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Medizingeschichte
Medizingeschichte
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„Ohne die Frauengunst
bringt es der Arzt zu nichts“
Die Anfänge der Heidelberger Frauenklinik waren mühsam, aber mit Franz Anton Mai
und Franz Carl Naegele standen zwei tatkräftige Pioniere an ihrer Spitze
I
ch habe mein Bestes getan, um den Damen zu ge­
fallen, jedoch nur Ihnen zuliebe. Sie sollen sehen,
wie Sie es anfangen müssen, um vorwärts zu
kommen. Glauben Sie mir, ohne die Frauengunst
bringt es der Arzt zu nichts.“
Auch im Alter von 68 Jahren konnte Franz Carl Joseph
Naegele, Heidelberger Professor für Pathologie, Physio­
logie und Frauenheilkunde, seine Lehr-Profession nicht
unterdrücken, wie dieses Zitat, das ein junger Arzt bei
einer Kongressreise von ihm aufgeschnappt hatte,
belegt. Nicht nur als charmanter Redner warb er um die
Gunst der Frauen, sondern erkannte als einer der ersten
Mediziner des beginnenden 19. Jahrhunderts die Bedeu­
tung des Faches Frauenheilkunde und der Geburtshilfe.
Das Fach war damals noch in seinen Anfängen: Geburt
und Geburtshilfe lagen vomMittelalter bis in die Frühe
Neuzeit vollständig in der Hand der Hebammen. Sie hat­
ten ihr Wissen von Generation zu Generation weiterge­
geben und galten als die Instanz: Probleme von Frauen
sollten von Frauen gelöst werden! Einen Arzt rief man
nur, wenn die Geburt auch nach unzähligen Stunden
nicht gelang oder das Leben von Mutter und Kind in
Gefahr schien.
Mit den ersten Lehrbüchern für Hebammen im 17. und
18. Jahrhundert setzte sich allmählich die Medikalisie­
rung durch; mystische und religiös geprägten Vorstel­
lungen des Mittelalters über die Geburt wurden
verlassen. Mit Büchern über Frauenheilkunde, Vorle­
sungenanderUniversität undbesondersderEntwicklung
undAngliederungen vonGeburtenanstalten anKliniken
um die Wende zum 19. Jahrhundert gewannen die Medi­
ziner zusehends an Terrain.
So auch in Heidelberg: Dort schuf Franz Anton Mai die
Grundlagen für die Frauenheilkunde, die sich im 19.
Jahrhundert - noch vor der Inneren Medizin - als eigen­
ständiges Fachgebiet etablieren sollte. Mai bewirkte
1805 die Übersiedlung der Hebammenschule und der
Geburtenanstalt von Mannheim nach Heidelberg. Auf
dieser Grundlage erlebte die Frauenheilkunde ab 1810
einen enormen Aufschwung unter seinem Schwieger­
sohn und Nachfolger. Dieser war der bereits oben
zitierte Franz Karl Naegele, der 1807 einem Ruf an die
Universität Heidelberg folgte. Ein Jahr zuvor hatte er
Anna Maria Mai geheiratet und wurde 1810 Ordinarius
und Mitdirektor, kurz darauf auch Hebammenlehrer
und alleiniger Direktor der Entbindungsanstalt.
Naegele war ein erfahrener Arzt: 1778 als Sohn des
Direktors der Medizinisch-Chirurgischen Schule in
Düsseldorf geboren, kamer frühmit der Physiologie und
Pathologie in Kontakt. Er assistierte seinem Vater
August schon als Jugendlicher bei Sektionen und führte
diese später selber durch. Nachdem er 1800 in Bamberg
promoviert worden war, wirkte er dort einige Jahre als
Physikus und Arzt. An der Universität Heidelberg hatte
Naegele jedoch Anfangs einen schweren Stand, nicht zu-
letzt wegen der Förderung durch seinen Schwiegervater.
