Seite 32-33 - KLINIKTICKER 01

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Titelthema
Titelthema
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Unfallopfer sind, weil die Sicherheitstechnik ständig besser wird,
selten geworden. Ich sprach mit der Anästhesistin, ob sich in den
letzten Stunden etwas an den Blutwerten oder am Kreislauf ver-
ändert hatte. Daswar nicht passiert. DerVerstorbene lag bis zuletzt
kreislaufstabil auf der Intensivstation und wurde organerhaltend
therapiert - eineGrundvoraussetzung dafür, dasswir dasHerz zur
Transplantation akzeptieren können. Die Kollegen der Allgemein-
Gottfried:
Als ich gegen Mitternacht wieder in der Uniklinik
anrief, meinte die Krankenschwester, jetzt komme Ellen nicht
mehr zurück, jetzt würde sie operiert. Die Nacht war dementspre-
chend. An Schlaf war nicht zu denken. Meine Frau und ich saßen
noch lange zusammen, spielten Canasta, um uns abzulenken. Als
wir dann endlich ins Bett gingen, konnten wir auch nicht schlafen.
Wenige Wochen zuvor war ein Junge gestorben, der wie Ellen ein
wieder in der Halle steht, dann kommt schon der
Gedanke auf, dass ich mithelfen konnte, jemandem das
Leben zu retten. Während des Einsatzes hat man solche
Empfindungen nicht. Wir landeten in Mannheim exakt
um 1:30 Uhr.
Schies:
Gegen halb eins reichte mir die OP-Schwester
die Schläuche, und ich schloss sie an. Nach der Kanüle
für die Aorta werden die Kanülen für die untere und
obereHohlvene eingebracht. DieHerz-Lungen-Maschine
ist tiefer als der Patient plaziert, so dass das Blut durch
die Schwerkraft aus dem Patienten zur HLM abf ließt.
Diese Abläufe laufen standardisiert ab. Der Chirurg sagt
zum Beispiel: „Vorfahren!“ Das heißt, ich fahre die
Hauptpumpe der HLM langsam an und starte den
Bypass. Um 02:10 Uhr kam das Kommando: „Aorta zu!“
Das war der Punkt, an dem Ellens altes Herz endgültig
vom Kreislauf abgetrennt wurde. Ich schaltete das „Ber-
lin Heart“ ab. Ellen würde es nun nicht mehr brauchen.
Dr. Tochtermann:
Ellen war nun für die Entnahme
ihres alten Herzens bereit. Es hatte nun ein halbes Jahr
nichtmehr gearbeitet undwar deutlich kleiner geworden.
Dr. Schmack:
Nachdem ich mit der Kühlbox im OP-Be-
reich angekommen war, machte ich mich steril und
entnahm das Herz aus den sterilen Beuteln. Frau Dr.
Tochtermann und ich begutachteten es.
Dr. Tochtermann:
Ich betrachtete die Größenverhält-
nisse, sah in das Herz hinein, machte einen Check auf
mögliche angeborene oder erworbene Fehler. Erst nach-
dem ich mich noch einmal über den Zustand des neuen
Organs vergewissert hatte, trennte ich das alte ab, ent-
nahm es und nähte das neue ein. Das Herz, das jetzt fün-
feinhalb Stunden in seinemWinterschlaf gelegen hatte,
war durchdieRaumtemperatur schoneinwenig erwärmt.
Nun, als ich die Klemme von der Hauptschlagader löste
und wieder Blut hindurchf loss, ging das schneller. Es
gibt eine Übergangszeit, die Wiederdurchblutungszeit,
in der die Maschine die Herz-Kreislauf-Arbeit leistet.
Das neue Herz wird schon durchblutet, ist aber sozusa-
gen noch im Leerlauf. Man muss ihm Zeit lassen, je
nachdem, wie lange sein Winterschlaf gedauert hat, bis
es wieder zu Kräften kommt.
Dr. Ursula Tochtermann, Bereichsleiterin der Herzchirurgie, die operierende Ärztin
chirurgie, die bereits mit der Eröff-
nung der Bauchhöhle begonnen
hatten, fragte ich, ob sie an Leber
oder Nieren etwas Auffälliges ent-
deckt hatten. Ich öffnete den Brust-
korb und untersuchte das Herz. Es
zeigten sich keine Gründe, die gegen
eine Entnahme sprachen. Ich sah auf
die Uhr im Operationssaal, es war
22:30 Uhr. VomOperationstisch aus
ließ ich in Heidelberg anrufen, um
mitzuteilen, dass ich das Organ end-
gültig akzeptiert hatte und voraus-
sichtlich gegen 1:30 Uhr zurück sein
würde.
