwilligung, empfindet die Situation gleich
wohl als absurd: „Wann, dachte ich, kann ein Mensch sich schon mit
einer Unterschrift für ein mögliches Weiterleben entscheiden?“
„Es ist eine seltsame Sache, mit dem Geschenk
eines Todes zu überleben und selbst nicht zu
sterben.“
DieWartezeit:Wagner sammelt TodesmeldungenausZeitungen; 66mal
schreibt er die Worte „ich warte“ und streitet dies doch vehement ab –
dann ist es so weit. Doch die Wegstrecke nach der Transplantation
erscheint fast noch länger und härter, geprägt von den Rückschlägen
einer beginnenden Abstoßung bis hin zu den quälenden Nebenwir
kungen der Medikamente. Am Ende zählt jedoch nur Eines: Zu Hause
wartet die kleine Tochter.
Warum strahlt diese Geschichte, die keiner harten Realität und
unschönen Erfahrung aus dem Wege geht, dennoch Zuversicht, ja
sogar Leichtigkeit aus? Es sind die Erzählkunst und die Wortgewalt
des Autors, der seine Erlebnisse in leicht verdauliche Portionen –
kostbare Momente und Erinnerungsstücke – verpackt hat, die den
Leser immer wieder ins Staunen versetzen.
Undwer Tag für Tag in der Klinik arbeitet, kann es genießen, dass sich
ein großer Autor einfühlsam des Themas Krankhaus-Alltag mit all
seinen Licht und Schattenseiten angenommen hat. Wann hätte man
schon von Gängen als „Bettenautobahnen“ und Desinfektionsmitteln
als „Krankenhausparfum“ gelesen?
–Annette Tuffs