Seite 44-45 - 130807-master

Basic HTML-Version

44
Aus der Forschung
Aus der Forschung
45
Auf der Schwelle zur
klinischen Routine
Info
News
Welche Regeln braucht die Diagnostik des gesamten menschlichen Ergbuts?
Eine Antwort des Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg
B
ei der Weltpremiere 2001 noch ein Milliarden-
Dollar-Kraftakt, heute schon für wenig mehr
als tausend Dollar machbar: Die Sequenzie­
rung des gesamten menschlichen Erbgutes ist da.
Was fehlt, sind klare Regeln für ihren Einsatz. Die
Zeit drängt, denn der Einzug in die klinische Routine
steht unmittelbar bevor.
Im Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg haben
Mediziner, Molekularbiologen, Bioinformatiker, Juristen,
Das Marsilius-Kolleg
Das Marsilius-Kolleg (MK) der Universität Heidelberg
besteht seit 2007 und ist Teil desHeidelberger Zukunfts­
konzepts in der Exzellenzinitiative. Es ist benannt nach
dem Gründungsrektor der Universität Heidelberg, Mar­
silius von Inghen. Ziel ist der Brückenschlag zwischen
den Wissenschaftskulturen in Heidelberg: Durch
gemeinsame Projekte soll vor allem die Zusammenar­
beit zwischen den Natur- und Lebenswissenschaften
und den Geistes-, Kultur-, Sozial- und Rechtswissen­
schaften gefördert werden.
EURAT-Projekt
AmMarsilius-Projekt „Ethische und rechtlicheAspekte
der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms“
(EURAT) nehmen Wissenschaftler der Universität Hei­
delberg und des Universitätsklinikums Heidelberg, des
DKFZ, des EMBL und des Max-Planck-Instituts für aus­
ländisches öffentliches Recht undVölkerrecht sowie der
Universität Hannover teil. Sie bringen Expertise aus
den Bereichen Humangenetik, Onkologie, Pathologie,
Molekularbiologie, Bioinformatik, Ethik, Recht und
Gesundheitsökonomie ein.
Die Heidelberger Experten bieten hier differenzierte Vorschläge für
Patienteninformation und Einwilligung für die klinische Praxis an:
•In einem Forscherkodex für nicht-ärztliche Wissenschaftler, die an
der Totalsequenzierung insbesondere von Patienten-Genomen betei­
ligt sind, ist in Anlehnung an das Standesethos der Ärzte einen Kanon
von Handlungsregeln aufgestellt.
•Die Kenntnis aller Gene kann für den Patienten weitreichende Konse­
quenzen haben. Damit stößt das klassische Modell der informierten
Einwilligung mit einem einmaligen Akt der Zustimmung an seine
Grenzen. Gefordert werden Kommunikationsprozesse und ein gestuf­
tes Verfahren der Patienteneinwilligung.
•Patienten, derenGenomuntersucht wird, werden inAufklärungsunter­
lagen verschiedene Möglichkeiten der Rückmeldung von Genom-Be­
funden und Ergebnissen vorgeschlagen. Der Patient erhält damit die
Möglichkeit, seine Wünsche über das Ausmaß der Aufklärung diffe­
renziert zu äußern.
In Heidelberg soll die Ganzgenomsequenzierung Patienten des Uni­
versitätsklinikums in Kooperation mit dem Deutschen Krebsfor­
schungszentrum (DKFZ) und dem Europäischen Laboratorium für
Molekularbiologie (EMBL) angeboten werden. Dabei geht es um Er-
krankungen aus allenFachdsziplinen, bei denen krankheitsauslösende
Genveränderungen bekannt sind oder wissenschaftlich erforscht
werden. 
–Annette Tuffs
Warum Ingwer bei Übelkeit hilft
Krebspatienten leiden oft unter Nebenwirkungen der
Chemotherapie wie Übelkeit und Erbrechen. Dagegen
sind auch pflanzliche Mittel wie Ingwer wirksam. Laut
einer amerikanischen Studie aus demJahr 2009 können
Wurzelextrakte die Beschwerden um40Prozent senken.
