Kliniken &… Kliniken Psychosoziale Medizin… Psychosoziale… Forschung Forschungsstelle für… Projekte

Sozio-kulturelle Einflüsse, Sprache und Kognitionen bei Essstörungen

Ansprechpartner: Dr. Markus Moessner(markus.moessner(at)med.uni-heidelberg.de)

Projektleitung: M. Wolf, F. Theis & H. Kordy in Zusammenarbeit mit C. Bulik, University of North Carolina und INTACT Research Group

Modelle zur Ätiologie von Essstörungen weisen neben genetischen, biologischen, psychologischen und familiären prädisponierenden Faktoren, gesellschaftlichen und sozio-kulturellen Einflüssen eine wichtige Rolle zu. Besondere Aufmerksamkeit bei der Untersuchung von Risikofaktoren haben die Massenmedien erfahren. So wird kritisiert, dass in Printmedien, im Internet oder in populären Fernsehserien ein unrealistisches Schönheitsideal, z.B. über die Darstellung extrem dünner Models, transportiert wird. Experimentelle Studien konnten den negativen Effekt der Medien belegen. So zeigte sich, dass die Exposition mit dem in den Massenmedien vermittelten Schlankheitsideal bei jungen Frauen negativen Affekt hervorruft und einen konsistenten, wenn auch moderaten, negativen Effekt auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper ausübt. In einer Reihe von Studien, die im Rahmen des europäischen Forschungsverbundes INTACT durchgeführt werden, wird der Einfluss und die Wirkweise der Massenmedien auf psychologische Risikofaktoren von Essstörungen untersucht.

Ziel einer bereits abgeschlossenen Studie war es, die Auswirkungen der Exposition dünner Models, wie sie in gängigen Modezeitschriften abgedruckt werden, an einer studentischen Stichprobe experimentell zu prüfen. Außerdem sollte der Einfluss der in diesem Zusammenhang diskutierten Moderatorvariablen und Mediatoren, insbesondere die Tendenz zu sozialen Vergleichen, in einem Kausalmodell untersucht werden. Im Vergleich zu vorangegangen Studien, in denen die Vergleichsstimuli u.a. unbelebte Gegenstände waren, wurden in der aktuellen Untersuchung Fotos attraktiver aber normalgewichtiger, bzw. sog. plus-size Models als Kontrollstimuli gewählt. Die Fotos dünner und normaler Models wurden aus einem Pool von Bildern ausgewählt. Die Bilder wurden in einem Vortest hinsichtlich Attraktivität und Schlankheit der abgebildeten Models bewertet und unterschieden sich nur bezüglich der eingeschätzten Schlankheit der Models. Bei den in die Studie einbezogenen 150 Frauen (Alter M = 23,2 Jahre; s = 4,2) zeigte sich kein negativer Effekt der Exposition auf die State-Unzufriedenheit mit dem Körper und Stimmung. BMI, Trait-Unzufriedenheit und Selbstwert beeinflussten die Medienwirkung nicht oder nur mäßig. In der untersuchten Stichprobe konnte der negative Einfluss der Medienbilder demnach nicht bestätigt werden.

Weitere Untersuchungen widmen sich den möglichen Auswirkungen sogenannter Pro-Ana Internetseiten, sowie den potenziellen Mechanismen des Medieneinflusses. In einer kürzlich abgeschlossenen Studie wurde die in Pro-Ana Blogs verwendete Sprache untersucht. 90 im Internet frei verfügbare Blogs (31 Pro-Essstörungsblogs, 29 Esstörungs-Selbsthilfeblogs, 27 neutrale Blogs) wurden mittels computergestützter Textanalyse untersucht. Im Vergleich waren die Pro-Essstörungsblogs durch ein geringeres Ausmaß an kognitiven sprachlichen Merkmalen, weniger flexible Wortwahl, weniger sprachliche soziale Referenzen, und deutlich mehr essstörungsspezifische Inhalte gekennzeichnet. Dieses Sprachmuster kann als Ausdruck einer selbststabilisierenden Kommunikationsstrategie interpretiert werden, die stark auf die Identität als Mitglied der Pro-Ana-Bewegung fokussiert. Insbesondere auf Leserinnen mit einer latenten Essstörung und/oder Selbstwertproblematik könnte der affirmative Charakter der Pro-Ana Blogs anziehend wirken. Selbsthilfeblogs hingegen waren stärker durch den Ausdruck von Angst und Introspektion sowie kognitive Sprachmerkmale gekennzeichnet, ein Muster, das die schwierige Situation der Autorinnen bei der Bewältigung der Essstörung widerspiegelt.

In einer aktuell laufenden, experimentellen Untersuchung soll u.a. geklärt werden, ob Pro-Ana Blogs den vermuteten generell negativen Einfluss auf die Leserinnen haben oder ob insbesondere Frauen, die bereits ein Risiko für die Entwicklung einer Essstörung aufweisen, von den Pro-Ana Blogs negativ beeinflusst werden. Die Studie wird parallel als Laborexperiment und als Internet-Studie durchgeführt. Untersucht werden 400 junge Frauen, die sich aktuell nicht in Behandlung wegen einer Essstörung befinden. Die Teilnehmerinnen lesen entweder einen Pro Essstörungs-Blog, einen Selbsthilfeblog, oder einem Blog ohne essstörungsbezogene Inhalte. Vor der Exposition wird über einen Screeningfragebogen das individuelle Risiko für eine Essstörung eingeschätzt. Als Zielkriterien werden nach der Exposition das Ausmaß an negativem Affekt, die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper und das Selbstwertgefühl erfasst. Außerdem notieren die Teilnehmerinnen nach der „thought listing“-Methode ihre spontanen Gedanken zum Blog. Über die Annahme einer generell negativen Wirkung hinausgehend, wird die Studie eine differenziertere Einschätzung der Wirkung von Essstörungs-Blogs ermöglichen und wichtige Hinweise auf relevante Einflussgrößen seitens der Leserinnen geben.

Literatur

Wolf, M., Sedway, J., Bulik, C. & Kordy, H. (2007). Linguistic analyses of natural written language: Unobtrusive assessment of cognitive style in eating disorders. International Journal of Eating Disorders, 40, 711-717

Wolf, M., Theis, F. & Kordy, H. (2013). Language Use in Eating Disorder Blogs: Psychological Implications of Social Online Activity. Journal of Language and Social Psychology, 32(2), 212-226.

DE