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Psychologische Aspekte

Querschnittlähmung als Kritisches Lebensereignis

Der Eintritt einer Querschnittlähmung, unabhängig von ihren Ursachen (Unfall oder Krankheit), stürzt den Betroffenen in eine tiefe Lebenskrise. Nicht vorhersehbar oder planbar, wie aus heiterem Himmel überfällt und überwältigt sie den Menschen. Von heute auf morgen, mit einem Schlag ist das bis dahin normale Leben, die normale Wirklichkeit des Menschen massiv infrage gestellt. Alles, was bis dahin vertraut, bekannt und beherrschbar gewesen ist, gilt so nicht mehr. Nichts mehr ist selbstverständlich und so, wie es war.

Fragen, mit denen sich der Querschnittgelähmte auseinandersetzen muß

  • Kann ich so weiterleben wie bisher?
  • Sind Beruf, Wohnung, Interessen oder Hobbys behinderungsgerecht?
  • Wie werden sich LebenspartnerInnen, Eltern, Verwandte und Freunde verhalten?
  • Was wird aus meiner Zukunftsplanung?
  • Wie kann ich mit der entstandenen Abhängigkeit von anderen Menschen und technischen Gegebenheiten fertig werden?
  • Wie kann ich jetzt noch meinen Körper akzeptieren, wenn ich ihn zum Teil nicht mehr fühle, wenn er verändert aussieht?

Mit diesen oder ähnliche Fragen muß sich ein Patient unvorbereitet und sehr hautnah täglich auseinandersetzen.

Besonders schwerwiegend ist dies für die meisten Patienten im Bereich der alltäglichen Pflege und Selbstversorgung: Blasen- und Darmkontrolle sind sehr häufig gestört. Der Stellenwert dieser Funktionen steigt jetzt sprunghaft an. Besonders beschämend ist für die meisten Patienten die Abhängigkeit von Hilfspersonen beim Abführen und Wasserlassen oder die Angst, in unpassenden Moment auszulaufen.

Der Mensch als Ganzes ist verletzt

Die Auswirkungen eines solchen Ereignisses betreffen den Menschen in allen Bereichen seiner Existenz, den körperlichen, den seelischen, den geistigen und den sozialen: mit einer Querschnittlähmung ist der Mensch als Ganzes verletzt. Als nicht unmittelbar oder mittelbar Betroffener kann man sich wohl kaum richtig vorstellen, wie fundamental eine solche existenzielle Erschütterung ist. An dieser Stelle soll erklärt und verdeutlicht, und damit verstehbar werden, wie Menschen auf eine solche Erschütterung reagieren und wie sie sie in einem länger dauernden Prozeß bewältigen können.

Das Ausmaß der seelischen Belastung

Diese massiven physischen (körperlichen) und psychischen (seelischen) Veränderungen führen in der Regel zu einer gesteigerten Empfindsamkeit und vermehrter Angst vor neuen Verletzungen: fast alles wird als bedrohlich erlebt. Die betroffene Person ist stark erschüttert, das Selbstvertrauen und das Vertrauen in andere und in die Welt leidet. Vorwürfe, Wut, Zorn, Hass, Zerstörungstendenzen bis bis hin zur Suizidalität (Selbstmordgedanken) sind oft die Folge.

Körper und Seele brauchen Ruhe und Zeit, um die erlittenen Verluste zu betrauern. Diese Trauerarbeit ist notwendige Voraussetzung, um kritisch Bilanz ziehen zu können und neue Wege und Ziele zu finden. Das bedeutet auch, daß diese gefühlsmäßigen Reaktionen, die für die oder andere ungewohnt heftig zu sein scheinen und Ihnen vielleicht fremd sind, nicht Ausdruck von etwas „Unnormalem“, „Krankem“ sind, sondern ganz „gesunde“, normale Reaktionen auf eine solch veränderte Situation, notwendig, um die geforderte Anpassungsleistung zu vollbringen.

Persönliche Verarbeitung

Die Akutphase

Wie stellt sich dieser Prozeß zum Beginn der Lähmung dar? In der sogenannten Akutphase liegt der Patient in einem Krankenhausbett, im Falle eines Unfalls vermutlich auf Intensivstation, im Falle einer Erkrankung möglicherweise auch auf Normalstation. Nur wenigen Menschen ist gleich nach Lähmungseintritt klar, daß es sich hier um eine relativ endgültige und
drastische Veränderung des Lebens handelt. Die meisten hoffen zu diesem Zeitpunkt noch auf Heilung und damit auf Wiederherstellung ihres bisherigen und gewohnten körperlichen Zustandes. Diese anfängliche Hoffnung wird oft auch dadurch genährt, daß operative Eingriffe wie z. B. die Stabilisierung der Wirbelsäule bereits erfolgt sind oder noch bevorstehen. Manchmal machen auch die behandelnden Ärzte entweder Hoffnungen oder nur vage Aussagen über die zukünftige Entwicklung. Oft ist aber der Betroffene auch nur allzu gern bereit, alle positiven Aspekte überzubewerten.

