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TITELTHEMA

derung, das ist etwas, was eigentlich nur die Medizinische Fakul-tät leisten kann. Die Studierenden sind das, was uns auszeichnet. Ich glaube, dass das zunehmend ins Bewusstsein der Mitglieder der Fakultät rückt.

Sicher müssen wir uns in der internationalen Selbstbehauptung mit Forschung in besonderer Weise proflieren. Wir möchten aber immer eine Art Synthese schaffen: Auch der hauptsächlich For-schende soll ein Stück lehren und wer sich in Lehre besonders engagiert, soll nicht ganz aus der Forschung aussteigen. Dies wird in Heidelberg auch so gelebt. Wenn wir nur Spezialisten hätten, würde das die Leistungsfähigkeit, die die Medizinische Fakultät auszeichnet, mindern.

Und wie funktioniert diese Trias im Alltag? Lässt der Klinikchef nicht doch die Lehre etwas hinten anstehen, wenn z.B. eine wich-tige Operation oder eine Veröffentlichung ansteht?

Das sind Einzelfallentscheidungen. Natürlich hat der Patient Vor-rang. Kommt ein Notfall, haben alle Studierenden Verständnis, dass sich z.B. eine Veranstaltung verschiebt oder sich der Lehren-de vertreten lässt. Damit ich aber gar nicht in die Notlage gerate, zwischen Klinik, Forschung und Lehre entscheiden zu müssen, müssen entsprechende Strukturen geschaffen werden. Solche Strukturen hat die Fakultät eingerichtet und darin viel Geld inve-stiert, z.B. in die Lehrkoordinatoren der einzelnen Fachbereiche. Ich glaube, um diese Strukturen beneiden uns viele Medizinische Fakultäten.

Sie sind Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Welches ist denn Ihre Lieblings-Lehrveranstaltung?

Für mich als Lehrender in meinem Fachgebiet die Sozietät Jaspers. Von der Neurophysiologie über die Biochemie einer Nervenzelle bis hin zu philosophischen Themen bieten wir den bis zu 70 teil-nehmenden Studierenden ein weites Themenfeld. Bei den Vorle-sungen entsteht oft ein ganz intensiver Dialog, sowohl zwischen den Professoren aus Grundlagenforschung oder Klinik, als auch zwischen den besonders interessierten Studierenden. Diese ha-ben sich z.B. anhand neuester Literatur vorbereitet und treten mit uns in Diskussion. Das sind ganz tolle Erlebnisse.

HeiCuMed wird von Studierenden auch regelmäßig bewertet. Ein Kritikpunkt ist, dass der Studiengang sehr verschult sei. Verschulung ist ein Thema bei Studierenden und Lehrenden, aber auch bei uns, die wir für das Curriculum verantwortlich sind. Zum Teil hat die Verschulung gesetzliche Grundlagen, z.B. als Prüf- und Anwesenheitspficht bei speziellen Veranstaltungen. Aber wir ha-ben die Spielräume, die uns bleiben, noch nicht ausreichend ge-nutzt. Dies möchten wir im Rahmen der Curriculumskommission, die ja von Klinikum und Fakultät sowie mit Vertretern der Studie-renden bestückt ist, verbessern. Zehn Jahre HeiCuMed heißt nicht, dass wir stehen bleiben. Wir haben kein fertiges Produkt, sondern entwickeln die Lehre stetig weiter. Die Studierenden sollen vor allem gegen Ende ihres Studiums mehr Zeit haben, ihren persön-lichen Interessen nachzugehen.

Das Interview führte Julia Bird

Was soll ein guter Arzt können?

Erst einmal sollte er natürlich den neuesten wissenschaftlichen Kenntnisstand und alle technischen Fertigkeiten besitzen, um Pa-tienten behandeln zu können. Aber er sollte auch in der Lage sein, sich in sie hineinzufühlen, die Tragik, das Leiden, die Auseinan-dersetzung mit Lebensplänen und dem Tod zu erkennen und den Patienten gegenüber eine menschliche Haltung zu entwickeln. Das Medizinstudium ist viel mehr als naturwissenschaftliche Kenntnisvermittlung. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenso grundlegend, und vor allem muss die menschliche Seite berücksichtigt werden.

