Seite 28-29 - KLINIKTICKER 01

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Titelthema
Titelthema
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Ellen:
In Heidelberg erwartete mich ein ganzes Emp-
fangskomitee, aber meine Blutwerte waren normal, und
man konnte nichts feststellen. Doch schon am nächsten
Tag, beim Verbandswechsel, entdeckte man, dass Flüs-
sigkeit aus einer der Bauchöffnungen lief.
Häfner:
Als Ellen zurückkam, war das eine Begrüßung,
als träfeman eine alte Bekannte wieder. Klar, man hätte
sich andere Umstände gewünscht.
Prof. Ruhparwar:
Wir machten eine CT, um zu sehen,
wie tief die Infektion ging, ob sie sich nur äußerlich gebil-
det hatte oder an den Schläuchen des „Berlin Heart“ ent-
lang nach innen wanderte. Sie ging zwar nicht tief, aber
wir bekamen sie nicht weg. Am 3. Februar wurde Ellen
auf der Liste für ein Spenderherz wieder als „hochdring-
lich“ eingestuft. In dieser Situation besteht die Gefahr,
dass solch eine zunächst lokale Entzündung auch im
Blut nachgewiesen wird. Dann kann man nicht mehr
transplantieren. Das heißt, es sollte jetzt schnell gehen,
und das begründete die Hochdringlichkeitslistung.
Ellen:
Das bedeutete auch, so schnell würde ich nicht
nach Hause kommen. Ich war hin- und hergerissen:
Einerseits hatte ich nun wieder Hoffnung auf ein Herz,
andererseits wollte ich zu meiner Familie.
Thomas:
Der Februar verging, derMärz, und ichmerkte,
dass ichansEndemeinerKräftekam. DieWarterei zehrte
an meinen Nerven, und oft dachte ich: Wann kommt
endlich dieses blöde Spenderherz? Alle fragten danach.
Man merkte die Anspannung auch bei den Kindern. Die
Enttäuschung, dass ihre Mutter nun wieder weg war,
nagte an ihnen. Andererseits überraschten sie mich
immer wieder, wie gut sie zusammenhielten und ver-
suchten, Selbständigkeit zu zeigen. Sie halfen wirklich
mit, Wäsche waschen, kochen, putzen. Eine der größten
Sorgen der Kinder blieb: Würde, wenn nun ein Herz
käme, ihr Platz in Ellens Herz mit herausoperiert wer-
den? Darüber mussten wir sie beruhigen, dass dieser
Platz auf jeden Fall drinbleibt. Ellen sagte ihnen, dafür
würde extra ein großer Umzugswagen kommen.
Häfner:
Ellen war nun, abgesehen von der kurzen Zeit
zu Hause, über sechs Monate hier, kannte inzwischen
jeden von uns. Sie übernahm hier und da Tätigkeiten,
packte Blutröhrchen aus und sortierte sie - tat alles, um
gegen den Krankenhauskoller anzukämpfen. Sie hätte
es, glaube ich, gar nicht geschafft, nur in ihrem Zimmer
zu hocken und abzuwarten - auch wenn sie ihre Tief-
punkte hatte. Sie wollte vorwärtskommen.
Ellen:
Ich half den Versorgungsassistentinnen und
Schwes­tern, legte Handtücher zusammen, räumte
Regale ein.
Appelhoff:
Wir hatten zu dieser Zeit auch einen jugend-
lichen Patienten mit „Berlin Heart“. Er war schulpflich-
tig, und jeden Tag kam die Lehrerin.
Häfner:
Gemacht hat er aber nie etwas. Er hing richtig
durch, war demotiviert.
Appelhoff:
Wir kamen auf die Idee, sie zusammenzule-
gen, fragten Ellen, und sie stimmte zu. Mit ihrer Art hat
Ellen den Jungen ganz schön angetrieben. Und sie hatte
eine Aufgabe, der sie sich widmen konnte, die auch sie
motivierte.
Ellen:
Ich warf ihm so lange Papierbälle an den Kopf,
wenn er sich hängenließ, bis wir uns eine Papierball-
schlacht lieferten. Das hat geholfen!
Häfner:
Aus unserer Sicht hatten es die beiden ganz nett
miteinander - die meiste Zeit jedenfalls. Sie hat das rich-
tig gut hinbekommen. Dieser Junge hat dann noch vor
ihr ein Spenderherz bekommen, wurde auf die Kinder-
klinik verlegt und ging wohl bald danach nach Hause.
Prof. Karck:
Aus ihm ist inzwischen ein ganz ordentli-
cher Schüler geworden.
Appelhoff:
Der andere junge Patient, den wir in dieser
Zeit hatten, kam nie von der Intensivstation weg. Auch
ihn hat Ellen oft besucht.
Ellen:
Eines Nachts, als man mich wieder einmal auf
die Intensivstation gerollt hatte, hörte ich ein zweites
„Klickklack“ nebenan, drehte mich um und dachte, das
ist aber eine sehr zierliche Frau. Erst dann erkannte ich,
es war ein Junge, zwölf, dreizehn Jahre vielleicht. Auf
den Vorhang, der auf der Intensivstation die Betten
trennt, hatte die Pflege für ihn ein Grinsegesicht gemalt,
das er mit seiner Wasserpistole beschießen konnte.