Die Liegephase

Nach erfolgter Operation oder im Falle der immer seltener werdenden konservativen Ausheilung der knöchernen Verletzungen der Wirbelsäule schließt sich der Akutphase die sogenannte Liegephase an. In der Regel befindet sich der Patient spätestens zu diesem Zeitpunkt in einem Querschnittzentrum. Vom Bett aus kann er die Mitpatienten beobachten und wird immer stärker mit seiner eigenen Situation konfrontiert.

In diesen beiden Phasen nimmt der Patient, der vorher gesund war, zwangsläufig eine Krankenrolle ein. Er wird also vom Gesunden zum Kranken und muß lernen, sich passiv versorgen zu lassen. Dies wird sogar von ihm gefordert. Doch vielen fällt der Umgang mit dieser Passivität nicht leicht. Sie fühlen sich abhängig und dem behandelnden Team ausgeliefert, empfinden
Scham und Hilflosigkeit bei alltäglichen und intimsten Verrichtungen wie Blasen- und Darmentleerung Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Langsam realisieren sie den Verlust von Beweglichkeit, Empfindungsfähigkeit, Selbständigkeit und Privatsphäre. Diese wachsende Einsicht in die Realität wird jedoch immer wieder durchkreuzt von Hoffnungen auf Besserung
oder gar Heilung.

Die Mobilisierungsphase

Durch die heutigen operativen Möglichkeiten der Stabilisierung der Wirbelsäule dauert die Liegephase inzwischen nur noch einige Tage oder wenige Wochen. Es schließt sich die sogenannte Mobilisierungsphase an. Hier muß der Patient seine bisherige passive Krankenrolle aufgeben und eine neue Rolle einnehmen, die des aktiven Behinderten. Erst jetzt wird die konkrete Bedeutung der Behinderungen für ihn in vollem Ausmaß sichtbar, fühlbar und erlebbar. Gleichzeitig wird von ihm zunehmend aktive Mitarbeit, Motivation und Initiative verlangt. Er soll die neue Situation als Herausforderung begreifen und annehmen. Einerseits wird der Patient jetzt aus seiner Abhängigkeit ein Stück „befreit“, andererseits bedeutet dieses Ende
der „Schonzeit“ aber auch ein schmerzhaftes Realisieren und eine zunehmend gefühlsmäßige Auseinandersetzung mit der neuen Situation. Der Weg der Mobilisierung erfolgt in kleinen Schritten bis hin zur ganztägigen Rollstuhlbelastung.

„Äußere“ und „Innere“ Bewältigung

Diese Beschreibung war die Beschreibung eines äußeren Prozesses, dessen Phasen sich vornehmlich an den medizinisch-rehabilitativen Erfordernissen der Behandlung orientierten. Parallel zu diesen äußeren Phasen laufen nun aber die sogenannten inneren Phasen der seelischen Behinderungsbewältigung ab. Patienten in diesen Phase erkennen sich oft nicht wieder, verstehen sich selbst nicht oder können sich ihre Gefühle oder Verhalten nicht erklären. Wenn wir im folgenden den inneren Prozeß der Bewältigung mit seinen verschiedenen Phasen beschreiben wollen, müssen wir natürlich auch warnen: kein Verlauf gleicht dem anderen, es gibt große individuelle Spielräume, infolgedessen sind auch keine Patentrezepte möglich. Die Menschen sind schon vor ihrer Querschnittlähmung unterschiedlich und nach ihrer Lähmung auch. Die Querschnittlähmung macht die Menschen nicht gleich.

Das Phasenmodell der Bewältigung

Beispielhaft möchte ich den seelischen Verarbeitungsprozeß eines Querschnittgelähmten mit einem in der Wissenschaft sehr bekannten Phasenmodell vergleichen, daß Ihnen auf den ersten Blick vielleicht übertrieben oder unangemessen vorkommen mag: das Phasenmodell des Sterbens, wie es Frau Elisabeth Kübler-Ross aus ihren Erfahrungen durch ihre Interviews mit
Sterbenden formuliert hat.

„Der Sturz aus der normalen Wirklichkeit“

Die Parallelen zwischen den Phasen der Behinderungsbewältigung einer Querschnittlähmung, den Phasen der Bewältigung der Diagnose einer Krebserkrankung oder den Phasen des Sterbens sind sehr groß. Gerdes hat den psychischen Zustand eines Patienten, der eine Krebsdiagnose mitgeteilt bekommt, als einen „Sturz aus der normalen Wirklichkeit“ bezeichnet, einen Sturz, der eine völlig neue Suche nach Sinn notwendig macht. Obwohl auch er nicht vom Sterben, sondern von einer Diagnosemitteilung spricht, stellte er seiner Argumentation die Anfangszeilen eines Gedichtes aus 1001 Nacht vor: „die Menschen schlafen solange sie leben. Erst in ihrer Todesstunde erwachen sie“. (Gerdes, N.: Der Sturz aus der normalen Wirklichkeit und die Suche nach Sinn. In: W. Schmidt (Hrsg.): Jenseits der Normalität. Leben mit Krebs. Chr. Kaiser Verlag, München 1986).