Bei den Studenten war Naegele jedoch über die Maßen
beliebt. „Die Vorlesung unseres Meisters hielt auch die
Schläfrigsten munter, er sprach frei, geistreich und wit­
zig; jeden Gegenstand, auch den trockensten, wusste er
unterhaltend darzustellen..“, so berichtet einer seiner
Studenten später. Weder sein Gang, der immer eilend
und aufgrund seiner starken Kurzsichtigkeit leicht
vor übergebeugt war, noch sein Witz und Sarkasmus,
wichen bis in seine späteren Lebensjahre.
Als Naegele 1810 die Leitung der Entbindungsanstalt
übernahm, war die finanzielle Situation katastrophal,
es herrschte akute Raumnot. Nach einer Bitte um wei­
tere Zuschüsse überlegte das Finanzministerium sogar
kurz­zeitig, die Medizinische Fakultät nach Freiburg zu
verlegen.
1818 mussten die Anatomie und die Chirurgie des medi­
zinisch-klinischen Institutes und der Entbindungsan­
stalt aus dem Dominikaner Kloster in der Heidelberger
Innenstadt in die Kaserne imMarstall ziehen, der heute
eine Mensa der Universität beherbergt. Naegele klagte:
„Man wird es fast unglaublich finden, daß eine Anstalt,…,
die zu den ersten Deutschlands gezählt wird, auf fünf
Stuben beschränkt ist“. Für mehr als 200 Geburten,
30-35 Medizinstudenten und die Ausbildung von Heb­
ammen aus zwei Landkreisen standen zu diesem Zeit­
punkt nur fünf Zimmer zur Verfügung. So wurde schließ-
lich der Ostf lügel des Marstalls um ein Stockwerk
erweitert; 1830 zog die Gebäranstalt dort ein.
Dort konnten erkrankte Schwangere isoliert und sogar
zwischen zahlenden und mittellosen Patientinnen
unterschieden werden; eine rein gynäkologische Abtei­
lung, die sich mit speziell mit allen Frauenkrankheiten
beschäftigte, gab es noch nicht.
Naegele war nicht nur Bauplaner und Ordinarius der
Klinik. Er hielt Vorlesungen über „Die Geburtshilfe“
und die „Krankheit der Frauenzimmer“ und veröffent­
lichte Lehrbücher für Hebammen und Ärzte, die zu
Standardwerken wurden. Viele Fortschritte sind dem
Heidelberger Arzt zu verdanken: die Errechnung des
Geburtstermins, eine verbesserte Form der Geburts­
zange sowie die Entdeckung einer besonderen Form der
Beckenanomalie.
In seiner mehr als 40 jährigen klinischen Tätigkeit in
Heidelberg war Naegele mehrmals Dekan der Medizini­
schen Fakultät und lehnte Rufe an andere Universitäten
ab. Bis ins hohe Alter von über 70 Jahren war er in der
Universität aber auch als Gemeinderat aktiv. Mit Beginn
der Revolution von 1848 wurde auch die Königspfalz
von Unruhen erfasst. 1849 musste die Entbindungsan­
stalt ausziehen, um preußischen Truppen eine vorüber­
gehende Unterkunft zu bieten. Naegele machte diese
Zeit schwer zu schaffen. Die Rückkehr der Geburtenan­
stalt in ihr altes Heimerlebte er nicht mehr – er starb im
Januar 1851 imAlter von 73 Jahren. 
–Laura Heyer
1 – Portrait des Hei-
delberger Prof. Franz
Carl Joseph Naegele,
Quelle: Universitäts-
archiv Heidelberg
2 – Zeitnahe
Darstellung eines
Gebährstuhls nach
Franz AntonMai
3 – Abbildung der
alten Kaserne im
Marstall, in der die
Entbindungsanstalt
seit 1818 unterge-
bracht war, Quelle:
Universitätsarchiv
Heidelberg
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