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Begrüßung GIH 2009

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist mir eine Ehre und Freude den 21. Kongress der Deutschen Kontinenzgesellschaft zu eröffnen.

Kontinenz und insbesondere Inkontinenz sind neben der medizinischen Diagnose auch gesellschaftliche Begriffe, die bis heute immer noch mit einer gewissen Scheu und Zurückhaltung diskutiert werden. Damit werden instinktiv häufig auch diagnostische und therapeutische Defizite assoziiert.

Um ihnen in aller Kürze zu zeigen wie erfolgreich Medizin und insbesondere Chirurgie sein kann, zitiere ich Johann Friedrich Dieffenbach aus seinem Buch "Operative Chirurgie" aus dem Jahre 1845, verlegt bei Brockhaus in Leipzig. Erstenr Band, Kapitel über die "Operation der Blasenscheidenfistel": "Eine Blasenscheidenfistel ist für ein Weib das größte Unglück und besonders deshalb, weil es verdammt ist damit zu leben und nicht einmal die Aussicht hat daran zu sterben... Alle Familienbande zerreisst dies scheusliche Übel. Der Mann wird mit Widerwillen gegen sein eigenes Weib erfüllt, und die zärtlichste Mutter dadurch aus dem Kreis ihrer Kinder verbannt. Sie hütet ihr einsames Kämmerchen und sitzt dort in der Kälte auf einem durchlöcherten Bretstuhl. Das ist nicht Dichtung, sondern die nackte Wahrheit. Bei einigen dieser Unglücklichen tritt Indolenz, bei anderen Resignation und kalte Ergebung in ihr Schicksal ein."

Diese furchtbaren Folgen einer totalen Harninkontinenz führten schließlich dazu, daß die erste operative Entfernung einer Niere überhaupt im Jahre 1869 von Gustav Simon in Heidelberg wegen einer Harnleiter-Scheiden Fistel durchgeführt wurde - heutzutage eine undenkbare Indikation wegen einer Harninkontinenz eine Niere zu entfernen.

Vergleichen wir die damaligen Zustände mit der heutigen Situation, so erkennen wir klar die großartigen Fortschritte, die die Medizin bis heute in diesem Bereich wie überall sonst auch gemacht hat und wie selbstverständlich und erfolgreich wir heute selbst mit komplexesten Krankheitsbildern des unteren Harntrakts umgehen können.

Meilensteine dieser Entwicklung sind beispielsweise eine moderne Rehabilitationsmedizin, selektiv und supersselektiv wirkende Medikamente mit geringen und akzeptablen Nebenwirkungen und präzise und sichere operative Techniken wie z.B. die Injektion von Botulinum Toxin in die Blase, alloplastische Bänder, der künstliche Schließmuskel, laparoskopische und jetzt auch robotische Operationsmethoden und nicht zuletzt die kontinente Harnableitung, bei der die gesamte Blase ersetzt werden kann.

Aus medizinischer Sicht stehen uns also aktuell bereits eine Vielzahl von Möglichkeiten für eine differenzierte Diagnostik und Therapie zur Verfügung.

Entsprechend muss es heute ebenfalls unsere ärztliche Aufgabe sein, diese Möglichkeiten den betroffenen Patienten und ihrem Umfeld nahe zubringen. Es ist tragisch, dass beispielsweise bis heute viele Frauen der Meinung sind, dass Inkontinenz ein normaler - in gewissem Maße Alters assoziierte Zustand - sein muss. Die Gründe dafür sind vielfältig und möglicherweise in dem schleichenden Fortgang der Erkrankung, der Gewohnheit ab und zu eine Binde zu tragen und auch in der Beobachtung der vorherigen Gerneration versteckt. Für einen Mann dagegen ist Inkontinenz meist ein akutes und deshalb erkennbar krankhaftes Ereignis.

Dieser Hinweis auf unsere gesellschaftspolitische Verantwortung soll natürlich keinesfalls bedeuten, dass es nicht gerade auch auf dem Gebiet von Kontinenz und Inkontinenz noch beträchtliches klinisches und wissenschaftliches Entwicklungspotential gibt. Im Endeffekt müssen sich hier alle beteiligten Fächer wie Urologie, Chirurgie, Gynäkologie etc. als Teil der modernen rekonstruktiven Medizin verstehen. In Anbetracht der gewaltigen und immer schneller weiter steigenden Aufwendungen für Krebsforschung und -Therapie wird uns nur diese große Klammer in Zukunft erlauben auch im Bereich Rekonstruktion über die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen zu verfügen. Alle Beteiligten haben ein gemeinsames Ziel: den betroffenen Menschen ihre körperliche Integrität und damit – im weiteren Sinne des von C.G. Jung formulierten Selbstbewußtseins - auch ihre Identität zurückzugeben.

Berufspolitisch müssen wir angesichts dieser großen gemeinsamen Herausforderung an einem Strang ziehen – alles andere würde nur die Versorgung unserer Patienten gefährden.

In diesem Geiste wünsche ich uns allen einen fachlich interessanten und menschlich erfolgreichen Kongress. Ich danke Ihnen sehr, daß Sie gekommen sind.