Seite 22-23 - KLINIKTICKER 01

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Titelthema
Titelthema
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Prof. Katus:
Ich kann verstehen, dass Ellen bei ihren
Kindern sein wollte. Gerade wenn man, unterstützt von
Medikamenten, das Gefühl hat, es geht ja noch, so
schlimm ist es gar nicht. Man kann den Verlauf einer
Krankheit aber nicht vorausplanen. Wir können jeman-
den als „hochdringlich“ einstufen, der vielleicht noch
etwas Zeit gehabt hätte; bei einem anderen hätte man es
vielleicht früher tun sollen, als es die Laborwerte uns
sagten - es gibt da einenGraubereich, in demdieEntschei­
dungen sehr schwierig sind.
Thomas, Ellens Ehemann:
Für die nächsten zwei Wochen war alles geplant. Die
Kinder hatten Ferien und fuhren mit Freunden zum
Campen. Ellen sollte ins Klinikum nach Heidelberg
zurückkehren, um sich für ein Spenderherz listen zu
lassen. Ich fuhr nach Bremen, um dort an einer klini-
schen Studie teilzunehmen. Ich leide unter RLS, dem
Restless-Legs-Syndrom, und in Bremen wurden neue
Behandlungsmethoden erforscht.
Dr. Michael Preusch, Stationsarzt der Kardiologie:
Anfang August kam Ellen zu uns in die Kardiologie
zurück, und wir nahmen sie stationär auf.
Thomas:
Ich telefonierte vonBremenaus jedenAbendmit
meiner Frau, doch amdrittenAbend konnte ich sie nicht
erreichen. Nachdemiches übermehrereStundenversucht
hatte, rief ich auf der Station an. Man wollte mir zuerst
nichts sagen, nur, dass Ellen auf die Intensivstation ver-
legt worden war.
Thomas:
Aus den Telefonaten mit der Intensivstation
erfuhr ich nur, dass Ellen einen Herzstillstand hatte,
nicht, wie es ihr ging oderweitereDetails. Ichbatmeinen
Vater, der in der Nähe Heidelbergs wohnt, nachzusehen.
Als er mich dann zurückrief, beruhigte er mich, dass sie
stabil sei. Aber zwei Tage später meinte er, es gehe ihr
wieder schlechter. Da hielt ich es einfach nicht mehr aus
und wollte bei meiner Frau sein. Das war am 12. August,
an einem Freitag, und ich sagte dem Studienleiter, ich
führe übers Wochenende zu meiner Frau. Zurückge-
kommen bin ich dann nicht mehr.
Ellen:
Ich wurde wieder wach; als ich die Augen auf-
machte, sah ich alles in einem lila Licht. Ummich herum
herrschte Aufregung, und vier Leute pressten mich auf
mein Bett. Dann ein dumpfer Schlag - ich dachte „Wow“,
und ein Arzt rief: „Morphium, ich brauch Morphium.“
Dann war alles wieder dunkel. Ich kann nicht einmal
sagen, ob es weh getan hat, als der Defibrillator aus-
schlug, den man mir zwei Jahre vorher implantiert
hatte. Mir hat einmal jemand erzählt, es fühle sich an,
als würde man vomPferd getreten. Doch ich habe keiner­
lei Erinnerungen anSchmerz. Auch nicht anAngst. Dazu
war ich wohl nie klar genug. Stattdessen erinnere ich
mich, dass ich einfachnur tiefeGeborgenheit empfunden
habe, eingekuschelt in ein schönes warmes, weiches Bett,
und von irgendwoher kam eine beruhigende Stimme.
Prof. Katus:
Ellens Herz pumpte nicht mehr gut genug,
so dass dieNierendasWasser nicht ausscheidenkonnten.
DasWasser sammelte sich in der Lunge und verursachte
Atemnot. Das ist eine schwierige Lage - wir wissen,
irgendwann kann das Herz so dekompensieren, dass wir
den Patienten nicht mehr stabilisieren können, dass wir
ihn verlieren. Aber wir können es auch nicht beschleuni-
gen, dass ein Spenderherz kommt. Irgendwann, so war
die Gefahr, würde Ellens Körper zu schwach sein, um
sie zu operieren.
Thomas:
Ich blieb die meiste Zeit des Wochenendes an
Ellens Bett. Ihr Zustand besserte sich, am Sonntagmor-
gen war sie sogar ansprechbar; es hieß, sie könne zurück
auf die Normalstation. Doch noch am gleichen Tag kam
die nächste Krise. Am 14. August sagten mir die Ärzte,
sie wüssten nicht, ob Ellen durchkommt.
