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Kurze Geschichte der Klinik für Allgemeine Psychiatrie

Nach einer langen Vorgeschichte, die sich bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen läßt, wurde die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg, damals bezeichnet als Badische Universitäts-Irrenklinik, im Jahre 1878 eröffnet. Möglicherweise wurde eine frühere Eröffnung der Klinik verhindert durch die Einflussnahme von C.F. Roller auf das Innenministerium des Landes Baden, die 1842 zur Eröffnung der Irrenanstalt Illenau führten. Im Jahre 1878, dem Todesjahr von Roller, waren schließlich die Widerstände gegen eine Einrichtung der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg überwunden und die Klinik konnte eröffnet werden.

Der erste Lehrstuhlinhaber C. Fürstner war Neuropathologe. Er wechselte 1890 nach Straßburg. Sein Nachfolger E. Kraepelin (Klinikleitung in Heidelberg von 1891-1903) war einer der Begründer der modernen empirisch orientierten Psychopathologie. Sein Lehrbuch "Psychiatrie" erschien in der entscheidenden 6. Auflage 1899 in Heidelberg. In dieser Auflage arbeitete er die Dichotomie der endogenen Psychosen aus, vereinfachte in einer heute noch gültigen Form das diagnostische (triadische) System und war in seiner empirisch orientierten Diagnostik einer der Wegbereiter für die moderne psychiatrische Diagnostik. Als Schüler Wundts fühlte er sich der empirischen Psychopathologie verpflichtet und nahm Einfluß auf die moderne empirisch orientierte Psychologie. Berühmte Mitarbeiter von E. Kraepelin waren A. Alzheimer, G. Aschaffenburg, R. Gaupp, F. Nissl, E. Rüdin, E. Tömmer, K. Wilmanns). Aufgrund der schlechten therapeutischen Bedingungen (Überfüllung der Klinik durch Aufnahmepflicht) und der besseren Forschungsausstattung wechselte E. Kraepelin 1903 nach München, obgleich er sich der Stadt Heidelberg näher verbunden fühlte.

Sein Nachfolger, K. Bonhoeffer, der Begründer des Konzeptes der exogenen Reaktionstypen, blieb nur zwei Monate. Sein Nachfolger F. Nissl (Klinikleitung von 1904-1918) gelang es, durch die Schaffung eines kreativen Arbeitsklimas berühmte Psychopathologen, wie K. Jaspers, H.W. Gruhle, A. Homburger, A. Kronfeld, W. Mayer-Gross, O. Ranke, an die Klinik zu binden. K. Jaspers schrieb in dieser Zeit sein berühmtes Lehrbuch Allgemeine Psychopathologie (erschienen 1913).

In der Zeit der Klinikleitung durch K. Wilmanns (Klinikleitung von 1918-1933) waren Mitarbeiter, wie W.v. Baeyer, H. Bürger-Prinz, K. Beringer, H. Prinzhorn und H. Ruffin tätig, die durch ihre Forschungsarbeiten berühmt wurden. H. Prinzhorn arbeitete in der Zeit von 1919-1921 an der Klinik und schuf den Grundstock für seine umfangreiche Kunstsammlung psychischer Kranker. 1922 erschien sein Werk "Die Bildnerei der Geisteskranken". K. Beringer veröffentlichte 1927 seine empirischen Arbeiten über den Meskalinrausch. H.W. Gruhle publizierte 1929 "Die Psychologie der Schizophrenie" und W. Mayer-Gross 1924 "Selbstschilderungen der Verwirrtheit (Die oneroide Erlebnisform)". 1933 wurde K. Wilmanns von den Nationalsozialisten gezwungen, seinen Lehrstuhl aufzugeben.

Mit Carl Schneider wurde im Herbst 1933 ein durch originelle wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Schizophrenie, der Epilepsien und der Demenzen ausgewiesener Psychiater, zugleich ein überzeugter Nationalsozialist, berufen. Er trat für die konsequente Umsetzung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ein. Sein Hauptanliegen war die arbeitstherapeutische Umgestaltung der Klinik. Mit seinem Buch "Behandlung und Verhütung der Geisteskrankheiten" wollte er einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung des "therapeutischen Nihilismus" leisten und sah in der Arbeitstherapie nicht nur eine Form der Beschäftigungstherapie, sondern eine "biologische Heilweise", mit der die Patienten im Sinne der Leistungsanforderungen der NS-"Volksgemeinschaft" wiedereingegliedert werden könnten. Zugleich wurde das Forschungs- und Lehrangebot der Klinik auf rassenhygienisch und erbbiologisch relevante Themen verengt. Carl Schneider zählte seit 1939 zu den Obergutachtern des nationalsozialistischen "Euthanasieprogramms", dem mindestens 200.000 Patientinnen und Patienten zum Opfer fielen. Er trat für eine im Sinne des nationalsozialisten Staates modernisierte psychiatrische Versorgung, Therapie und Forschung ein, die für die heilbaren Kranken alle Therapiemöglichkeiten ausschöpfen sollte, während die "unheilbaren Pflegefälle" nach Ausnützung ihrer Arbeitskraft der "Euthanasie" anheimfallen sollten. Mit finanziellen Mitteln der "Euthanasiezentrale" führte er ab 1943/44 ein Forschungsprogramm zur Differenzierung der verschiedenen Formen des "Schwachsinns" und der Epilepsie durch. 21 der von ihm in der Heidelberger Klinik untersuchten Forschungskinder wurden in der Landesheilanstalt Eichberg ermordet, um ihre Gehirne in Heidelberg untersuchen zu können. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner floh Carl Schneider und nahm sich 1946 in der Untersuchungshaft das Leben. Gegen seine Mitarbeiter wurde nie Anklage erhoben. An die Opfer erinnert seit 1998 ein Mahnmal vor der Klinik.