Ellen:
Kurz nach zehn kam eine
Schwester herein und meinte, ich solle mich aufs Bett legen, sie
müsse mich nun in den OP fahren. Wieso Bett?, fragte ich. Wegen
der Beruhigungstablette. Welche Beruhigungstablette?, fragte
ich. Da merkten wir, dass man vergessen hatte, mir die obligatori-
sche Beruhigungstablette zu geben. Ich bin dann, nichts sprach
dagegen, zu Fuß in den OP gelaufen.
Gottfried:
Ich begleitete Ellen bis zum OP-Bereich. Sie bat mich,
noch ein bisschen zu warten. Dann war die Tür zu. Es hätte ja sein
können, dass das Herz nicht passt und dass sie wieder zurückge-
kommen wäre. Da wäre es schon gut gewesen, wenn ich bei ihr
hätte sein können. Aber eine Krankenschwester kam, meinte, es
könne Stunden dauern, und schicktemich unter demVersprechen,
sie würde sofort anrufen, nach Hause. Um elf hielt ich es nicht
mehr aus und rief das erste Mal in der Uniklinik an. Die Kranken-
schwester wollte sich nicht festlegen, vertröstete mich wieder.
Dr. Schmack:
Ich injizierte dem Spenderherzen die stilllegende
Lösung, und es hörte auf zu schlagen. Kurze Zeit später hatte ich
das Herz aus dem Brustkorb entnommen und hielt es in den Hän-
den. Auf einemNebentisch sah ich in die Hauptschlagader hinein,
betrachtete alle vier Herzklappen und prüfte auch jene Regionen
des Herzens, die ich nicht gut hatte sehen können. Dann verpackte
ich es in mehrere Schichten steriler Beutel und legte es in die
Kühlbox auf Eis. Ich telefonierte abermals mit Heidelberg, dass
ich nun auf demRückweg war.
„Berlin Heart“ getragen hatte. Auch
an ihn dachten wir in dieser Nacht.
Dr. Ursula Tochtermann,
Bereichsleiterin der Herzchirur-
gie, die operierende Ärztin:
Ellen wurde von der Anästhesie vor-
bereitet, aufgelegt und mit sterilen
Tüchern abgedeckt. Um 0:05 Uhr
setzte ich den Schnitt. Das einlie-
gende Kunstherz macht die Trans-
plantation aufwendiger. Schon nach
wenigenWochen sind die Schläuche
fest verwachsen. Das ist auch wich-
tig, sonst hätten sie jedesmal, wenn
man sich bewegt, unter dem Brust-
korb Spiel, könnten Gefäße verletzen
oder am Herz reißen. Auch bei Ellen war das Gewebe inzwischen
fest verwachsen, hart wie Beton. Schon das Spreizen des Brust-
korbs, nachdem ich ihn mit der Knochensäge durchtrennt hatte,
erforderte Vorsicht und Geduld. Stück für Stück musste ich mit
der Schere und dem Elektrokauter das verwachsene Gewebe vom
Brustkorb und dem künstlichen System lösen.
Prof. Ruhparwar:
Dieser Eingriff gehört zu den schwierigsten
Operationen, die wir Herzchirurgenmachen. Einerseits sägenwir
den Patienten erst auf, wenn der Entnahmearzt das Herz von
innen sehen konnte und sein Okay gibt. Andererseits sollte im Ide-
alfall das kranke Empfängerherz freiliegen und entnommen wer-
den können, wenn das Spenderorgan eintrifft.
Dr. Tochtermann:
Es lässt sich nicht vermeiden, dass man ab
dann unter Druck steht. Auf der einen Seite tickt nun die Ischä-
miezeit des Spenderherzens, das nur maximal fünf bis sechs Stun-
den seinenWinterschlaf überdauert. Auf der anderenSeitemüssen
die Verwachsungen, die sich um die Schläuche des „Berlin Heart“
gebildet haben, sorgfältig angegangen werden.
Awad:
Während des Fluges versuche ich nicht daran zu denken,
dass da hinten ein Herz in der Kühlbox liegt, jemand gestorben ist
und jemand anderes darauf wartet. Ich denke nur: Was wir tun, ist
zeitkritisch; schau, dass alles gut läuft. Aber am Ende des Tages
oder besser, am Ende der Nacht, wenn dann die Piper Cheyenne
„An Schlaf war nicht zu denken. Als wir
dann endlich ins Bett gingen, konnten
wir auch nicht schlafen. Wenige Wochen
zuvor war ein Junge gestorben, der
genau wie Ellen ein Berlin Heart getra­
gen hatte. Auch an ihn dachten wir in
dieser Nacht.“
Gottfried, Schwiegervater von Ellen, erinnert sich an die
Nacht der Herztransplantation