Newsroom Events Medizin am Abend 2014 14. Angespannt und…

Angespannt und ausgelaugt – ein langes Jahrhundert der Stressforschung

Lange bevor der „Stress“ zu seinem Namen kam, beschrieben Ärzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Nervenerschöpfung bei ihren Zeitgenossen. Ihr Bemühen, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, markiert den Beginn der Stressforschung. Am 24. September 2014 zeichnet Professor Dr. Wolfgang U. Eckart, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, bei „Medizin am Abend“ den Werdegang dieses Forschungsfeldes nach.

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Zunehmender Stadtverkehr und Verkehrslärm, Industrialisierung und steigendes Arbeitspensum, Einzug der Technik in viele Bereiche des Lebens, bessere Erreichbarkeit dank einer neuen Erfindung, dem Telefon: Bereits zum Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts verzeichneten Mediziner wie Professor Dr. Wilhelm Erb, von 1883 bis 1907 Direktor der Medizinischen Universitäts­klinik Heidelberg, eine „wachsende Nervosität“ ihrer Zeit und daraus resultierende Erschöpfung. Nach den traumatischen Erfahrungen des ersten Weltkriegs setzte sich die Wissenschaft dann erstmals intensiv mit dem Phänomen „Stress“, seinen Auslösern sowie Auswirkungen auf Körper und Seele auseinander. Was sich seit dieser Zeit in der Stressforschung getan hat und wo die Wissenschaft heute steht, berichtet Professor Dr. Wolfgang U. Eckart, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Heidelberg, im Rahmen der Vortragsreihe "Medizin am Abend" am Mittwoch, 24. September 2014. Der Vortrag beginnt um 19 Uhr im Hörsaal der Kopfklinik, Im Neuenheimer Feld 400. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

„Was die Zuhörer allerdings beachten sollten: Der Vortrag beinhaltet keine Tipps zur Stressbewältigung, sondern es wird um die Geschichte des Phänomens ‚Stress‘ gehen“, betont Professor Eckart. Einige der frühen Therapien sind allerdings noch durchaus aktuell: So empfahlen Ärzte um 1900 bei der „Nervenerschöpfung“ Neurasthenie, ein in Vergessenheit geratenes Krankheitsbild mit anhaltender Erschöpfung aufgrund von Überlastung, eine erholsame Kur sowie bei Bedarf Änderungen des Arbeits­umfeldes. Betroffene litten neben lähmender Müdigkeit unter Kopfschmerzen, Konzentrations­­störungen und Depressionen – heute werden diese Symptome u.a. dem ebenfalls stressbedingten Burnout-Syndrom zugeordnet. Die Neurasthenie entwickelte sich zwar vorrübergehend zu einer Modeerkrankung der Bessergestellten, es wurden aber auch Zusammen­hänge mit den im Zuge der Technisierung veränderten Arbeitsbedingungen z.B. in Fabriken angenommen und erforscht.    

Weltkriege als Lehrbuch der Stressforschung: Dramatische Folgen anhaltender psychischer Überlastung

Der Weltkrieg 1914 bis 1918 eröffnete neue Dimensionen von Entsetzen, Stress und Traumata. Rund zehn Millionen Soldaten wurden in den Materialschlachten des ersten technisierten Krieges mit Maschinengewehren, Distanzgeschossen, Giftgas, Panzern und Bombenflugzeugen getötet. In erbittert geführten Materialschlachten und Stellungskriegen blieb den meisten Soldaten nur das hilflos ausgelieferte Ausharren im Schützengraben, während Tag und Nacht die Artilleriegeschütze feuerten. Tausende Veteranen trugen so starke psychische Schäden davon, dass sie fortan kein selbstständiges Leben mehr führen konnten. Vor diesem Hintergrund formulierte der amerikanische Physiologe Walter Bradford Cannon 1932 erstmals eine biologisch fundierte Erklärung für Stress, die sogenannte Fight-or-flight-Reaktion. Sie besagt, dass der Körper als Reaktion auf bedrohliche Reize das Stresshormon Adrenalin ausschüttet, das Energiereserven für Kampf oder Flucht mobilisiert. Hält der Anspannungszustand allerdings dauerhaft an und ist Kampf oder Flucht, wie im ersten Weltkrieg, nicht möglich, nimmt der gesamte Organismus Schaden. Nur wenig später, 1936, verwendete der österreichisch-ungarische Mediziner Hans Selye erstmals den Begriff „Stress“ für die unter dauerhafter psychischer Belastung und Anspannung eintretenden Veränderungen im Organismus. Er beschäftigte sich mit den Folgen von anhaltendem Stress auf Nervensystem und Organe.

Was hält den Menschen gesund?

Einen weiteren Weltkrieg später drängte sich in der Stressforschung die Frage auf, warum dieselbe belastende Situation bei verschiedenen Personen nicht die gleiche Stressreaktion bzw. ähnliche Spätfolgen hervorruft. So beobachtete der Soziologe Aaron Antonovsky bei Überlebenden der Konzentrationslager, dass rund zwei Drittel in der Folgezeit schwere psychische Erkrankungen entwickelten, ein Drittel aber trotz gleicher traumatischer Erlebnisse gesund blieb. Er entwickelte daraufhin das Konzept der Salutogenese, das erklärt, wie Gesundheit auch unter Belastung erhalten bleiben kann und welche Faktoren sie positiv beeinflussen.

Die aktuelle Debatte über Arbeitsbelastung, Leistungsdruck und Burnout zeigt, dass in der Stressforschung auch nach 100 Jahren noch unzählige Fragen offen sind: So geht es seit den 1970er Jahren u.a. darum, was für den Einzelnen Stress ausmacht, wann eine Belastung als Stress empfunden wird oder warum Stress nicht gleich Stress ist. Heute steht speziell der Stress am Arbeitsplatz, seine Vermeidung und die Entwicklung von Bewältigungsstrategien im Mittelpunkt der Forschung. 

Impressionen

Termin

Mittwoch, 24. September, 19 Uhr
Hörsaal Kopfklinik,
Eintritt und Parken frei.

Referent

Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart
Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin