Die Geschichte der Chirurgie in Heidelberg
Chirurgische Ordinarien
Maximilian Josef von Chelius
Ordinarius von 1818 bis 1864
* 16. Januar 1794 in Mannheim
† 17. August 1876 in Heidelberg
Maximilian Chelius´ wissenschaftliche Karriere war außergewöhnlich. Er begann mit 15 Jahren das Medizinstudium, studierte in Paris und Wien, promovierte mit 18 Jahren und wurde mit 23 Jahren Ordinarius (Inhaber eines Lehrstuhls an einer wissenschaftlichen Universität) für allgemeine und ophthalmologische Chirurgie (Ophthalmologie = Augenheilkunde). Diese Abfolge stellt zusammen mit der Tatasche einer insgesamt 46-jährigen Amtszeit einen deutschen, wenn nicht sogar einen Weltrekord einer akademisch-chirurgischen Karriere dar. Es ist nicht anzunehmen, dass diese Karriere zeitlich jemals überboten wird.
Chelius erhielt gegen den Widerstand der Heidelberger Anatomen, welche die Konkurrenz fürchteten, den Ruf auf den ersten chirurgischen Lehrstuhl an der Universität Heidelberg. Unter seiner Leitung nahm die chirurgische Universitätsklinik Heidelberg einen überregional bedeutsamen Aufschwung. Chelius praktizierte einen noch heute modernen Unterrichtsstil. Er unterrichtete am Bett der Patienten, was heute "bedside-teaching" genannt wird. Zu seinen berühmten Patienten gehörte Frédéric Chopin, der eine Fingervereiterung (Paronchie) erfolgreich behandeln ließ. Der geheilte Chopin gab darauf hin im Hause von Chelius ein Konzert.
Chelius praktizierte einen höflichen aber in der Sache festen Führungsstil. Im Jahre seines 50-jährigen Doktorjubiläums bat Chelius 1864 um Versetzung in den Ruhestand. Seine Vermögensverhältnisse hatten es ihm gestattet ein stattliches Haus in der Heidelberger Hauptstrasse, das heutige Kurpfälzische Museum zu erwerben. 1866 wurde er in den erblichen Adelsstand erhoben. Er verstarb am 17. August 1876 in Heidelberg.
Karl Otto Weber
Ordinarius von 1865 bis 1867
* 29. Dezember 1827 in Frankfurt am Main
† 11. Juni 1867 in Heidelberg
Karl Otto Weber wurde 1827 in Frankfurt geboren. Er studierte in Bonn und Paris und wandte sich neben der Medizin auch den Naturwissenschaften zu. 1853 konnte er sich im Fach Chirurgie habilitieren. Da der Bonner Lehrstuhl anderweitig vergeben wurde, widmete er sich vermehrt der Pathologischen Anatomie, wurde 1857 zunächst Extraordinarius und 1862 ordentlicher Professor der Pathologischen Anatomie.
1856 wurde Karl Otto Weber zum Nachfolger von Chelius auf den Lehrstuhl der Chirurgischen Universität Heidelberg gerufen. Die Medizinische Fakultät hatte sich als gut beraten erwiesen, auf diesen wichtigen Lehrstuhl einen Mann zu berufen, der aus dem damals jüngsten und sehr zukunftsträchtigen Gebiet der Medizin der damaligen Zeit kam, der pathologischen Anatomie. Weber beherrschte neben den chemischen Analysen alle anatomischen, histologischen und histogenetischen Möglichkeiten (Histologie: Wissenschaft von den Geweben des menschlichen Körpers; Histogenese: Ausbildung der verschiedenen Organgewebe aus undifferenziertem Embryonalgewebe). Mit seinem Amtsantritt in Heidelberg trennte Weber die bislang selbständige Augenklinik ab. Sein Eintreten für bauliche Veränderungen waren der Hauptanstoß zum Neubau des Klinikums in Heidelberg/Bergheim. Karl Otto Weber waren nur fünf Semester akademische Lehrtätigkeit und chirurgischen Wirkens vergönnt. Er starb am 11. Juli 1867, kaum 40 Jahre alt, an den Folgen eine Diphterie.
