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Titelthema
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Dr. Dominika Badowski, diensthabende Ärztin der
Herzchirurgie:
Es muss zwischen 17 und 17:30 Uhr gewesen sein, als
mein Diensttelefon klingelte und Eurotransplant uns
ein Spenderorgan anbot. Als Nächstes hätte ich den Sta-
tionsarzt kontaktieren müssen, der den betroffenen
Patienten betreut, um ihn zu fragen, ob es aktuell irgend-
etwas gibt, eine Veränderung im Blutbild zum Beispiel,
was gegen eine Transplantation spricht. Oft liegen die
Patienten ja nicht bei uns in der Chirurgie. Ellen hatte
ich aber selbst an diesem Tag gesehen, kannte ihre
jüngstenLaborwerte. Ich sah also schnell: Das passt. Ich
rief Frau Dr. Tochtermann an. Sie hatte Transplanta-
tions-Rufdienst, war die operierende Ärztin, und sie
musste letztendlich entscheiden, ob wir das Organ
annehmen können. Dann rief ich bei Eurotransplant an
und gleich darauf bei der DSO, der Deutschen Stiftung
Organtransplantation, um ihnen mitzuteilen, dass wir
das Organ akzeptierten. Das Spenderorgan kam aus
Deutschland, das heißt, die DSO musste nun so schnell
wie möglich den Transport organisieren. Als ich den
Zeitplan bekam, rief ich Dr. Schmack an, der das Herz
entnehmen sollte. Die zwei wichtigsten Personen waren
nun informiert.
Hassan Awad, Pilot, Heli-Flight, Baden-Airpark,
Hügelsheimnahe Rastatt:
Unser Unternehmen unterhält fünf Hubschrauber und
drei Flächenflugzeuge. Wenn wir ein Organ transportie-
ren sollen, ruft die DSO uns zweimal an: stellt einmal
eine Anfrage und gibt später den Auftrag. Unser Vertrag
sieht vor, dass wir dann binnen einer Stunde startklar
sein müssen.
Isabell Deskowski, Kopilotin, Heli-Flight,
Baden-Airpark:
Die Anfrage kam gegen 17 Uhr; als dann von Seiten der
Uniklinik grünes Licht gegeben wurde, erteilte uns die
DSO den Auftrag, nach Mannheim zu fliegen, dem Hei-
delberg nächstgelegenenFlughafen, wowir Dr. Schmack
aufnehmen sollten, um mit ihm das Spenderherz abzu-
holen.
Awad:
Mit unserer Piper Cheyenne starteten wir vom
Airpark um 18:29 Uhr.
Deskowski:
In denFlugplänenwerdenwir als „Hospital-
Flight“ geführt. Die Fluglotsen wissen dann, dass wir
einen Organtransport haben. Im Funkverkehr kommt
vor unsere Kennung, DISHF, das Wort „Ambulanz“. Das
heißt, ich identifizierte uns als „Ambulanz Delta India
Sierra Hotel Foxtrott.“
Awad:
Das ist praktisch unser Blaulicht, die Anweisung
für alle, die uns auf ihrem Radarschirm sehen, dass wir
vor ihnen dran sind. Das ist aber Routine, anspruchsvol-
ler wird es, wennwir zumBeispiel aufgrund desWetters
ausweichen müssen. Wir dürfen ja überall landen, auf
Militärf lughäfen, genauso wie auf kleinen Sportf lug-
plätzen. Einzige Bedingung: Es gibt eine befestigte Lan-
debahn, und sie ist lang genug für uns. 1000 Meter sind
gut, unter 800 Metern wird es spannend. Die kleinen
Flugplätze haben aber kein Anflugverfahren, man muss
da, auch nachts, vom Instrumentenflug in den Sichtflug
wechseln.Manmuss schonwissen, wieman solchePlätze
anfliegt, das kann man sich nicht erst überlegen, wenn
man dann da ist.
Ellen:
Nach unserem Familientreffen war ich in mein
Zimmer zurückgekehrt und wartete auf das Abendes-
sen. Draußen klapperten schon die Tabletts. Da ging die
Tür auf, eine Schwester huschte herein: „Ellen, bleib
nüchtern!“ Ich saß da wie vom Donner gerührt, wusste
erst gar nicht, was ich jetzt machen sollte. Am liebsten
wäre ich weggelaufen. Ich rief dann meinen Schwieger-
vater an, bekam aber nur die Mailbox.