Auch der Querschnittgelähmte stürzt schmerzhaft aus der Traumwelt seines bis dahin selbstverständlichen Lebens und der Unversehrtheit seines Körpers, und erwacht. Auch er muß sich, wie ein Patient, der eine Krebsdiagnose erfährt, einer völlig veränderten Situation stellen. Selbst wenn eine Querschnittlähmung seit über drei Jahrzehnten kein Todesurteil mehr bedeutet, bedeutet es für den Patienten eben doch, daß das Leben in seiner bisher gewohnten Form aufhört. Das erfordert eine extrem große Anpassungs- und Verzichtleistung, sich ein neues Leben nach diesem „kleinen„ Tod überhaupt vorstellen zu können bzw. es zu wagen.

Das Phasenmodell von Kübler-Ross

Kübler-Ross hat ein Phasenmodell des Sterbens beschrieben, das notwendig für eine Akzeptanz
des Sterbens sei. Diese Phasen sind:

  • Schock und Fassungslosigkeit mit Verleugnung der Situation.
  • Ärger und Schuldzuweisung als zweite Phase.
  • Feilschen um Gesundung als dritte Phase.
  • Depression, Niedergeschlagenheit und Rückzug, eventuelle Selbstmordgedanken.
  • Schließlich manchmal, aber nicht immer die Akzeptanz der Situation.
Querschnittlähmung als „Sterben der alten Existenz“

Wenn Sie hier „Sterben“ durch „Querschnittlähmung“ ersetzen, gilt dieses Modell durchaus zum Verständnis der psychischen Bewältigung einer Querschnittlähmung. Die seelische Verarbeitung einer Querschnittlähmung muß natürlich nicht genau in dieser Reihenfolge ablaufen, Phasen können sich wiederholen oder übersprungen werden, es ist kein mechanisches Modell. Es gibt nur einen Hinweis auf die vielfältigen seelischen Erlebens- und Reaktionsweisen. Wie gesagt, die Reihenfolge und die Zeitdauer der Phasen können stark variieren und meistens wird die letzte Phase, die der Akzeptanz nur spät während des Klinikaufenthaltes oder danach erreicht. Dies ist oft auch abhängigen von der sozialen und familiären Situation des Patienten und/oder seiner Persönlichkeit.

Phasen der seelischen Bewältigung bei Querschnittlähmung

Schock, Fassungslosigkeit, Verleugnung

In der ersten Zeit nach dem Unfall ist der Patient nicht nur körperlich, sondern auch seelisch geschockt. Er kann den Umfang die Folgen nicht erfassen. Man spürt oft, daß er seine Behinderung noch nicht begreift. Er glaubt, was immer man ihm sagt, an eine Fehldiagnose. Diese, aus Sicht der Behandler unrealistische Einstellung beziehungsweise Uneinsichtigkeit entspricht jedoch einem psychischen Schutzmechanismus, der sich immer dann einschaltet, wenn Unerträgliches oder Unbegreifliches droht: dieser Schutzmechanismus ist die Verleugnung der schmerzlichen Realität. Bei den meisten Patienten geht diese Phase totaler Verleugnung bald in eine zweite Phase über, in der die augenblickliche Situation, die Lähmung wahrgenommen und akzeptiert wird, jedoch fest an eine zukünftige Besserung geglaubt wird. Darin werden die Patienten vielfach von allzu mitleidigen Angehörigen unterstützt, die eifrig Beispiele für günstig verlaufende Fälle sammeln und irreale Hoffnungen wecken. Zu den Vorstellungen des Patienten über ein lebenswertes Leben gehört oft auch und vor allem die Vorstellung der Unversehrtheit des Körpers, die allein das Erreichen aller Ziele garantiert. Jeder, der die Hoffnung auf Besserung anzweifelt, wird abgewiesen und für inkompetent erklärt. In dieser Phase kann es oft zu Spannungen mit den Behandlern kommen, wenn der Patient zwar alles für eine Gesundung, nicht jedoch für ein Leben mit einer Behinderungen tun würde.

Trauerphase

Aus dieser Phase herauskommend kippen die Patienten oft in eine akute Trauerphase, die oft das Bild einer reaktiven Depression bzw. einer ärgerlichen Gereiztheit zeigt. Nichts erscheint mehr sinnvoll und möglich. Der Patient ist bereit aufzugeben, eventuell sogar sich umzubringen. Die Stimmung ist schlecht, der Wille zur Mitarbeit erlahmt, Aufmunterungsversuche werden wütend oder traurig zurückgewiesen. Diese Trauerphase ist jedoch ein absolut notwendiger
Prozeß, durch den der Patient neue Ziele und einen neuen Sinn in seinem Leben sucht. Um planen zu können, muß er  realistische Bilanz ziehen und das ist bitter. Es wäre also eher unnatürlich, wenn Patienten diese Trauerphase nicht zulassen oder immer zu überspielen versuchten. Die Bilanz, die der Patient ziehen muß, wenn ihm aus dem Schock kommend die Veränderungen bewußt werden, betrifft verschiedene Bereiche:

  • Der Patient beherrscht anfangs kaum noch (je nach Lähmungshöhe) Werkzeugfunktionen wie z. B. Greifen oder Halten. Selbständigkeit und Autonomie sind massiv beeinträchtigt, bei den elementarsten Verrichtungen wie Ausscheidung, An- und Ausziehen, Beweglichkeit braucht er Hilfe.
  • Sein Körpergefühl ist völlig verändert, ebenfalls seine Ausdrucksmöglichkeiten in Körperhaltung, Gestik und Handlung.
  • Die Zweifel über die eigene Vollwertigkeit stürzen den Patienten in eine tiefe Selbstwertkrise, in der Gefühle von Sinn- und Wertlosigkeit, Minderwertigkeit, Abhängigkeit, Würde und Intimitätsverlust in vielen Fällen den Gedanken an Suizid aufkommen lassen.