Gustav V. Simon
Ordinarius von 1867 bis 1876
* 30. Mai 1824 in Darmstadt
† 28. August 1876 in Heidelberg
Simon, geboren 30. Mai 1824, folgte Karl Otto Weber auf den chirurgischen Lehrstuhl der Universität Heidelberg. Gustav Simon hatte sich als praktischer Arzt und Militärchirurg ausgebildet, anschließend als niedergelassener Chirurg mit einer Gemeinschaftspraxis in Darmstadt. Er erwarb sich hier einen überregionalen Ruf als Fisteloperateur im Urogenitalbereich. Zahlreiche Publikationen entstanden auf dem Krankenlager, an das er wegen eines Hüftleidens phasenweise gefesselt war. 1861 wurde er als Ordinarius nach Rostock berufen. 1867 nahm er einen Ruf nach Heidelberg an.
Von seinem vielschichtigen Lebenswerk seien nur zwei wesentliche Ereignisse herausgegriffen: Simon gelang am 02. August 1869 die erste erfolgreiche Nierenentfernung der Welt in Heidelberg, nachdem der Eingriff in Tierversuchen trainiert wurde und damit unter Beweis geführt war, dass eine gesunde Niere allein die Ausscheidung im Menschen komplett übernehmen könne. Simon gilt als der eigentlich geistige Vater der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie wurde 1872 unter dem Vorsitz von Bernhard von Langenbeck in Berlin gegründet. Simon starb 1867, dem Todesjahr von Chelius.
Vincenz Czerny
Ordinarius von 1876 bis 1906
* 19. November 1842 in Trautenau
† 3. Oktober 1916 in Heidelberg
Vincenz Czerny, geboren 19. November 1842, folgte Gustav Simon auf den Lehrstuhl für Chirurgie an der Universitätsklinik Heidelberg. Vincenz Czerny galt als einer der markantesten und fortschrittlichsten Persönlichkeiten des auslaufenden 19. Jahrhundert. Durch Studien in Prag und Wien erwarb er eine breite naturwissenschaftliche Ausbildung. Die klinische Ausbildung begann er zunächst als Internist und wurde danach probeweise an die Billroth´sche Klinik nach Wien gesandt. Über Tierversuche zur Speiseröhre- und Kehlkopfchirurgie gelang ihm schließlich unter Billroth`s optimaler Förderung der endgültige Sprung in die Chirurgie. 1871 konnte sich Czerny in Wien für das Fach Chirurgie habilitieren. Im gleichen Jahr wurde er als chirurgischer Ordinarius nach Freiburg gerufen.
1877 wurde Czerny nach Heidelberg berufen, wo er eine neue neu errichtete Klinik leiten konnte. In seine Amtszeit fällt die Entwicklung erster Vollnarkoseformen und der Asepsis (Keimfreiheit von Wunden, Instrumenten, Verbandstoffen u.Ä.). Sein intensives experimentelles Programm diente im Wesentlichen der wissenschaftlichen Entwicklung einer praktischen Chirurgie. Er beschrieb zahlreiche Standardoperationen an Speiseröhre,- Magen- und Urogenitaltrakt sowie in der operativen Frauenheilkunde. In der Entwicklung der chirurgischen Bedeutung Heidelbergs wurde Czerny unter anderem von seinem oberärztlichen Pionier Hans Völcker tatkräftig unterstützt, der zahlreiche Selbsteingriffe selbst durchführte. Drei Rufe nach Prag, Würzburg und Wien hat Czerny abgelehnt. Die von ihm begründeten Jahresberichte sind mit Unterbrechungen bis heute Standard in der Heidelberger Klinik. Im Jahre 1906 trat Czerny zurück, um sich dem Aufbau des 1. Instituts für Krebsforschung zu widmen. Czerny starb knapp 74-jährig im Jahre 1916 an Folgen einer strahleninduzierten Leukämie.
Albert Narath
Ordinarius von 1906 bis 1910
* 13. September 1864 in Wien
† 15. August 1924 in Heidelberg
Albert Narath folgte Czerny auf den Lehrstuhl der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. Narath, geboren 13. September 1864, machte sich einen Namen als Anatom mit Studien über den Bronchialbau und verschiedenen Hernienformen. Sein Werk als Chirurg ist vielfältig und lässt keine echten Schwerpunkte erkennen. Seine Publikationen betreffen unter anderem Magenoperationen, Darmausschaltung, retroperitoneale Lymphzysten, Entwicklung eines künstlichen Kehlkopfes, Varikozelen-Operationen, zur Pneumatozele der Parotis und Omentumplastiken.