Dr. Bastian Schmack, Assistenzarzt der Heidelber-
ger Herzchirurgie, der das Spenderherz entnehmen
sollte:
Ich kam kurz nach 19 Uhr in die Klinik. Ich übernahm
zwei Kisten, die ein Kardiotechniker vorbereitet hatte.
In der einen, aus Aluminium, sind die notwendigen chir-
urgischen Instrumente stets vorbereitet. In der anderen,
einer Thermobox, waren frisches Eis sowie die Konser-
vierungs- und die Kühllösung. Vor der Klinik wartete
einWagen, der mich zumFlughafen brachte. InDeutsch-
land ist es so geregelt, dass Herz und Lunge durch Ärzte
des implantierenden Zentrums entnommen werden. In
der Regel kommen wir Herzchirurgen als Letzte ins
Spenderzentrum und gehen als Erste wieder. Ein Grund
hierfür ist die sogenannte Ischämiezeit - die Zeit, die ein
Organ außerhalb des Organismus ohne Blutversorgung
überstehen kann. Diese Zeit ist bei Herz und Lunge
besonders kurz, sodass dieEntnahme desOrgans unddie
Vorbereitung des Empfängers aufs engste abgestimmt
werden müssen.
Gottfried:
Wir hatten schon lange vorher ausgemacht,
dass mich Ellen als Ersten verständigen würde, falls ein
Spenderherz kommen sollte. Ganz einfach, weil ich der-
jenige war, der am schnellsten in der Klinik sein konnte.
Unter vier Augen hatte mich Ellen später gebeten, die
anderen erst dann zu informieren, wenn alles überstan-
den wäre. Nachdem ich Ellens Nachricht abgehört hatte,
fuhr ich sofort in die Chirurgie. Ellen war dabei, ihre
Sachen zu sortieren, nahm die Bilder, die ihr die Kinder
gemalt hatten, von der Wand, packte Bücher zusammen
und meinte, das könne ich alles schon einmal mitneh-
men. Sie war aufgeregt. Klar. Ich auch.
Ellen:
Zwischendurch kamen laufend Ärzte herein,
nahmen Blut ab, prüften dieses und jenes, drückten mir
Einverständniserklärungen zurUnterschrift indieHand.
Die Zeit verging zu schnell zum Nachdenken, und die
Aufregung ummich herum stieg mit jeder Minute.
Carsten Schies, Kardiotechniker der Chirurgie:
Ich war noch im Haus, als mich Frau Dr. Badowski, die
diensthabendeÄrztin, unterrichtete, dass es inderNacht
eineHerztransplantation gebenwürde. Ich bereitete die
Herz-Lungen-Maschine vor; wir nennen sie kurz HLM.
Es war kurz nach 20 Uhr.
Awad:
Wir landeten um 20:07 Uhr in Mannheim und
konnten auch um 20:07 Uhr wieder starten. Denn als
wir zur Parkposition rollten, kam Dr. Schmack schon
zur Maschine.
Deskowski:
Ich öffnete die Kabinentür, er sprang an
Bord.
Awad:
Die Motoren liefen noch, also rollten wir gleich
wieder zur Startbahn und hoben ab.
Deskowski:
Meist fragen die Ärzte, wenn sie an Bord
kommen, wie lange wir fliegen, dann hauen sie sich in
ihren Sitz und schlafen. So machte es auch Dr. Schmack.
Dr. Badowski:
Ich telefonierte abermals mit Frau Dr.
Tochtermann, die die Operation machen würde; wir leg-
ten die Zeiten für den Eingriff fest. Es war zu berück-
sichtigen, dass Ellen seit neun Monaten ein Kunstherz
trug. Wir mussten davon ausgehen, dass es länger dau-
ern würde, bis man das Herz frei hatte, und das war mit
der Ischämiezeit des Spenderherzens in Übereinstim-
mung zu bringen.
Awad:
Unser Flug verlief planmäßig. Wir landeten am
Zielflughafen um 21:12 Uhr.**.
Dr. Schmack:
Ein Wagen brachte mich zur Entnahme-
klinik. Dort sprach ich mit dem Koordinator vor Ort,
ging mit ihm die Unterlagen durch, prüfte die Todesbe-
scheinigung. Die häufigste Todesursache von Organ-
spendern ist heute die spontane Gehirnblutung;
von L. nach R.
Dr. Dominika
Badowski,
Herzchirurgin
Hassan Awad, der
Pilot
Dr. Bastian Schmack,
Assistenzarzt
Carsten Schies,
Kardiotechniker der
Chirurgie