Nach dem Krieg wurde Kurt Schneider (1945-1955) auf den Lehrstuhl der Psychiatrischen Universtitätsklinik berufen. Internationale Anerkennung gewann K. Schneider durch Herausarbeitung der Erstrangsymptome der Schizophrenie. Ein weiterer wichtiger Beitrag bezieht sich auf die klinische Beschreibung von Psychopathien. Sein Lehrbuch "Klinische Psychopathologie" erschien 1946. Namhafte Mitarbeiter K. Schneiders waren W. de Boor, G. Huber, W. Janzarik, K.P. Kisker, H. Leferenz, H.H. Wieck.

Mit W. von Baeyer (1955-1972) bekam die Forschung an der Heidelberger Klinik eine anthropologische Ausrichtung. W.v. Baeyer beschäftigte sich insbesondere mit der Psychiatrie der unter dem Nazi-Regime verfolgten. Er begutachtete eine große Anzahl jüdischer Patienten, die die Konzentrationslager überlebt hatten und später psychiatrische Symptome entwickelten. Sein Buch "Psychiatrie der Verfolgten", das er zusammen mit H. Häfner und K.P. Kisker herausgab, erschien 1964. Weitere wichtige Publikationen in der Zeit waren H.v. Tellenbach (1961): Melancholie; K.P. Kisker (1960): Erlebniswandel der Schizophrenen; H. Häfner (1961): Psychopathen; W. Blankenburg (1971): Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit. Namhafte Mitarbeiter in der Zeit der Leitung von W.v. Baeyer waren W. Blankenburg, W. Böker, W. Bräutigam, H. Häfner, H.v. Tellenbach, D.v. Zerssen.

Gegen Ende der Lehrtätigkeit von W.v. Baeyer griff die studentische Bewegung auch auf die Klinik über und war auch in der Anfangszeit von W. Janzarik (1973-1988) noch spürbar. W. Janzarik gelang es jedoch klinisches und wissenschaftliches Denken wiederherzustellen. Janzarik entwickelte einen systematischen Ansatz zur Erklärung endogener Psychosen, der die Wechselwirkung zwischen der Dynamik der Persönlichkeit und seiner "Struktur" betont. Dieser Ansatz wurde bereits von ihm im Jahre 1959 in der Monographie "Dynamische Grundkonstellationen in endogenen Psychosen" veröffentlicht. Mitarbeiter, die mittlerweile einen Lehrstuhl für Psychiatrie, Forensische Psychiatrie bzw. Psychosomatik innehaben, sind Ch. Mundt (Universität Heidelberg), H.-H. Sass (TU Aachen), H. Sauer (Universität Jena), H.-L. Kröber (FU Berlin) und W. Tress (Universität Düsseldorf).

Zwischen 1989 und 2009 wird die Klinik von Ch. Mundt geleitet. Forschungsschwerpunkte von Ch. Mundt sind die empirische Erforschung depressiver Störungen, die Einflüsse von Lebensereignissen, partnerschaftlichen Beziehungen und Persönlichkeit auf den Verlauf sowie das Ansprechen von Psychotherapie bei Depressiven mit verschiedenen Persönlichkeitsformen. Unter seiner Leitung wurde die Klinik sowohl baulich als auch in den Therapie- und Forschungsschwerpunkten modernisiert. Im Jahre 1993 bezog die Klinik ein zusätzliches Gebäude, die sanierte ehemalige Neurologie. 1995 wurde die Tagesklinik eröffnet. Das Angebot an Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen, reaktiven Störungen und Neurosen wurde deutlich verbessert. Im teilstationären Setting wurde auf den Psychotherapiestationen V. Baeyer und V.Gebsattel das Psychotherapieangebot (Tiefenpsychologisch orientierte und verhaltenstherapeutische Behandlung) deutlich erweitert. Die klinische Forschung erhielt insgesamt eine stärkere empirische Ausrichtung.

Seit September 2009 übernahm S.C. Herpertz die Direktion der Klinik.

Weiterführende Literatur:

Janzarik, W. (1978). 100 Jahre Heidelberger Psychiatrie. Heidelberger Jahrbücher XXII. Berlin: Springer.

Middelhoff, H. D. (1979). Roller und die Vorgeschichte der Heidelberger psychiatrischen Klinik. In W.Janzarik (Ed.), Psychopathologie als Grundlagenwissenschaft (pp. 33-50). Stuttgart: Enke.

Mundt, Ch. (1992). The History of Psychiatry in Heidelberg. In M.Spitzer, F. Uehlein, M. A. Schwartz, & Ch. Mundt (Eds.), Phenomenology, language & schizophrenia (pp. 16-31). New York: Springer.

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