Narath war es nur wenige Jahre vergönnt die Heidelberger Klinik zu leiten. Bereits im Jahre 1910 musste er im Alter von 45 Jahren aus Gesundheitsgründen von seinem Amt zurücktreten. Die folgenden Jahre nutzte er zu weiteren wissenschaftlichen Publikationen. Er starb am 14. August 1924 in Heidelberg.
Karl Maximillian Willhelm Wilms
Ordinarius von 1910 bis 1918
* 5. September 1867 in Hünsdorf
† 14. Mai 1918 in Heidelberg
Max Wilms, geboren am 05. September 1867, sollte ursprünglich Jura studieren. Bereits nach einem Semester wechselte er zur Medizin über, die für ihn interessanter war. Nach der Promotion in Bonn mit einer Arbeit über die Ösophagusresektion (operative Entfernung der Speiseröhre), führte auch ihn der Weg zur Chirurgie über die Pathologische Anatomie. Aus dieser Zeit in Giesen stammt die Monografie über die Mischgeschwülste, die seinerseits großes Aufsehen erregte. Wilms entwarf ein einfaches Quecksilbermanometer zur Druckmessung im Spinalkanal, den Vorläufer der heutigen Hirndrucksonde.
1899 habilitierte sich Wilms und wurde durch seine Arbeit "Ileus aus chirurgischer Sicht" rasch bekannt (Ileus: Darmverschluss). 1907 wurde er als Ordinarius nach Basel gerufen. 1910 nahm er den Ruf als Nachfolger Naraths an die Universitätsklinik Heidelberg an. In der Folgezeit geben zahlreiche Publikationen Auskunft über sein Wirken. Sein Arbeitsschwerpunkt ergab sich in der Röntgendiagnostik sowie der Strahlenbehandlung von Tumoren sowie der Tuberkulose. Für die Behandlung der Tuberkulose führte er die Lungenkompression nach Rippenteilresektion (teilweise Entfernung von Rippen) ein. Sein Lehrbuch erreichte sieben Auflagen und wurde in sechs Sprachen übersetzt.
Wilms musste die Klinik in der schwierigen Zeit des 1. Weltkrieges leiten. Am 14. Mai 1918 starb Wilms an einer Diphterie, die er sich bei der Behandlung eines französischen Kriegsgefangenen zugezogen hatte.
Eugen Enderlen
Ordinarius von 1918 von 1933
* 21. Januar 1863 in Salzburg
† 7. Juni 1940 in Stuttgart
Eugen Enderlen, geboren am 21. Januar 1863, studierte Medizin in München. Seine Dissertation über den Durchtritt pathogener Keime durch die intakte Lungenoberflache anhand der Milzbrandsporen war der Beginn eines großen wissenschaftlichen Lebenswerkes. 1895 habilitierte er in Greifswald, wobei er wegen zahlreicher hervorragender Publikationen keine Habilitationsschrift vorlegen musste. 1899 wurde Enderle zum Außerordentlichen Professor ernannt und folgte 1904 im Alter von 41 Jahren dem Ruf nach Basel. 1908 wechselte er an die Universitätsklinik Würzburg. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche klinische und tierexperimentelle Arbeiten über Gefäß- und Organtransplantationen, Bluttransfusionen, Ileus- und Appendizitis (Blinddarmentzündungen).
Im 1. Weltkrieg war Enderlen Generalarzt und begründete wissenschaftlich die obligatorische Notfall-Laparotomie bei allen Bauchschüssen (Laparotomie: Bauchschnitt).
1918 übernahm er das Heidelberger Ordinariat für Chirurgie. Aus seiner Zeit entstammen gemeinsam mit dem bedeutenden Heidelberger Internisten Ludolf Krehl wichtige Arbeiten und viele wissenschaftliche Mitteilungen. Mit Krehl führte er Denervierungsoperationen am Herzen und Blockaden der Ganglia stellata (Nervenknoten am Hals) durch. Er brachte die Transplantation von Gefäßen und Leichenknochen zur klinischen Anwendung. Enderlen differenzierte Operationsindikationen beim Ulcus- und Gallensteinleiden an, die im wesentlichen heute noch Bedeutung besitzen. Enderlen trat 1932 zurück. Er zog mit einem schweren Herzleiden nach Stuttgart. Am 07. Juli 1940 starb er tragischerweise nach einem schmerzlindernden Eingriff wegen eines Darmverschlusskarzinoms, das zu einem akuten Darmverschluß geführt hatte.