Trauerarbeit als Voraussetzung für ein neues Leben: Akzeptanz

Die Querschnittlähmung bedeutet das Ende des Lebens in seiner bisherigen Form und die Akzeptanz dieses „kleinen Todes“ ist notwendige Voraussetzung für einen Neuanfang. Die seelischen Mechanismen der Bewältigung einer Querschnittlähmung und der Bewältigung einer Krebsdiagnose oder des Sterbens sind fast identisch. Demzufolge sind diese Phasen und die damit verbundenen Gefühle (wie eingangs schon erwähnt), so schwer verständlich oder ertragbar sie im Einzelfall sein mögen, Ausdruck normal-psychologischer Reaktionen. Sie sind nicht von sich aus Ausdruck von seelischer Krankheit.

Es ist oft ein langwieriger, schwieriger und sehr schmerzhafter Prozeß, immer wieder begleitet von Rückschlägen und gefühlsmäßigen Einbrüchen. Manche Veränderungen sind oft zu klein, um sie gleich als wirkliche Fortschritte wahrnehmen zu können: „der Fortschritt ist eine Schnecke“. Trauerarbeit ist die Voraussetzung dafür, daß Verlorengegangenes innerlich verarbeitet und bewältigt werden kann und den Platz für Neues frei macht. Haben Sie hinreichend neue Erfahrungen mit ihrem veränderten Körper und ihrem neuen Leben gemacht, wird sich ihr seelischer Zustand stabilisieren. Selbstverständlich sind Sie auf diesem Weg nicht allein, das therapeutische Team, Mitpatienten und Angehörige können Ihnen helfen.

Wie kann ein Psychologe helfen?

Ein Psychologe kann Sie bei diesem Prozeß begleiten, ihre Trauerarbeit unterstützen, Gefühle aushalten, mit Ihnen neue Normen und Werte für neue Lebensziele finden, Sie ermutigen, in der neuen Situation z.B. mit dem Rollstuhl neue Verhaltensweisen auszuprobieren und zu überdenken. Aus der veränderten Situation mit einer frischen Querschnittlähmung ist kein Zurück mehr möglich. Das Vorwärtsschauen ist meist schwierig, Ungewißheit, Zweifel und Angst verunsichern Sie unter Umständen. Mit Hilfe von Gesprächen kann diese schwierige Situation Stück für Stück verarbeitet werden und damit zunehmend Perspektiven entwickelt werden. Im Rahmen eines ganzheitliche Betreuungskonzeptes können auch Entspannungsverfahren und Verfahren der psychologischen Schmerzbewältigung eingesetzt werden.

Freiwilligkeit und Schweigepflicht

Dabei braucht es keine Tabus zu geben: ob es um familiäre oder soziale Probleme, um Sexualität oder Partnerschaft geht, der Psychologe unterliegt der Schweigepflicht. Genauso wichtig ist es zu betonen, daß alle Gesprächen im Rahmen der psychologischen Betreuung auf völliger Freiwilligkeit beruhen und beruhen müssen. Menschen öffnen sich nur, wenn sie dies
auch wollen und das entsprechende Vertrauen besteht. Die Betreuung ist ein Angebot und keinesfalls eine Zwangsbetreuung. Dazu gehört auch, daß Ihnen keine Nachteile daraus erwachsen, wenn Sie ein psychologisches Gespräch vielleicht am Anfang vehement ablehnen, es aber zu einem späteren Zeitpunkt doch wollen.

Hat es eigentlich Sinn, über seine Gefühle zu reden?

„Ich habe aber noch nie über meine Gefühle gesprochen, das geht auch niemand etwas an“. So oder ähnlich argumentieren viele Patienten und drücken damit ihre Skepsis gegenüber einem Gespräch mit einem Psychologen aus. Oder sie sagen sinngemäß: „ich bin im Kopf doch ganz in Ordnung, ich hab´s doch nur an der Wirbelsäule“. Es ist einfach so: abhängig von Ihrer Persönlichkeit und ihrem bisherigen Umgang mit belastenden Situationen, Grenzerfahrungen und Konflikten werden Sie sich auch in dieser extremen Situation erstmal so verhalten, wie Sie es gewohnt sind.

Zwei grundsätzliche Persönlichkeitsunterschiede

Sind Sie eher ein „Verleugner“ oder sind Sie es gewohnt, Gefühle und das heißt auch unangenehme Gefühle zuzulassen und auszuhalten? Menschen, die nie Hilfe gesucht haben, die „ nicht aus sich heraus gehen können“, die die eigene Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit ablehnen und negativ bewerten, sie als persönliche Schwäche ansehen, werden auch in dieser Situation eher still leiden, sprachlos sein in ihrer Not und Hilflosigkeit. Menschen, die erfahren haben, daß sie Hilfe bekommen und diese annehmen konnten, denen der Umgang mit Gefühlen vertraut ist, die Gefühle ausdrücken und aussprechen können, werden therapeutische Hilfe eher zulassen können.

Gefühle bahnen sich immer ihren Weg

Aus unserer Erfahrung macht es Sinn, Gefühle zuzulassen, denn Sie haben Gefühle, auch wenn Sie diese nicht wahrnehmen oder ausdrücken. Auch wenn Sie versuchen, ihre Gefühlen wegzuschieben oder abzuspalten, unter der Oberflächen wirken sie aber trotzdem weiter und es besteht die Gefahr, daß sie an anderer Stelle wieder an die Oberfläche kommen, so z. B. in
Form von Schmerzen oder in Form von Depressionen. Wenn jemand versucht, die Gefühle „in sich rein zu fressen“, kann es zu selbstschädigendem Verhalten führen: man läßt sich hängen, der Körper wird einem gleichgültig und wird vernachlässigt, Alkohol, Drogen oder Essen dienen als Ersatzbefriedigung.

Braucht jeder Querschnittgelähmte einen Psychologen?

Den Psychologen wird oft nachgesagt, im Grunde seien sie ja selbst verrückt, und jeder, der zum Psychologen müsse, sei dies auch. Beides ist in der Regel falsch. Auch im Falle der Bewältigung einer Querschnittlähmung geht es keinesfalls um Verrücktsein. Die Gefühle und emotionalen Reaktionen, so heftig und ungewohnt sie auch sein mögen, haben allein etwas mit der immensen Anpassungsleistungen und der großen Trauerarbeit zu tun, die eine Voraussetzung dafür darstellt, daß sich ein Patient den Herausforderungen seiner neuen Situation stellen kann. Natürlich gibt es Patienten, die diese Herausforderung im Rahmen einer guten sozialen und familiären Einbettung bewältigen können, die so in sich ruhen, daß sie keine therapeutische Unterstützung benötigen. Es gibt jedoch viele, die von einem Gesprächsangebot profitieren können und es als Hilfe erleben.

Weitere Fragen von Betroffenen

Nun bin ich also gelähmt ... Alles ist so mühsam, warum hilft mir keiner?

Für einen Menschen, der frisch gelähmt ist, stellt die Klinik eine extreme Ausnahmesituation dar. Vor allem am Anfang der Behandlung sind Sie unter Umständen völlig auf fremde Hilfe angewiesen, müssen Sie vielleicht in fast allen Bereichen des Lebens wie ein Säugling versorgt werden. Es ist oft schwer, diesen Zustand zu ertragen und ihn auch zu akzeptieren. Ziel der Behandlung ist es, Sie so selbständig wie möglich zu machen. Das bedeutet, daß die vorhandenen und potentiellen  Restfunktionen aktiviert und trainiert werden müssen. Dieses mühselige Lernen und Üben macht die Patienten oft verzweifelt und ärgerlich. Zwei Beispiele:

  • „warum muß ich mich mit meinem Rollstuhl abmühen, wenn mich jemand anderes so einfach schieben könnte“
  • „warum soll ich täglich eine halbe Stunde mühsam meine Jacke anziehen, wenn das andere für mich viel schneller erledigen können?“
Wollt ihr mich ärgern? Da mache ich nicht mit.

Keiner will Sie ärgern oder gar quälen, sondern es geht allein darum, Ihnen zu einer größtmöglichen Selbständigkeit zu verhelfen. Kein Patient ist glücklich mit dieser Situation, aber viele sind rückblickend dankbar, später wieder weitgehend selbständig am aktiven Leben teilnehmen zu können. Fremde Hilfe, die einem alles abnimmt und scheinbar erleichtert, ist nicht immer eine wirkliche Hilfe. Es ist möglich, daß Sie sich später dafür entscheiden, sich aus Zeitersparnisgründen helfen zulassen, aber es ist wichtig, daß Sie sich - zum Beispiel in Notfällen - auch alleine helfen können.

Damit muß man aber auch immer wieder mit der Versuchung fertig werden, die Hilfsbereitschaft und das Mitgefühl der anderen, das oft auf dem schlechten Gewissen der Nichtbehinderten beruht, auszunutzen und sich „bemuttern“ zu lassen, auch da, wo Sie als Behinderter zu Eigenleistungen fähig und in der Lage sind.

Sie haben leicht reden, sie sind ja nicht in meiner Situation.

Alle Behandler, gleichgültig ob es Ärzte, Pflege, Krankengymnasten, Ergotherapeuten oder Psychologen sind, haben ihr therapeutisches Wissen letztlich von den Betroffenen selbst gewonnen. Viele Dinge sind überhaupt nur ansprechbar oder forderbar, weil wir aus dem Wissen oder den Erfahrungen anderer Patienten lernen und diese Erfahrungen übernehmen.