Doch oft bespritzte er auch die Ärzte, wenn er der Mei-
nung war, jetzt ärgern sie ihn zu sehr. Ihn beimKämpfen
zu sehen, verwies meine eigenen Wehwehchen in die
Schranken. Ich habe versucht, ihm und seinen Eltern
Mut zuzusprechen, die Wartezeit zu nutzen und sich
möglichst fit zu machen.
Prof. Ruhparwar:
Aber der Junge war einfach sehr
krank. Er entwickelte mehrere Infektionen; es gab Blu-
tungen an seinem Kunstherz. Er lag über ein Jahr auf
der Intensivstation, und wir mussten ihn mehrfach ope-
rieren. Spenderorgane für Kinder sind ohnehin selten,
und er hatte Blutgruppe null.
Ellen:
Ich wollte gerade zu ihm. Ich wusste, seine Mut-
ter war gekommen, und ich dachte, ich gehe noch ein
wenig mit ihr spazieren. Doch eine Krankenschwester
hielt mich mit der Frage zurück, ob ich es denn nicht
gehörte hätte. Mein erster Gedanke war, er wurde trans-
plantiert; ich strahlte sie neugierig an. Doch sie schüt-
telte den Kopf. Weinte. Irgendwie versuchte ich sie zu
trösten, fühlte mich aber selbst wie erstarrt. Erst auf
dem Weg zurück in mein Zimmer kamen dann bei mir
die Tränen. Er war so ein richtig knuffiger Kerl und so
verdammt tapfer. Nicht nur ich, auch das Personal hatte
ihn ins Herz geschlossen.
Appelhoff:
Patienten imKinder- und Jugendalter haben
wir in der Herzchirurgie nicht oft. Einen von ihnen zu
verlieren, das schüttelt man nicht einfach ab. Die Trauer
war auf der ganzen Station spürbar - das war etwas, was
man dann auch nicht unter der Decke halten konnte.
Prof. Ruhparwar:
Ich merkte, dass Ellen bedrückt war,
setzte mich zu ihr und sagte, dass sie sich nicht mit dem
Jungen vergleichen dürfe, dass sie in einer anderen Situ-
ation sei. Während der langenWartezeit hat sie mich oft
erwartungsvoll angesehen, ob es etwas Neues gäbe. Und
oft gab es nichts Neues, alles blieb unverändert. Aber
man leidet mit, man empfindet als behandelnder Arzt
auch Beklemmung, wenn man ohne gute Nachricht
kommt. Es gabMomente, die waren für uns alle schwer.
Thomas:
Ich hatte inzwischen aufgegeben, die Ärzte zu
fragen, wann das Herz endlich kommen würde, war
dumpf, funktionierte nur noch. Ohne erkennbarenGrund
hatte ich Schmerzen im Knie bekommen und konnte
kaum laufen. Ich fuhr ins nächste Krankenhaus, der Arzt
meinte, ichmüsse stationär aufgenommenwerden - eine
Schleimbeutelentzündung, das müsse man operieren.
Wir gerieten in eine heftige Diskussion, in der ich ihm
klarzumachen versuchte, dass ich die Kinder nicht ein-
fach sich selbst überlassen konnte; es gelang mir, ihn
gerade so zu überzeugen, mich vorübergehend zu entlas-
sen, umwenigstens die nächsten Tage zu organisieren.
Die Kinder:
Als Papa dann auch noch im Krankenhaus
war, wegen seinem Knie, kam ein paar Tage auch der
Opa, weil, die Oma konnte ja auch nicht immer.
Häfner:
Man hat es Ellen deutlich angemerkt, als dann
auch ihr häusliches Umfeld wegzubrechen schien. Das
war wirklich hart für sie, zumal die Kinder nicht zu
Besuch kommen konnten, als dann auch noch ihr Mann
imKrankenhaus lag.
Ellen:
In dieser Zeit bekam ich viele Theorien zu hören,
warum es so wenige Spenderorgane gibt. Einmal hieß es,
es sei zu schlechtes Wetter, ein anderes Mal, die Sicher-
heitstechnik beiMotorrädern sei besser geworden. Dann
wieder, dass viele Menschen eine Patientenverfügung
aufsetzten und dabei nicht an die Organspende dächten.
Dabei war ich hin und hergerissen; auf der einen Seite
wünschte ich mir, nicht mehr Tag für Tag warten zu
müssen. Ich wollte so sehr nach Hause. Auf der anderen
Seite wollte ich aber doch gar nicht, dass einem anderen
deshalb etwas Schlimmes passiert. Solche Gedanken
hatte ich, als ich Anfang Juni immer noch in der Unikli-
nik saß. Es war Wochenende, meine Mutter hatte den
letzten Erdbeerkuchen der Saison gebacken. Thomas
und die Kinder waren da, auch Gottfried, mein Schwie-
gervater.
Gottfried, Ellens Schwiegervater:
Am frühen Abend, etwa gegen sechs, fuhr ich Thomas
und die Kinder zumHeidelberger Bahnhof. Als ich nach
Hause kam, meinte meine Frau, unsere Schwiegertoch-
ter habe angerufen und ich solle doch mal bitte die Mail-
box meines Handys abhören. Dort hörte ich, wie sie bat,
nochmal zurück insKrankenhaus zukommen. Dringend.
Gottfried, Ellens
Schwiegervater
Foto privat