Martin Kirschner
Ordinarius von 1933 bis 1942
* 28. Oktober 1879 Breslau
† 30. August 1942 in Heidelberg
Martin Kirschner, geboren am 28. Oktober 1879 in Breslau, entstammte einer Chirurgenfamilie. Er begann sein Medizinstudium in Freiburg und wechselte anschließend nach Straßburg, dort promivierte er mit einer Arbeit über die Syringomyelie (eine Erkrankung des Rückenmarks) und die Tabes dorsalis (Rückenmarksschwindsucht). Seine ärztliche Laufbahn begann er als Internist. Als Chirurg fing er 1908 in Greifswald bei Payer an. Nach einem Wechsel nach Königsberg habilitierte er sich 1911 mit einer Arbeit über die freie Sehnen- u. Faszien-Transplantation. 1916 übernahm er das chirurgische Ordinariat in Königsberg, wo ihm am 18. März 1924 erstmals in der Geschichte der Chirurgie eine erfolgreiche Embolektomie (Entfernung eines in der Blutbahn befindlichen Fremdkörpers) aus der Lugenarterie gelang. 1927 folgte er einem Ruf an die Universität Tübingen. Den 1932 ergangenen Ruf nach Heidelberg lehnt er zunächst ab, da er die von ihm geforderte Zusage für einen sofortigen Klinikneubau, die schon bei Enderlen gegeben und nicht eingehalten worden war, vorerst nicht erhielt. Den zweiten Ruf nach Heidelberg mit verbindlicher Zusage des Klinikneubaus 1933 nahm er an. 1939 konnte er in die damals hochmoderne Klinik im Neuenheimer Feld einziehen. Hier befindet sich die Klinik noch heute.
Kirschners Arbeitsgebiete erstrecken sich auf fast alle Gebiete der Chirurgie. Seine Lieblingsthermen waren Gewebetransplantation, Osteosynthese (operative Verbindung der Endstellen eines Knochenbruchs durch mechanische Hilfsmittel, z.B. den Kirschner Draht), Ösophaguschirurgie (Magenhochzug nach Kirschner), Rektumtisch (Kirschner Tisch) und die Prostatachirurgie. Er entwickelte zahlreiche lokale und regionale Anästhesieverfahren. Als weitere Pioniertat führte Kirschner 1936 eine einseitige Lungenlappenentfernung bei freiem Brustfellraum durch. Besonders hervorgehoben werden sollte die Verfassung der Kirschner´schen Operationslehre, die auch heute noch ein hervorragendes chirurgisches Nachschlagewerk darstellt.
Karl Heinrich Bauer
Ordinarius von 1943 bis 1962
* 26. September 1890 in Schwarzdorf
† 7. Juli 1978 in Heidelberg
Am 26. September 1890 wurde Karl Heinrich Bauer geboren. Nach dem Medizinstudium in Erlangen, Heidelberg und München kam er 1914 in Würzburg zu Examen und Promotion. Nach dem 1. Weltkrieg, in dem er Truppenarzt war, ging er zu Aschoff an das Pathologische Institut in Freiburg. Er empfing dort die ersten Voraussetzungen für seine humangenetischen und konstitutionsbiologischen Studien, deren Problematik ihn sein ganzes Leben begleitet hat. 1919 kam er in Göttingen zur Chirurgie und konnte sich 1923 habilitieren. 1928 publizierte Bauer seine erste umfassende Krebstheorie. Er wurde 1933 als Ordinarius nach Breslau berufen. Hier beeinflussten die Unfall- und Kriegschirurgie zunächst seinen Forschungsbereich zentral.
Am 1. Januar 1943 übernahm Bauer die neue Heidelberger Klinik. Nach der Kriegszeit wurde mit dem Einmarsch der Amerikaner in Heidelberg die Universität geschlossen. Unter Bauers Führung und mit neuer Satzung konnte die Heidelberger Universität jedoch als erste Deutsche Universität bereits am 15. August 1949 wieder geöffnet werden. Bauer wurde der erste Direktor der neuen Universität.