Kontakt zu „ alten Hasen“

Oft ist es hilfreich, sich mit Mitpatienten, die schon länger querschnittgelähmt sind, die diese Erfahrungen schon hinter sich gebracht haben, zu unterhalten. Solche Mitpatienten, besonders wenn sie die Behinderung akzeptiert und bewältigt haben und eine positive Lebenseinstellung ausstrahlen, sind oft hilfreicher als alles Gerede von uns Nichtbetroffenen, weil deren Erfahrung authentischer ist. Die Aussagen von einem Betroffenen sind in der Regel viel glaubwürdiger als die vom behandelndem Team und können vom Patienten auch leichter akzeptiert werden. Deshalb ist es wichtig, den Kontakt zu Mitpatienten zu suchen und sich mit denen auszutauschen, die mit Ihnen „im gleichen Boot sitzen“.

Brauche ich wirklich Psychopharmaka?

Es ist durchaus normal, wie bereits oben erwähnt, daß Sie immer wieder Phasen erleben, in denen Sie mutlos, deprimiert und antriebslos sind. Solche Phasen, die im Fachjargon Anpassungsstörung oder reaktive Depression heißen, sind zur Bewältigung der Behinderung völlig normal und notwendig. (Sollten Sie eine solche Diagnose in Ihrer Krankenakte, Arztbrief oder ähnlichem finden, sorgen Sie sich nicht. Es wäre völlig überraschend, eher fast unnormal, wenn Sie diese massive Lebenskrise ohne jegliche Verhaltens- oder Erlebensveränderung durchlaufen würden. Denn auch „normale“ Reaktionen müssen manchmal als Diagnose genannt werden, damit Ihr Kostenträger die Behandlung übernimmt.) Sollten diese Phasen jedoch zu lange dauern oder zu intensiv sein und nicht durch z. B. psychotherapeutische Gespräche gemildert werden können, kann es durchaus sinnvoll sein, z. B. ein Antidepressivum zu verabreichen, damit Sie aktiv am Rehabilitationsprogramm teilnehmen können. Damit kann unter Umständen der Teufelskreis unterbrochen werden in dem Sinne, daß Sie deprimiert sind wegen Ihrer Hilflosigkeit und hilflos bleiben wegen ihrer Depression.

Wie lange muß ich Antidepressiva nehmen, machen die abhängig?

Die Verschreibungsdauer eines solchen Medikamentes ist sicherlich abhängig von der Person. Bei manchen Menschen reichen wenige Wochen, daß sie sich wieder soweit stabilisiert haben, daß sie auf die Medikamente verzichten können, bei manchen ist es sinnvoll, sie mehrere Monate oder Jahre zu nehmen. Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, daß die Depression sich
in Form körperlicher Beschwerden z. B. Schmerzen äußert, die dann mit Schmerzmitteln behandelt würden. Manche Patienten merken jedoch, daß Schmerzmittel nicht nur die Schmerzen, sondern auch die Stimmung betäuben können und sie nehmen dann die Schmerzmittel nicht nur gegen die Schmerzen, sondern vor allem gegen die seelischen Verstimmungen. Und damit ist dann eine große Gefahr der Abhängigkeit gegeben. Antidepressiva dagegen machen nicht abhängig!

Wie lange wird es dauern, bis ich mich wieder als „der/die Alte“ fühle?

Wir haben Patienten befragt, wie lange sie gebraucht haben, bis sich wieder eine gewisse „Normalität“ eingestellt hatte. Im Durchschnitt gaben die Patienten ein bis drei Jahre, manchmal auch länger an, bis Sie wieder selbständig und aktiv und ohne ihre Gesundheit zu gefährden leben konnten. Als wichtiger Faktor stellte sich dabei heraus, wie die Einstellung gegenüber
Behinderten vor der eigenen Behinderungen war.

Wie habe ich selbst bislang über Behinderte gedacht und was hat das für Auswirkungen auf mein Selbstwertgefühl jetzt?

Sie sind selbst behindert. Die Art, wie Sie sich selbst als Behinderten sehen, hat große Auswirkungen auf ihr Selbstwertgefühl, auf die Art, wie Sie sich mögen und akzeptieren, auf den ganzen Prozeß Ihrer Krankheitsbewältigung und Verarbeitung. Die Art, wie Sie sich jetzt selbst sehen, ist oft der genaue Spiegel davon, wie Sie früher selbst andere Behinderte wahrgenommen
haben. Entweder Sie haben sie übersehen, Sie hatten Mitleid, fühlten sich abgestoßen, hielten Behinderte für Schmarotzer oder waren sich sicher, an deren Stelle selbst so nicht leben zu wollen. Jetzt, wo Sie selbst in dieser Situation sind, gehen Sie davon aus, daß andere Sie als Behinderten jetzt genauso sehen, wie Sie früher selbst die Behinderten gesehen haben. Das heißt, Sie müssen jetzt unter Umständen ihrer früheren Meinungen und Einstellungen ändern. Das mag ein schwieriger Prozeß sein, der sich oft am besten im Gespräch mit Freunden, der Familie oder den behandelnden Psychologen bewältigen läßt. Er ist jedoch unabdingbar notwendig, um zu einem positiven und konstruktiven Selbstwertgefühl als Behinderter zu gelangen.