Heidelberg ist als Studienstandort sehr beliebt. Sucht die Fakultät die richtigen Bewerber für Medizinstudium und Arztberuf aus? Das glaube ich. Wir haben in Heidelberg mit einem besonderen Auswahlverfahren dafür gesorgt, dass auch Abiturienten mit einer Note bis 2,3 noch eine Chance haben, wenn sie in anderen Krite-rien besonders gut sind. So prüft der Medizinertest z.B. kreatives Denken und problemlösendes Verhalten, aber auch persönliches Engagement im Rahmen einer entsprechenden Vorausbildung oder ein Preis im musischen Bereich fießen ein.

Wie können die jungen Menschen mit den hohen Anforderungen eines Medizinstudiums umgehen, mit Stress und Konkurrenz? Die Studierenden sind in der Regel sehr belastbar. Die, die z.B. Ängste vor Prüfungen entwickeln, müssen wir rechtzeitig erkennen und ihnen z.B. Hilfe in der Studienberatung anbieten. Die meisten Studierenden sind nicht primär auf Konkurrenz aus und unser Stu-dium ist auch so konzipiert, dass Kooperation eine wichtige Rolle spielt. Zukünftige Ärzte müssen immer in fächerübergreifenden Teams für den Patienten arbeiten.

Ein weiteres ganz zentrales Thema ist die Selbstfürsorge. Die jun-gen Menschen müssen Selbstfürsorge lernen, dürfen sich nicht völlig verausgaben und etwa in ein Arbeitsloch, Depressivität und totale Erschöpfung fallen. Gerade Menschen in helfenden Berufen müssen ein Stück Resilienz – also Toleranz – gegenüber Stressfak-toren entwickeln. Sie haben mit Krebskranken, sterbenden Kin-dern usw. zu tun. Zum Selbstfürsorgeaspekt gehören Kooperation,

Kreativität, Nebenwelten. Man muss zwischendurch auch mal etwas anderes machen. Hier haben wir mit dem unterrichts-freien Dienstagnachmittag ei-nen Rahmen geschaffen; die Angebote sind jedoch noch ausbaufähig.

Wie schaut es mit der Vorbild-funktion der Lehrenden aus? Die Vorbildwirkung darf man nicht unterschätzen. Ein ge-stresster, unzufriedener, in der Patientenarbeit, Verwal-tung, Forschung und Lehre zer-rissener Professor wäre ein schlechtes Vorbild. Wenn man sich in unserer Kollegenschaft umschaut, haben wir hier zahlreiche Vorbilder, die deut-lich machen, dass man auch

in der Vielfalt der Aufgaben trotzdem zufrieden sein kann. Sehr interessante Untersuchungen zeigen besondere Zufriedenheit bei den Menschen, die „high stress good copers“ sind: Sie können mit viel Belastung gut umgehen, erleben Stress nicht als wider-wärtig sondern als Herausforderung. Auch unsere besten Studie-renden sind oft solche Menschen, die zusätzlich zum Studium noch Interessen verfolgen. Ich denke, wer Universitätslehrer wer-den will, braucht in seinem Leben solch eine breitere Basis.

Bringt Erfolg in Klinik und Forschung immer noch mehr für die Kar-riere als ein hohes Engagement in der Lehre?

Ja, aber demmöchte ich entgegenhalten: Die Lehre ist der genuine Bestandteil der Medizinischen Fakultät. Forschen können auch andere Institutionen sehr gut. Patientenversorgung kann auch eine Reihe qualitätsgesicherter Krankenhäuser sehr gut. Aber: Diese Trias – Patientenversorgung, Forschung und Lehre - zu be-wältigen, die Synthese zu schaffen im Hinblick auf Nachwuchsför-

„Die Studierenden

sind das, was uns auszeichnet“

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