Wissenschaftler um PD Dr. Beate Niesler vom Institut
für Humangenetik haben jetzt entdeckt, wie Ingwer bei
diesen Beschwerden hilft: Die Zellgifte der Chemothe­
rapie greifen Darmzellen an. Diese setzen den Boten­
stoff Serotonin frei, der das Brechzentrum im Gehirn
aktiviert. Die Ingwerwurzel enthält eine Reihe von
hochwirksamen Inhaltstoffen, die Serotonin-Andock­
stellen auf den Nervenzellen besetzen. „Die Folge: Das
Serotonin kann nicht mehr binden“, erklärt BeateNiesler.
„Das Brechzentrum wird nicht mehr aktiviert und die
Übelkeit bleibt aus.“
Interaktiv und gemeinsam gegen den Krebs
Ab sofort steht die neue interaktive Internetseite der
Young Alliance AgainstCancer (YAAC) für junge Krebs­
forscher im Netz bereit. Wer am Beginn seiner Medizi­
ner-Karriere steht und auf dem Gebiet der Krebsfor­
schung Fuß fassen möchte, sieht sich mit einer
überwältigenden Anzahl von Daten und Informationen
konfrontiert. Hilfe verspricht dieYAAC – ein Zusam­
menschluss junger Wissenschaftler – die seit April 2011
gemeinsam eine Internetplattform als Basis für Aus­
tausch und Information aufbauen. Auf der überarbeite­
tenWebseite könne sich Nutzer mit der YAAC in Verbin­
dung setzen, Konferenz- und Lesetipps austauschen
und sich – dank der erfolgreichen Zusammenarbeit mit
dem audiovisuellen Zentrum der Pädagogischen Hoch­
schule – in Kurzfilmen über Ziele und Inhalte der YAAC
informieren.
www.young-alliance.com
Mückenbekämpfung vomRhein nachWestafrika
Die jahrzehntelange Erfahrung im Kampf gegen die
Stechmücken entlang des Oberrheins soll dabei helfen,
die Ausbreitung der Malaria in Westafrika einzudäm­
men. Das Institut für Public Health am Universitätskli­
nikum Heidelberg und die Kommunale Arbeitsgemein­
schaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS) e.V.,
die weltweit Programme zur Stechmückenbekämpfung
unterstützt, haben mit dem Forschungszentrum in
Nouna, Burkina Faso, ein wissenschaftliches Projekt
gestartet: Zum Einsatz kommt das biologische Larven­
vernichtungsmittel BTI, das sich im Rhein-Neckar-
Raum bewährt hat. Neue, auf Satellitenbildern basie­
rende Risikokarten erlauben die gezielte und sparsame
Anwendung des Mittels. Die Manfred Lautenschläger-
Stiftung finanziert das innovative und umweltschonen­
de Projekt mit rund 425.000 Euro.
Ethiker und Ökonomen zwei Jahre lang intensiv über
ethische und rechtliche Aspekte der Totalsequenzie­
rung des menschlichen Genoms (Projekt EURAT) dis­
kutiert. ImJuni 2013 traten siemit einer Stellungnahme
und richtungsweisenden Vorschlägen für die Praxis an
die Öffentlichkeit.
Die Wissenschaftler sind der Überzeugung, dass es
ethisch geboten ist, die Fortschritte in der Genomfor­
schung für die Verbesserung von Diagnostik und Thera­
pien zu nutzen. „Unser Ziel ist es, die schwierige Balance
zwischen dem Patientenwohl, dem Anspruch des Pati­
enten auf Information und Mitsprache sowie der For­
schungsfreiheit und dem klinischen Fortschritt zu
wahren“, erklärte Prof. Claus Bartram, Direktor des
Heidelberger Instituts für Humangenetik und Mitglied
der EURAT-Gruppe. Wie wird verantwortungsvoll mit
den sensiblenDaten umgegangen?Wasmuss der Patient
oder der Betroffene über ihre Genausstattung erfahren,
wenn etwa nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für
eine Erkrankung mitgeteilt werden kann?
Allgemeine Stellungnahmen zur Genomsequenzierung
im In- und Ausland fehlen nicht. So haben sich der Deut­
sche Ethikrat und die Nationale Akademie der Wissen­
schaften Leopoldina grundsätzlich positioniert; weitere
Klärung von Einzelfragen war nun nötig.