Prof. Ruhparwar:
Am 18. August wurde Ellen bei
Eurotransplant als „hochdringlich“ gelistet.
Dr. Preusch:
Aber sie bekam einen Staphylokokken-In-
fekt – eine beginnende Sepsis. Landläufig kennt man das
als Blutvergiftung. Eine Operation in diesem Zustand
hätte sie nicht überlebt.
Prof. Ruhparwar:
Wir hatten keine Wahl, wir mussten
Ellen bei Eurotransplant als „nicht transplantabel“
melden.
Dr. Preusch:
Es ist bitter, aber auch das ist ein Grund,
warum nicht jeder Patient es schafft und die Wartezeit
überlebt, weil er in dem Moment, in dem dann endlich
ein Spenderherz da ist, nicht operiert werden kann.
Thomas:
Ich war noch nicht zu Hause gewesen, und
unsere Freunde, mit denen die Kinder campen waren,
brachten siemit demWohnwagendirekt nachHeidelberg.
Sie mussten einenMundschutz anziehen, wegen der Sep-
sis, dann konnten sie jeweils einzeln zu ihr. Sie konnten
nur am Bett stehen und ihre Mutter ansehen. Mehr war
nicht möglich. Diese Atmosphäre - das nahm sie ganz
schönmit. Aber in ein paar Tagen fing die Schule wieder
an, wir mussten jetzt zurück. Und ich musste es irgend-
wie schaffen, so etwas wie Alltag aufrechtzuerhalten.
Dr. Preusch:
Wir hatten Glück: Die Antibiotika griffen,
und wir konnten Ellen wieder in einen stabilen Zustand
bringen.
Dr. Philip Raake, Oberarzt der Kardiologie, Leiter
der Herzinsuffizienz-Wachstation:
Die Sepsis klang zwar ab, doch alles, was wir taten,
konnte nicht verhindern, dass es Ellen zunehmend
schlechter ging. Am 5. September legte ich einen Herz-
katheter, maß die Druckwerte und das Pumpvolumen.
Sie hatten sich dramatisch verschlechtert. Ich versuchte,
mit Ellen zu sprechen, aber sie war immer schlechter
ansprechbar, hatte blaue Lippen. Es stand Spitz auf
Knopf. Wir wussten, dass dieWartezeit auf ein Spender-
herz laut Statistik etwa 110 Tage betragen würde. Wir
mussten einen anderen Weg finden. Einen, um Ellen
mindestens noch 110 Tage am Leben zu halten. Am 6.
September bat ich Prof. Ruhparwar von der Chirurgie,
in die Kardiologie zu kommen.
Ellen:
Ich kam gerade vom Bad und wollte zurück in
mein Bett, als mir die Brust eng wurde und die Luft weg-
blieb. Den zwei Ärzten, die zufällig gerade zur Visite im
Zimmer waren, konnte ich noch sagen: Da stimmt was
nicht. Dann war ich weg, weiß die Dinge nur noch ver-
schwommen.
Dr. Preusch:
Am 9. August kam es bei Ellen zum ersten
Herzstillstand. Das heißt, Ellens krankes Herz schlug so
schnell, dass es nicht mehr genügend Blut in den Körper-
kreislauf pumpen konnte. Der Blutdruck fiel ab. Als ich
zu ihr kam, war sie bereits nicht mehr ansprechbar.
Ellen:
Ich erinnere mich nur noch an Bruchstücke, an
Schatten. Ich wurde kurz im Fahrstuhl wach, sah einen
der Ärzte hektisch telefonieren.
Dr. Preusch:
Ich fuhr mit ihr sofort runter auf die Inten-
sivstation, von unterwegs rief ich an, damit die Kollegen
ein Bett vorbereiteten. An einem gewissen Punkt, wenn
das kranke Herz so schnell schlägt, dass es kaum noch
eine Auswurfleistung hat und deshalb der Körper nicht
mehr mit Blut versorgt ist, sprechen wir von einer Form
des Herzstillstandes. Ellens Herz raste, aber sie hatte
praktisch keinen Blutdruck mehr. Wir mussten schnells­
tens dafür sorgen, dass ihre Organe durch den Sauer-
stoffmangel keinen Schaden erleiden. Dazu musste
zunächst der Blutdruck über einen arteriellen Katheter
überwacht werden, und sie brauchte dauerhaft kreis-
laufstabilisierendeMedikamente. Diese intensive Betreu­
ung kann auf Normalstation nicht mehr gewährleistet
werden.
Links: Thomas, Ellens
Ehemann
Rechts: Dr. Michael
Preusch, Stationsarzt
der Kardiologie
Dr. Philip Raake,
Oberarzt der
Kardiologie