Familie und Freunde

Querschnittlähmung als Krise auch für Mitbetroffene

Nach Eintritt einer Querschnittlähmung befinden sich Familie und enge persönliche Freunde meist ebenso in einer Schockphase, in der das Ausmaß des Geschehens nicht vollständig begriffen werden kann. Ebenso wie der Betroffene selbst stehen sie fassungslos vor der Situation und können nicht glauben, daß diese Veränderung endgültig sein soll. Auch Sie als Mitbetroffener werden in eine Lebenskrise geworfen, vergleichbar der des Patienten (LINK) und sind mit dieser neuen und unbekannten Situation ebenso gefordert und überfordert wie der Patient. Auch Sie bedürfen oft einer besonderen Unterstützung und Stützung.

Fragen, mit denen sich Mitbetroffene auseinandersetzen müssen

Obwohl Sie nicht direkt betroffen sind, trifft Sie die Querschnittlähmung meist auch in vielen Bereichen des täglichen Lebens und wirft Fragen wie die folgenden auf, die sich Angehörige oder Lebenspartner oft sehr bald nach Eintritt der Lähmung stellen:

  • Kann ich mit dem Betroffenen so weiterleben wie bisher?
  • Sind Wohnung, gemeinsame Hobbys und Interessen rollstuhlgerecht?
  • Wie wird mein querschnittgelähmter PartnerIn mit der Situation fertig?
  • Was wird aus unserer Zukunftsplanung?
  • Auf welche Veränderungen muß ich mich einstellen und einlassen?
  • Wie gehe ich mit diesen Veränderungen um?
  • Was wird sich in unserem Zusammenleben ändern?
  • Wie halte ich das durch? Wie soll ich das überhaupt schaffen?
Phasen der seelischen Bewältigung

Schock und Fassungslosigkeit

Nach Eintritt der Querschnittlähmung in der sogenannten Akutphase (Link) beherrschen Schock über den Unfall oder die Erkrankung und Angst um den Querschnittgelähmten das Erleben. Fassungslos stehen Sie vor dem Berg von Veränderungen und Aufgaben, die auf Sie zukommen. Oft können Sie sich nicht vorstellen, wie das alles zu schaffen ist.

Hoffnung und Verleugnung

Meist ist die drohende und geahnte Veränderung so beängstigend, daß es nahe liegt, an eine Fehldiagnose zu glauben beziehungsweise auf Heilung zu hoffen. Oft wird verzweifelt nach Fällen gesucht, bei denen andere Patienten "wieder auf die Beine" gekommen sind. Da werden oft Fälle von Schlaganfallpatienten herangezogen, die ihre Gehfähigkeit nach anfänglicher
Zeit im Rollstuhl doch wieder erlangt haben und es wird dabei vergessen bzw. übersehen, daß ein Schlaganfall mit einer Querschnittlähmung nicht vergleichbar ist. Manchmal schürt auch die "Regenbogenpresse" solche unrealistischen Hoffnungen, indem sie immer wieder von der vermeintlichen Heilung von Querschnittpatienten berichtet (Link). Es muß doch was zu machen sein, das kann doch nicht so bleiben: solche oder ähnliche Gedanken beherrschen oft die Gefühle der Mitbetroffenen in der Anfangszeit.

Phasen der Trauer

Trauer, Depression, Ärger oder Schuldzuweisungen sind Gefühlszustände, die auftreten, wenn diese meist irrealen Hoffnungen und Wunschvorstellungen nicht erfüllt werden. Diese Phase, die man als Trauerarbeit bezeichnen kann und die den Angehörigen ähnlich betrifft wie den Patienten (LINK), wird für die Angehörigen noch zusätzlich dadurch erschwert, daß diese zusammen mit den Patienten die notwendige Planung für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt durchführen müssen. Oft müssen die Angehörigen sich um neuen rollstuhlgerechten Wohnraum kümmern, finanzielle Probleme und Sorgen erschweren die Situation zusätzlich. Oft müssen sich die Angehörigen hierbei in neue Rollen einfinden, sie müssen Aufgaben übernehmen, die früher der Betroffene geregelt hatte, seien es Fragen des Haushalts, der Kindererziehung, der Pflege der sozialen Kontakte oder der Finanzen.

Besonders, wenn man zum ersten Mal im Leben so offensichtlich auf fremde Hilfe angewiesen zu sein scheint (Gang zum Sozialamt, Aussicht auf die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Fremdpflege), ist dies für viele ein schwer erträglicher Gedanke und "nagt" am eigenen Selbstwertgefühl.

Phase der Bewältigung

Solche Veränderungen und Mehrbelastungen von Mitbetroffenen können sehr an die Grenzen der Belastbarkeit führen, wo man doch eigentlich Zeit und Ruhe für die eigene Trauerarbeit und den Anpassungsprozeß benötigte. Erwarten Sie auch bitte hier keine schnellen Wunder. Auch Sie werden, wie der direkt Betroffene, viel Zeit, Unterstützung und vielleicht auch professionelle Hilfe benötigen, um sich mit der veränderten Situation arrangieren zu können.

Fragen von Mitbetroffenen

Wie kann ich dem Betroffenen helfen?

