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Titelthema
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Prof. Ruhparwar:
Wir sprachen die Daten durch, dann
gingen wir zusammen an Ellens Bett. Ich sah, sie war
kurzatmig, das Sprechen fiel ihr schwer. Es ist schwierig,
den richtigenZeitpunkt für eineOperation zu erwischen,
wenn es so auf der Kippe steht. Es gibt da keine eindeuti-
gen Grenzen, keine klinischen Standards. Es zählt dann
auch die Erfahrung der behandelnden Ärzte, um den
Moment abzupassen, wann ein Patient in dieser kriti-
schen Lage stabil genug ist, um ihn zu operieren - und
rechtzeitig, bevor es zu spät ist. Denn je länger dieser
Zustand dauert, desto schlechterwird die Prognose.Wir
waren uns einig, dass sie nur mit einemKunstherz über-
leben würde und dass wir jetzt, nachdem die Sepsis
abgeklungen war, auch handeln mussten. Am gleichen
Abend sprachen Dr. Raake und ich mit ihremMann.
Thomas:
Meine erste Reaktion war: Wir dürfen das auf
keinen Fall machen. Ein Kunstherz - das war nicht das,
was wir wollten. Wir wollten ein richtiges Herz. Ich
wusste, mit einemKunstherz würde Ellen von der Hoch-
dringlichkeitsliste genommen, und sie würde dann sehr
lange mit einer Notlösung leben müssen. Ich fragte Prof.
Ruhparwar, warum sie denn jetzt ein Kunstherz brau-
che. Er antwortete: weil sie sonst keine Chance hätte zu
überleben. Dieser Satz hat eigentlich gereicht. Was gibt
es da noch zu entscheiden? Ich hatte bis dahin gedacht,
in drei, vier Monaten - so heißt es ja überall - sei alles
überstanden. Jetzt ahnte ich, eswürde viel länger dauern.
Prof. Ruhparwar:
Die Wartezeiten, die man in Statisti-
ken liest, sindDurchschnittswerte. Am längstenwarten
Patientenmit der Blutgruppe null, auf derHochdringlich
keitsliste imMoment sechsMonate. „Hochdringlich“ ist
da ein Widerspruch in sich. Ellen hat die Blutgruppe A+,
die durchschnittliche Wartezeit für ihre Blutgruppe
wäre etwa vier Monate gewesen. Unsere Entscheidung
ist bei Patienten wie Ellen, die eigentlich ein Spender-
herz brauchten, folgende: Können wir es uns leisten,
noch länger zu warten, oder implantieren wir ein Kunst
herz? Auch wenn das sehr zuverlässige Geräte sind - mit
einem organischen Herz, das sich über Jahrmillionen
der Evolution entwickelt hat, sind die Überlebenschan-
cen am besten. Aber Tatsache ist: Vergangenes Jahr
wurden in Deutschland etwa 320 Herzen implantiert
und über 900 künstliche Systeme. Für die meisten Pati-
enten führt kein Weg daran vorbei, weil uns Spenderor-
gane fehlen.
Dr. Raake:
Am 8. September wurde Ellen in die Chirur-
gie verlegt.
Prof. Dr. Matthias Karck, Ärztlicher Direktor der
Chirurgie, der operierende Arzt:
Am 9. September operierten wir. Um 8:58 Uhr begannen
wir mit demEingriff. Der Hautschnitt muss exakt in der
Mitte des Brustbeins erfolgen, nur dann ist später eine
gute Heilung möglich. Wir verwenden dazu einen Elekt-
rokauter, eine Art „Hitzemesser“. Sein Vorteil ist, dass
das Gewebe sofort verödet und deshalb nicht blutet.
Dann öffnete ich mit einer speziellen Stichsäge das
Brustbein. Das dauerte etwa 20 Sekunden. Dann wurde
mit einem Spreizer der Brustkorb gedehnt, anschlie-
ßend öffnete ich den lederartigen Herzbeutel, der für die
Dauer der Operation mit Haltenähten am Brustbein
fixiert wird. Dann sah ich das Herz. Bis dahin ist das
leichter als bei mancher Bauchoperation. Ich brachte
nun die Kanülen für die Herz-Lungen-Maschine ein, die
Ellens Herz überbrückte. Anschließend konnte ich dar-
angehen, die Kanülen für das Kunstherz einzuführen.
Das Annähen der Kanülen muss sehr sorgfältig gesche-
hen, denn zwei Dinge dürfen nicht passieren: dass sich
Gewebeteile lösen und in den Blutkreislauf gelangen
oder dass Luft eintritt. Beides kann einen Schlaganfall
auslösen. Bei Ellen waren es vier Kanülen, da das
Kunstherz die Funktion beider Herzkammern überneh-
menmusste. Deshalb wählten wir auch ein sogenanntes
„Berlin Heart“.
Prof. Ruhparwar:
Ich vergleiche das „Berlin Heart“
gerne mit der Sojus-Rakete. Es ist eines der ältesten
Systeme, recht klobig, und es arbeitet pneumatisch. Die
hydraulische Pumpe ist in einem Rollwagen unterge-
bracht, den der Patient wie einen Trolley schieben oder
ziehen kann. Doch es ist sehr zuverlässig und effizient.