In Heidelberg weitete Bauer seine Geschwulstforschung in der Unfallchirurgie weiter aus. Bereits 1949 erschien eine umfassende Publikation der onkologischen Forschungsprobleme- und Ergebnisse: "Das Krebsproblem". 1963 erschien eine erweiterte Monografie, die seinem Namen in der Onkologie ein internationales Renommee verlieh. Karl Heinrich Bauer gilt heute als einer der Wegbereiter der modernen Onkologie. Die Mitbegründung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg 1968 war Krönung dieses Lebenswerkes. Bauer gilt auch als der Nestor des modernen Rettungsdienstes. Die Einrichtung des sogenannten Klinomobils, eines fahrenden chirurgischen Operationssaales, war in Deutschland einmalig. In steter Fortentwicklung dieses Systems wurde das heutige Rendezvous- Rettungssystem (Krankenwagen trifft auf Arztmobil) erfunden und eingesetzt, das mit unserem Notarztwagen HD 10 aus Heidelberg nicht mehr wegzudenken ist und auch im internationalen Rettungswesen Schule gemacht hat. Karl Heinrich Bauer wurde 1962 emeritiert, er starb am 7. Juli 1978 an den Folgen eines metastasierenden Prostatakarzinoms. Eine Büste von ihm steht auf dem Verbindungsgang der Klinik zu den chirurgischen Stationen 1 und 2.
Fritz Linder
Ordinarius von 1962 bis 1981
* 3. Januar 1912 in Breslau
† 10. September 1994 in Heidelberg
Fritz Linder wurde am 3. Januar 1912 als Sohn pfälzischer Eltern in Breslau geboren. Er studierte Medizin in Freiburg, Bristol und Breslau, wo er 1936 das Staatsexamen ablegte und promovierte. Schon während seiner Studienzeit erwies sich der hochgewachsene Linder als Leichtathletik-Ass. Neben Siegen im 400-Meter-Lauf gelten seine Goldmedaillen an den englischen Studentenmeisterschaften im Wembley-Stadion im Kugelstoßen und Speerwerfen für die Universität Bristol als herausragende Leistungen. Sie erleichterten ihm später eine akademische Beziehung zur angelsächsischen Welt.
Als Vorbereitung für die Chirurgie war er am Pathologisch-Anatomischen Institut in Breslau und an der Medizinischen Klinik in Frankfurt tätig, wo er vorwiegend experimentelle Fragen des renalen Drosselungs-Hochdruck bearbeitete (renal: die Nieren betreffend). 1938 begann er seine Chirurgenlaufbahn unter Bauer in Breslau, dem er nach sechsjähriger militärärztlicher Tätigkeit 1945 nach Heidelberg folgte. 1951 wurde er als Ordinarius an die Freie Universität Berlin berufen. In der Pflege der Allgemeinen Chirurgie konnte dort durch den fortbestehenden ärztlichen Kontakt mit der angloamerikanischen Medizin, insbesondere Professor Bill Longmeyer, Los Angeles, ein führendes operatives Herz- und Gefäßzentrum aufgebaut werden. 1962 folgte er dem Ruf nach Heidelberg.
Unter seiner Führung wurde in Heidelberg die strukturelle Entwicklung der chirurgischen Klinik in ein modernes Departementsystem eingeschlagen. Zur Regelausbildung für vielversprechende Assistenten gehörte seit dieser Zeit die wissenschaftliche Zusatzausbildung vieler Mitarbeiter im Ausland, meist in den USA. Linders Hauptanliegen seiner Amtszeit war die Vereinheitlichung der onkologischen Behandlungsstrategien. Er war langjähriger Leiter des Heidelberg/Mannheimer Tumorzentrums. Linder wurde 1981 emeritiert. Eine Büste wurde im Verbindungsgang zu den Stationen 1 und 2 aufgestellt.
