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In diese Klinik setzen viele
Paare ihre Hoffnung
Die Kinderwunschambulanz hat ein neues Zuhause
und ein hochmodernes Labor
D
ie Abteilung für Endokrinologische Gynäko
logie und Fertilitätsstörungen ist eine der an
gesehensten und erfolgreichsten Kliniken in
eutschland, an die sich Paare mit einem Kinder
wunsch wenden.
Die Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit liegen zu
gleichen Teilen bei Frau und Mann; dennoch werden
überwiegend Frauen behandelt, denn die Therapieopti
onen für denMann sind bislang stark begrenzt.
Bei der künstlichen Befruchtung, der in vitro Fertilisa
tion (IVF) werden der Frau Eizellen entnommen und
außerhalb des Körpers mit Spermien des Mannes be
fruchtet. Je nach Spermaqualität werden Spermien im
Reagenzglas der Eizelle beigemischt oder ein einzelnes
Spermium direkt in diese gespritzt (Intracytoplasma
tische Spermieninjektion, ICSI). Sind im Samenerguss
gar keine Spermien auffindbar, dann können auch ein
zelne Spermien aus Hodengewebe entnommen und in
die Eizelle injiziert werden. Nach zwei bis fünf Tagen
werden dann zwei Embryonen in die Gebärmutter ein
gesetzt. Mit diesen Techniken kann bei mehr als der
Hälfte der Paare eine Schwangerschaft erzielt werden.
Wie kann eine Frau schwanger werden? Welche Faktoren spielen eine Rolle? Um
kaum ein anderes Thema der Medizin ranken sich so viele Mythen und Legenden.
Professor Dr. Thomas Strowitzki, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Endokrino
logische Gynäkologie und Fertilitätsstörungen und bekannter Reproduktionsmedi
ziner, räumt mit vier verbreitetenMythen auf:
Mythos 1: Die Fruchtbarkeit nimmt ab
Daten zeigen, dass das nicht so ist. Was sich ändert, ist die Familienplanung. Das Durch
schnittsalter von Erstgebärenden steigt von Jahr zu Jahr. 1970 waren es noch 24 Jahre,
heute liegt es über dreißig. Das liegt nicht an einer schlechteren Fruchtbarkeit, sondern
ist ein freiwilliger Entschluss.
Mythos 2: Die Paare setzen sich zu sehr unter Druck
Die Geschichte vom Paar, das keine eigene Kinder bekommen kann, dann ein Kind adop
tiert und danach plötzlich schwanger wird, kennt wohl jeder. Viele sind nicht vollständig
steril, sondern nur sehr eingeschränkt fruchtbar. Das heißt, eine kleine Chance bleibt –
an diese Fälle erinnert man sich und spricht darüber. Das ist aber selten und hat nichts
damit zu tun, dass der Knoten geplatzt ist.
Mythos 3: Künstliche Befruchtung produziert vieleMehrlingsschwangerschaften
Mehrlingsschwangerschaften entstehen nur selten aus künstlicher Befruchtung, denn
man kann bestimmen, wie viele Eizellen befruchtet und übertragen werden. Sehr hohe
Mehrlingszahlen entstehen eher bei schlecht überwachten hormonellen Stimulationsbe
handlungen von jungen Frauen – ohne künstliche Befruchtung.
Mythos 4: Viele Beziehungen zerbrechen amunerfüllten Kinderwunsch.
Genau das Gegenteil ist der Fall: Die gemeinsame durchlebte Geschichte schweißt viele
Paare zusammen. Es gibt Daten, die belegen, dass die Trennungsrate eher niedrig ist.
„Wir haben jetzt eines der modernsten Labors Deutsch
lands“, schwärmt der Ärztliche Direktor der Abteilung,
Professor Thomas Strowitzki. In dieses Labor setzen
viele Paare ihre Hoffnung, denn oft haben sie bereits
eine lange Zeit des Wartens auf ein Wunschbaby und
viele Versuche in anderen Zentren hinter sich.
Eine der wichtigstenEntwicklungen der Reproduktions
medizin in den letzten Jahren ist das Embryoskop: „Das
hat die Schwangerschaftsraten bei uns noch einmal deut
lich auf ca. 40 Prozent pro Embryotransfer gesteigert“,
sagt Professor Strowitzki. Darin kann man die Embryo
nen im Inkubator im Zeitraffer beobachten. Bis zu fünf
Tage lang verfolgen die Biologen ihre Entwicklung; aus
Mythen rund um die Fruchtbarkeit
ImEmbryoskop lässt
sich die Entwicklung
des menschlichen
Embryos genau verfol-
gen. In dem Stadium
der Blastozyste ist
der 5-6 Tage alt und
hat ca. 200 Zellen. Die
Einpflanzung steht
unmittelbar bevor
der Geschwindigkeit der Zellteilung lässt sich das
Potential einer gesunden Entwicklung ablesen. Die
Embryonen, die überhaupt Entwicklungschancen
haben, werden dann in die Gebärmutter übertragen.
Auch Frauen, die unter einer Krebserkrankung leiden
und eine Chemotherapie benötigen, wird in der Kinder
wunschambulanz geholfen. Das Heidelberger Zentrum
ist das größte seiner Art in Deutschland, das sich mit
„Fertilitätsprotektion“ beschäftigt: Um die Chance auf
eine Mutterschaft zu erhalten, werden Eizellen oder
Eierstockgewebe vor der Chemotherapie entnommen.
Ist die Behandlung erfolgreich, kann sich das Teamüber
Fotos „ihrer“ Kinder von den dankbaren Eltern freuen.
Denn sie wissen: Nach wie vor ist eine Schwangerschaft
nach IVF nicht selbstverständlich: Bei etwa der Hälfte
aller Frauen erfüllt sich der Kinderwunsch nicht. Ein
Thema, das einen sensiblenUmgang erfordert und in der
Kinderwunschambulanz frühzeitig angesprochen wird.
–sm
„Das Embryoskop hat die Schwanger-
schaftsraten bei uns noch einmal
deutlich auf ca. 40 Prozent pro Embryo
transfer gesteigert.“
Professor Dr. Thomas Strowitzki