Heidelberger Postpartum Studie: Epidemiologie postpartaler Angststörungen und Depressionen, Baby Blues, Bonding und mütterliche Selbstwirksamkeit
„Depression und Angststörung im Postpartalzeitraum - Eltern-Kind-Beziehung, kindliche Entwicklung und Familienallianz“
Studienleitung:
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Corinna Reck, Leitende Psychologin, Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinikum Heidelberg'
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:
- Dipl.-Psych. Kerstin Struben
- Dipl.-Psych. Kirsten Pabst
- Dipl.-Psych. Katja Reinig-Bisdorf
- Britta Zipser
- Dipl.-Psych. Ulrich Stefenelli
- Dipl.-Biol. Eva Stehle
- PD. Dr. med. Eva Möhler
- Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs
- Prof. Dr. med. Christoph Mundt
Inhalt und Ziele:
Hauptziel der prospektiven Studie war die Untersuchung der prädiktiven Bedeutung der mütterlichen Psychopathologie und des Interaktionsverhaltens für die emotionale Entwicklung des Kindes. In einer vorangegangenen Untersuchung wurden bereits ‚depressive’ und ‚gesunde’ Mutter-Kind-Dyaden drei Monate postpartum miteinander verglichen. Nun wurde eine Nachuntersuchung der Mutter-Kind-Dyaden beider Gruppen im Alter von 3-3,5 Jahre und 4-5 Jahren zur emotionalen Entwicklung und der Bindung des Kindes angestrebt. Außerdem sollte sowohl die väterliche Psychopathologie als auch das Familiensystem als Ganzes Beachtung finden. Die systematische Berücksichtigung spezifischer Merkmale des Störungsverlaufs wie Schweregrad und Chronizität der mütterlichen Depressionen und Angststörungen war dabei vorgesehen. Langfristiges Ziel war der Erwerb von Grundlagenwissen für die Planung störungsspezifischer Mutter-Kind- und familienzentrierter Interventionen mit dem Ziel der Prävention kindlicher Entwicklungsdefizite und Bindungsstörungen.
Hintergrund:
Die Bedeutung postpartaler psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen wird in Deutschland im Allgemeinen unterschätzt. Postpartale Depression und Postpartale Angststörungen werden nicht diagnostiziert – zum Einen, weil Betroffene aus Scham dem gesellschaftlichen Bild und den eigenen Vorstellungen der glücklichen jungen Mutter nicht zu entsprechen, die Beschwerden verschweigen, zum Anderen, weil postpartale psychische Erkrankungen in der deutschen psychiatrischen und gynäkologischen Fachliteratur bisher wenig Beachtung gefunden haben. Dieser scheinbaren Bedeutungslosigkeit stehen Schätzungen nach 10-20% behandlungsbedürftige Depressionen und Angststörungen bei jungen Müttern im Wochenbett gegenüber. Nicht alleine aufgrund der psychischen Gesundheit der Mutter ist eine professionelle Behandlung postpartaler psychischer Erkrankungen von äußerster Wichtigkeit. Sowohl Postpartale Depressionen als auch Postpartale Angststörungen wirken sich sowohl nachteilig auf die Entwicklung einer stabilen Mutter-Kind-Beziehung als auch auf die intellektuelle und emotionale Entwicklung des Kindes aus. In bisherigen Studien wurde den Vätern nur wenig Beachtung geschenkt, obwohl diese häufig bei einer psychischen Erkrankung der Kindmutter viele ihrer Funktionen übernehmen und ebenfalls eine hohe psychische Belastung erfahren. Aus diesem Grund scheint es uns wichtig außer einer zusätzlichen Befragung der Väter auch die Kooperation im Familiensystem näher zu betrachten.
Studienablauf:
In einem prospektiven Längsschnittdesign wurden „depressive“, „angstgestörte“ und „gesunde“ Mutter-Kind-Paare und -Triaden im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe untersucht. Ziel der geplanten Studie war die Nachuntersuchung der Bedeutung von postpartalen Depressionen und Angststörungen für die kindliche emotional-affektive Entwicklung. In einem prospektiven Längsschnittdesign wurden Kinder von postpartal depressiven (N=62) und postpartal angstgestörten Müttern (N=114) zu insgesamt zwei Hauptmesszeitpunkten im Alter von 3-3,5 Jahren und 4-5 Jahren im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe untersucht.
Zu beiden Messzeitpunkten wurden im Rahmen eines multifaktoriellen Modells folgende Untersuchungen durchgeführt: Bindungsmuster des Kindes (FST), Bindungsrepräsentation der Mutter (AAP), Psychische Gesundheit der Mutter (SKID-I), Familienallianz (LTP), soziale und emotionale Entwicklung des Kindes (CBCL 1 ½ - 5), soziodemographische Daten (Fragebogenset) und psychische Gesundheit des Vaters (Fragebogenset). Der zeitliche Abstand zwischen beiden Messzeitpunkten betrug 4-6 Wochen.
Erste Ergebnisse:
Sechs Prozent der teilnehmender Mütter litten unter einer Wochenbettdepression, während bei elf Prozent eine Angststörung und bei weiteren 55 ein sog. Baby Blues diagnostiziert wurde. Zudem konnte bei 9% aller untersuchten Mütter eine beeinträchtigte Beziehung zu ihrem Säugling festgestellt werden, die sich sowohl auf der emotionalen als auch auf der Verhaltensebene zeigt. Es zeigte sich, dass die Beziehung zwischen Mutter und Kind umso beeinträchtigter war, je schwerer die Depression war.
Mütter mit einer Wochenbettdepression schätzten ihre mütterliche Selbstwirksamkeit deutlich niedriger ein als gesunde Mütter. Unter mütterlicher Selbstwirksamkeit versteht man den Glauben der Mutter an die eigene Fähigkeit, einen positiven Einfluss auf das Verhalten und die Entwicklung des Kindes zu haben. Auch die Einschätzung ihrer Selbstwirksamkeit sank, je stärker die Depression ausgeprägt war.
Auch wenn diese psychischen Auffälligkeiten nur in geringem Maße vorhanden sind, kann dies schon einen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben. Dieser Einfluss wurde bisher nur im anglo-amerikanischen Raum untersucht.
Publikationen:
- Reck C, Klier CM, Pabst K, Stehle E, Steffenelli U, Struben K, Backenstrass M. (2006). The German version of the Postpartum Bonding Instrument: Psychometric properties and association with postpartum depression. Archives of Womens’ Mental Health 9, 265-271.
- Reck C, Struben K, Backenstrass M, Stefenelli U, Reinig K, Sohn C, Mundt Ch (2008). Prevalence, Onset and Comorbidity of Postpartum Anxiety and Depressive Disorders. Acta Psychiatrica Scandinavica 118, 459-468.
- Reck C, Stehle E, Reinig K, Mundt, C (2009). Maternal Blues as a Predictor of Postpartum Depression and Anxiety Disorders in a German community sample. Journal of Affective Disorders, 113:1-2, 77- 87.