Christian Herfarth
Ordinarius von 1981 bis 2001
* 12. August 1933 in Breslau
† 02. September 2014 in Heidelberg
Christian Herfarth wurde am 12. August in Breslau geboren und teilt somit seine Vaterstadt mit den Ordinarien-Vorgängern Kirschner und Linder. Nach Studium in Tübingen, Wien und Hamburg bestand er 1957 sein Staatsexamen und promovierte im gleichen Jahr mit "summa cum laude". Nach Abschluss der Medizinalassistentenzeit begann er seine chirurgische Laufbahn 1960 bei Max Schwaiger in Marburg, wo er sich 1966 habilitierte. Nach dem Wechsel mit M. Schwaiger nach Freiburg im Jahr 1968 nahm Ch. Herfarth 1973 den Ruf auf den chirurgischen Lehrstuhl der Universität Ulm an. Dort begründete er seine drei klinisch-wissenschaftlichen Hauptstandbeine: die chirurgische Onkologie, gastroenterologische und endokrine Chirurgie.
1981 wurde Christian Herfarth als ordentlicher Professor für Chirurgie an die Universität Heidelberg berufen. Unter seiner Leitung wurde die Bedeutung Heidelbergs als Onkologisches Zentrum erheblich verbreitert und vertieft. Auch auf dem Gebiet der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sowie der chirurgischen Endokrinologie baute er den Ruf Heidelbergs als Referenzzentrum aus. Nicht zuletzt durch seine Initiativen wurde Heidelberg Transplantationszentrum Baden-Württembergs, und das seit 1967 existierende Nierentransplantationsprogramm wurde auf die Leber (16.Juni 1987), das Herz (21.Juni 1989) und das Pankreas (21. Mai 1992) erweitert.
Es ist ein großer Verdienst von Professor Christian Herfarth als akademischer Chirurg, immer wieder wissenschaftlichen und praktischen Paradigmenwechsel für die Chirurgie frühzeitig erspürt zu haben. Die Bedeutung der Chirurgie und ihrer wissenschaftlichen Aufgaben hat er selbstbewußt und souverän vertreten, auch gerade wenn es galt, neuartige Methoden, wie z. B. die Molekularbiologie, für chirurgische Forschungsziele einzubinden. Er war deshalb in der Lage, immer sehr rasch fachliche und strukturell erforderliche Konsequenzen aus Neuerkenntnissen und Entwicklungen für die chirurgische Patientenversorgung und Forschung abzuleiten. 1987/88 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie). 1997/98 wurde er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Krebsgesellschaft.
Professor Ch. Herfarth wurde am 30. September 2001 emeritiert. Als sein Nachfolger im Amt wurde Professor Dr. Markus W. Büchler bestimmt. Auch nach der Emeritierung stand Professor Herfarth der Klinik beratend, besonders für strukturelle und wissenschaftspolitische Fragen, weiter zur Verfügung. Im Jahr 2009 wurde eine Büste von Professor Herfarth im Verbindungsgang zu den Stationen 1 und 2 aufgestellt.
Markus Wolfgang Büchler
Ordinarius seit 2001
Für ein ausführliches Curriculum vitae von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Markus W. Büchler klicken Sie hier.
Nachruf
In memoriam
Prof. Dr. med. Dr. med. h.c. Christian Herfarth
12. August 1933 – 02. September 2014
Am 2. September diesen Jahres erreichte uns die Nachricht vom Tod Christian Herfarths.
Wir, die Schüler, Wegbegleiter und Freunde waren erschüttert und unser tiefes Mitgefühl lag und liegt bei seiner Familie.
Wir haben einen hervorragenden Chirurgen, einen dynamischen Gestalter chirurgischer Forschung, einen hoch anerkannten Lehrer und Mentor verloren. Christian Herfarth hat wie kaum ein anderer seiner Generation die Geschicke der Chirurgie in unserem Land bestimmt. Wer ihn persönlich kennenlernen durfte, war von seiner Ausstrahlung beeindruckt und hat die Momente der Begegnung im Gedächtnis gespeichert.
Er hatte das, was im chirurgischen Leitungsamt so dringend gefordert wird, nämlich die Persönlichkeit, die den Zuhörer, den Mitarbeiter und den Zeitgenossen in den Bann zieht.