Wenn man ein Unterstützungssystem für beide Herz-
kammern braucht, wie bei Ellen, dann ist das immer
noch das beste, was wir haben.
Prof. Karck:
Nun legte ich vier ungefähr 1,2 cm lange
Schnitte knapp über dem Bauchnabel. Durch diese
Schnitte führte ich eine Schere ein und spreizte lang-
sam das Gewebe - jeweils auf einer Länge von etwa fünf
bis sechs Zentimetern. Auf diese Weise schafft man
die notwendigen Gewebekanäle für die Schläuche des
„BerlinHeart“. Siewerdenunter demBrustkorb hindurch
geführt und treten an der Stelle aus, wo die Schnitte
sind. Dort liegt später die Blutkammer des „BerlinHeart“
außen auf dem Bauch. Das hat, zumal die Blutkammer
aus Plexiglas besteht, einen Vorteil: Man kann mit einer
Taschenlampe darauf leuchten, und wenn sich Blutge-
rinnsel gebildet haben, sieht man das sofort. Ab jetzt
pumpte Ellens „BerlinHeart“ fünf Liter Blut proMinute,
und wir mussten uns zu 100 Prozent auf die Technik
verlassen. Die Herz-Lungen-Maschine wurde herunter-
gefahren, und ich entfernte die Kanülen aus der Aorta,
unterer undobererHohlvene. Dasmeistewar getan. Jetzt
nur noch die Haltenähte des Herzbeutels lösen und das
Brustbein wieder mit Drähten verschließen. Um 14:35
Uhr, nach fünfeinhalb Stunden, war der Eingriff been-
det. Nun übernahmen die Intensivärzte. Ich zog mich
umund kamdann nach. EineWeile blieb ich noch bei ihr.
Es war alles gut, ich spürte Erleichterung. Jetzt wollte
ich einen Kaffee trinken. Ellen schlief noch ungefähr
sechs bis acht Stunden. Dann war es wichtig zu sehen,
ob sie von selbst aufwachte, ansprechbar war. Wegen
des Beatmungsschlauchs konnte sie nicht sprechen.
Aber sie reagierte, als ich sie bat, meine Hand zu drü-
cken. Ein gutes Zeichen.
Thomas:
Ellen erholte sich gut von der Operation, aber
die Kinder konnten in dieser Zeit nicht zu ihr. Deshalb
habe ich ein Foto geschossen und es ihnen gezeigt und
viel erklärt. Dass Mamas Herz noch drin ist und nun
Hilfe von einer Maschine bekommt. Ich musste sie vor-
bereiten. Die Kinder hatten große Angst, mit Ellens Herz
würde auch ihr fester Platz, den sie darinhaben, verloren
gehen. Und selbst einen Erwachsenen kann es erschre-
cken, wennman so ein „BerlinHeart“ das ersteMal sieht.
Christoph Appelhoff, Leiter Station 7 der Chirurgie,
verantwortlich für die Pflegekräfte:
Ellen bin ich in den ersten Tagen nach der Operation auf
der Intensivstation begegnet. Da war die Hauptaufgabe,
ihren Kreislauf zu stabilisieren und dass sie wieder von
der künstlichen Beatmung wegkam. Das ging bei Ellen
sehr schnell, zwei Tage, dann konnten wir schon daran
arbeiten, wieder aufzustehen. Sie wollte das, machte flei-
ßig mit, wenn wir das Aufsetzen an der Bettkante übten.
Prof. Karck:
Das ist immer der Moment der größten
Erleichterung: Die Atmung ist wieder da, der Patient
spricht - jetzt kann man anfangen, wieder Pläne zu
schmieden. Es ist ein Etappensieg. Die Tour ist noch
nicht gewonnen. Die Patienten sind erst einmal runter
von der Hochdringlichkeitsliste, ihr Zustand ist nicht
mehr so kritisch. Die Realität der Transplantationsme-
dizin sieht indes so aus, dass es jetzt für Ellen wahr-
scheinlicher war, aufgrund von Komplikationen wieder
auf die Hochdringlichkeitsliste zu kommen, als ein
Spenderherz über die normale Liste zu finden.
Ellen:
Am 13. September wurde ich auf dieWachstation
der chirurgischen Klinik verlegt. Am nächsten Morgen
lernte ich Malu* kennen, die man zu mir aufs Zimmer
legte. Sie hatte gerade ein Spenderherz bekommen. Das
war natürlich interessant für mich, und das machte mir
Mut.
Appelhoff:
Wenn es sich einrichten lässt, legen wir Pati-
enten, die ein Spenderherz bekommen haben, nicht mit
Patienten zusammen, die auf eines warten. Ellen war
aber so umtriebig, dass sie es ohnehin mitbekam, wenn
jemand auf einer der Stationen, der 7a oder 7b, ein Herz
bekommen hatte.
Ellen:
Wegen Komplikationen wurde ich nochmals auf
die Intensivstation verlegt; als ich dann wieder zurück
in Malus Zimmer kam, freuten wir uns beide und feier-
ten spontan eine Bionade-Salzstangen-Party. Ich begann
sie zu necken, dass ich mit meinem „Berlin Heart“ im
Gepäck bestimmt schneller unterwegs wäre als sie mit
ihrem neuen Herz. Also haben wir ein Wettrennen
gemacht.
Christoph Appelhoff,
Leiter Station 7 der
Chirurgie