Es ist wichtig, daß der Betroffene die familiäre, freundschaftliche und soziale Unterstützung erfährt, die er in dieser Krisensituation so notwendig braucht. Dazu gehören regelmäßige Besuche und offene Gespräche über die veränderte Situation. Sie als Angehöriger sollten Verständnis zeigen für das vielleicht manchmal schwierig zu ertragende Verhalten und Erleben des Patienten. Es ist wichtig, den Betroffenen miteinzubeziehen in das Leben und in die Entscheidungsprozesse außerhalb der Klinik, um ihm damit auch weiterhin das Gefühl zu vermitteln, daß er zwar vielleicht nicht mehr laufen, aber durchaus noch denken und entscheiden kann. Wichtig bei allem ist jedoch, auch die eigenen Belastungsgrenzen wahrzunehmen und sich unter Umständen Hilfe zu holen.

Muß ich den Betroffenen schonen? Kann ich ihm zeigen, daß es auch mir schlecht geht?

Oft entsteht die fatale Situation, daß die Angehörigen meinen, sie müßten den Betroffenen schonen und sie würden dies am besten dadurch tun, indem sie sich „zusammenreißen" und ihre Gefühle nicht zeigen. Es kann sogar passieren, daß auch die Patienten selbst denken, sie müßten ihre Angehörigen schützen und dürften sie nicht zu stark belasten. Aus falscher Rücksichtnahme spielt dann jeder dem anderen etwas vor. Hilfreicher wäre es für alle Beteiligten gemeinsam - vielleicht sogar mit einem Psychologen - miteinander zu reden. Nur wenn es gelingt, auch die schwierigen Gefühle auszudrücken, vielleicht gemeinsam zu trauern und weinen zu können, kann später vielleicht auch wieder gemeinsam gelacht werden. Müssen solche Gefühle aus falscher Rücksichtnahme über längere Zeit unterdrückt werden, verbraucht dieser Vorgang eine große Menge an Energie und Kraft, die dann dem nötigen Anpassungsprozeß nicht mehr zur Verfügung steht.

Wann ist meine Hilfe gut und wann ist meine Hilfe zuviel des Guten?

Wenn Ihr Partner durch eine Querschnittlähmung behindert ist, dann ist es klar, daß er auf Hilfe angewiesen ist, da er manches nicht mehr selbständig und allein durchführen kann. Jedoch da, wo er selbständig sein kann, ist es wichtig, ihm diese Selbständigkeit zu lassen oder sie zu fördern. Wenn vieles auch mühsam ist und wesentlich länger dauert als vorher, bedenken Sie bitte, daß ihr Angehöriger vieles erst neu lernen und üben muß. "Bemuttern" ist vielleicht für beide Seiten der bequemere Weg, widerspricht aber dem Grundgedanken der Rehabilitation und der Wiedereingliederung in ein möglichst aktives Leben.

Ich habe gehört, woanders gibt es eine neue Möglichkeit Querschnittlähmungen zu heilen?

Wir stellen immer wieder fest, daß Patienten oder Angehörige sich mit dieser Frage beschäftigen, zumal in den Medien in letzter Zeit immer wieder von solchen Fällen berichtet wird. Oft werden solche Überlegungen „hinter dem Rücken“ des behandelnden Teams angestellt, da die Betroffenen mit Zurückweisung oder Kritik von uns Behandelnden rechnen. Sich Hoffnungen zu machen, ist sicherlich ein notwendiger und hilfreicher Prozeß der Bewältigung. Leider sind es jedoch bis jetzt völlig falsche Hoffnungen, die von den Medien in manchmal unverantwortlicher Weise und übertrieben dargestellt werden. Es gibt derzeit auf der Welt keinerlei Möglichkeit, Querschnittlähmungen zu heilen. Sie werden in jedem Querschnittzentrum von Patienten hören, die wieder zum Laufen kamen, in diesen Fällen war aber entweder die Rückenmarksverletzung nicht so gravierend, so daß sich die Nervenreizleitung wieder regenerieren konnte. In jedem Falle handelt es sich dabei jedoch nicht um eine neue oder spezielle, bei uns nicht bekannte oder nicht durchführbare Behandlungsmethode. Sollten Sie jedoch unsicher oder irritiert sein, sprechen Sie bitte den behandelnden Arzt an, um solche Fragen zu klären. Es wäre schade, wenn Sie viel Zeit, Energie oder Geld investieren würden, und dann später doch enttäuscht zu werden.

Brauche auch ich psychologische Unterstützung?

Psychologische Hilfe ist kein Muß, sondern ein Angebot und eine Möglichkeit. Psychologische Hilfe ist keine Schande und hat auch nichts mit Verrücktsein zutun. Die seelische Belastung von Angehörigen ist jedoch bekanntermaßen meist genauso groß wie die der Patienten, manchmal sogar noch größer. Es besteht die Gefahr, den Angehörigen in seiner Not zu übersehen
und ihn mit seinen Fragen und Zweifeln allein zu lassen. Angehörige, die glauben, immer stark sein zu müssen, brauchen manchmal auch einen Ort, an dem sie über ihre eigene Schwäche, ihre eigenen Gefühle sprechen können, um auch wieder Kraft tanken zu können. Wenn sie in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis niemanden haben, mit dem Sie wirklich offen
und ehrlich über alles reden können, dann scheuen Sie sich bitte nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei es der psychologische Dienst eines Querschnittzentrums, eine Beratungsstelle oder einen niedergelassenen Therapeuten.

Kontakt:

Dipl.-Psych. B. Drzin-Schilling