Christian Herfarth wurde am 12. August 1933 in Breslau geboren und teilte die Vaterstadt mit seinen Ordinarien-Vorgängern in Heidelberg, Martin Kirchner und Fritz Linder. Nach dem Medizinstudium in Tübingen, Wien, Hamburg und Heidelberg erfolgte die Promotion im Jahre 1957 (summa cum laude) zur Rolle des Intracapillären Bindegewebes in den Glomerula der Niere. Die Jahre 1958 und 1959 verbrachte er als Assistent in der Pathologie der Universität in Heidelberg. Seine chirurgische Laufbahn begann er 1960 bei seinem Lehrer Max Schwaiger in Marburg, wo er 1965 die Facharztreife für Chirurgie erlangte und 1966 die Habilitation zum Thema „Pathophysiologie der Leber unter besonderer Berücksichtigung des Lebertraumas und der Hypothermie“ erstellte. Mit 33 Jahren in der Chirurgie zu habilitieren war damals durchaus ungewöhnlich. 1968 wechselte er mit seinem Lehrer Max Schwaiger an die Chirurgische Universitätsklinik Freiburg und wurde dort 1970 zum leitenden Oberarzt ernannt.
1973 folgte Christian Herfarth dem Ruf auf das Ordinariat für Allgemeinchirurgie der Universität Ulm. Die Krönung seiner chirurgisch-akademischen Karriere war dann 1981 der Ruf an die Universität Heidelberg und die Ernennung zum Ordentlichen Professor und Direktor der Klinik für Allgemeine Chirurgie, Unfallchirurgie und Poliklinik da selbst.
Christian Herfarth war Pionier und Meister seines Faches zur gleichen Zeit. Sein besonderes klinisches Interesse galt der onkologischen Chirurgie, den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sowie den Erkrankungen der Leber, welche zur Transplantation führen.
Meilensteine in seinem beruflichen Leben waren die Gründung des Tumorzentrums in Ulm (1975), der Aufbau einer psychosozialen Behandlungseinheit für Krebspatienten in Heidelberg (1981), die Etablierung der Lebertransplantation in Heidelberg (1987), die Einrichtung eines chirurgischen Referenzzentrums für chronisch entzündliche Darmerkrankungen in Heidelberg (1990) und die Etablierung einer chirurgisch molekularbiologischen Forschergruppe zum Studium erblicher Tumorerkrankungen (Heidelberg 1990).
Christian Herfarth war Präsident hochangesehener Fachgesellschaften, wie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungsund Stoffwechselkrankheiten. Er wurde zum Ehrenmitglied prominenter internationaler Chirurgengesellschaften ernannt. Zu nennen sind hier das American College of Surgeons, die Association Francaise de Chirurgie, die American Surgical Association und die Chirurgen-Gesellschaften Griechenlands, Österreichs und Polens.
Christian Herfarth war Herausgeber zahlreicher chirurgischer Zeitschriften. Er hat unser führendes Organ, die Zeitschrift Der Chirurg von 1982 – 2004 in jeder Hinsicht prägend gestaltet.
Im November 2000 wurde Christian Herfarth das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Dies als besondere Würdigung seines akademischen Lebenswerkes. Der Bundespräsident schrieb damals: „Sie, Herr Professor Herfarth, stehen beispielhaft für ein lebenslanges Streben nach der kausalen Analyse chirurgischer Erkrankungen, nach objektiven Kriterien für das eigene Handeln, nach Abstraktion in der Alltagsroutine, sowie nach nie erlahmender Innovation und charismatischer Motivation der jüngeren Chirurgengeneration.“
Christian Herfarth hat die langjährige Tradition der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg mit großem persönlichem Erfolg fortgesetzt. Aus seiner Chirurgenschule sind über 50 Habilitanden, über 30 Chefärzte und 6 Lehrstuhlinhaber hervorgegangen.
1993 durfte ich Christian Herfarth anlässlich einer 2-wöchigen Hospitation an der Chirurgischen Uniklinik Heidelberg kennenlernen. In diesen wenigen Tagen sah ich einen außergewöhnlich eleganten Chirurgen, eine unbestrittene und hocherfahrene FührungspersoÅNnlichkeit und einen Meister der chirurgischen Intuition. Die Mischung aus Disziplin und Humor war damals wegweisend für mich.
Nach seiner Emeritierung im Jahre 2001 hat Christian Herfarth mich sehr wohlwollend in Heidelberg aufgenommen und begleitet. Daraus entstand eine aufrichtige Freundschaft.
Wir blicken zurück auf ein großes chirurgisches Lebenswerk mit Trauer, einem ehrenvollen Gedenken, aber auch mit Freude und Zuversicht über das für die Zukunft der Chirurgie Erreichte.
Markus Büchler