PRÄDIKTIVE NOZIZEPTIONSVERARBEITUNG UND ALLOSTATISCHE BELASTUNG BEI FIBROMYALGIE
EIN RECHNERGESTÜTZTER MODELLIERUNGSANSATZ
Zusammenfassung
Das Fibromyalgiesyndrom ist eine schwere chronische Schmerzstörung unklarer Genese. Es führt bei den Betroffenen zu erheblichen Leidensdruck sowie gravierenden Einschränkungen in Lebensqualität, Morbidität und sogar Mortalität. Mit einer geschätzten Prävalenz von 2-5 % in der Allgemeinbevölkerung ist das Fibromyalgiesyndrom häufig und daher von enormer sozioökonomischer Relevanz. Die Therapie ist schwierig, die Behandlungsergebnisse sind meist unbefriedigend und die Pathogenese ist noch weitgehend unverstanden. Eine Störung der zentralnervösen Schmerzverarbeitung wird angenommen. Diese führt zu einer sensorischen Schmerzüberempfindlichkeit mit Allodynie, d.h. die Wahrnehmung gutartiger, nicht-schädlicher Reize wird als schmerzhaft erlebt. Allodynie ist ein potentieller Indikator für eine anomale Verarbeitung sensorischer Reize und kann als falsche Wahrnehmung oder Fehlinterpretation von Bedrohungssignalen angesehen werden.
In dieser Studie werden wir uns mit der Frage befassen, ob eine computationale Modellierung der zentralnervösen prädiktiven Verarbeitung sensorischer Informationen die dysfunktionale Schmerzwahrnehmung bei Fibromyalgie erklären kann. Mit Hilfe einer pawlowschen Lernaufgabe möchten wir konditionierte Schmerzwahrnehmungen bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom sowie schmerzfreien Kontrollen induzieren. Mit Hilfe eines hierarchischen probabilistischen Gauss´schen Filtermodels werden wir die verschiedenen Ebenen der zugrundeliegenden Berechnungsprozesse analysieren, die den konditionierten falsch-positiven Schmerzwahrnehmungen im Antwortmodell der Teilnehmer zugrundeliegen. Wir werden dann mit Hilfe der computationalen Modellierung der somatosensorischen Wahrnehmung untersuchen, ob Fibromyalgie-Patienten eine größere Anfälligkeit für konditionierte sensorische Schmerzwahrnehmungen zeigen als schmerzfreie Kontrollen bei der Aufgabe der konditionierten Wahrnehmung, und ob dies mit der spezifischen Gewichtung von Erwartungszuständen gegenüber sensorischen Informationen zusammenhängt. In ähnlicher Weise soll die computationale Modellierung verwendet werden, um die Wahrnehmungsüberzeugungen über die Reizkontingenz sowie die Volatilität dieser Kontingenz zu erfassen. Formal gehen wir davon aus, dass Fibromyalgie-Patienten im Vergleich zu normalen Kontrollen eine stärkere Gewichtung früherer Erwartungszustände aufweisen, bei gleichzeitiger Erhöhung der falsch-positiven Raten in unserem konditionierten Wahrnehmungsparadigma. Das im Rahmen dieser Studie entwickelte sensorische Testparadigma soll ermöglichen, zukünftig die spezifische Gewichtung von Erwartungszuständen gegenüber sensorischen Informationen bei chronischen Schmerzstörungen zu quantifizieren und neue Biomarker der Schmerzchronifizierung zu identifizieren. Sollten sich die Studienhypothesen bestätigen, erlaubt dies eine grundlegende Verbesserung im Verständnis der Pathogenese des Fibromyalgiesyndroms.