Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) zur Immuntherapie in der Onkologie
prospektive, randomisiert kontrollierte Studie
Zusammenfassung
Das PEF-Immun-Projekt: Entscheidungshilfe zu Behandlungsmöglichkeiten beim metastasierten Melanom
Hintergrund: Im Rahmen der PEF-Immun-Studie mit Förderung durch den Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses erhielten Patienten mit bereits metastasiertem malignem Melanom Unterstützung im komplexen Entscheidungsfindungsprozess bezüglich der weiteren Behandlungsoptionen. Bei der Behandlung des metastasierten Melanoms kommen seit einiger Zeit sogenannte Immun-Checkpoint-Blocker zur Anwendung. Mittlere Überlebensraten konnten durch diese Immuntherapien von zuvor 6-9 Monaten schrittweise auf zwei Jahre und mehr gesteigert werden. Als weitere Therapieoption stehen bei Patient*innen, die eine BRAF-Mutation aufweisen (ca. 40%) auch sogenannte BRAF+MEK Inhibitoren zur Verfügung. Die zugelassenen Substanzen unterscheiden sich dabei erheblich hinsichtlich ihrer Ansprechraten, Wirksamkeit und Verträglichkeit. Das Risiko für schwerste autoimmune Nebenwirkungen wird von Patient*innen eher unterschätzt. Diese können jedoch beachtlich sein: Die Reaktion des Immunsystems kann außer Kontrolle geraten, körpereigene Gewebe und Organe angegriffen und erheblich geschädigt werden.
Patient*innen und Ihre Behandler*innen stehen vor einer sehr schwierigen und auch präferenzsensitiven Entscheidungssituation. Die medizinischen Sachverhalte sind sehr komplex und nicht leicht zu vermitteln. Gleichzeitig ist es jedoch dringend geboten, Patient*innen bei solch einer schwerwiegenden Entscheidung partizipativ mit einzubeziehen, umfassend zu informieren und zu beraten. Dies wird durch das 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz untermauert, und ist auch entsprechend in der S3-Richtlinie zur Behandlung des metastasierten Melanoms empfohlen
Mit dem Ziel, Melanom-Patient*innen mit Erstdiagnose einer Fernmetastasierung ausgewogen und laiengerecht über ihre Behandlungsmöglichkeiten zu informieren, Partizipative Entscheidungsfindung zu ermöglichen und eine realistische Risikowahrnehmung zu fördern, wurde im Projekt „PEF-Immun“ (2019-2022) eine web-basierte, interaktive Entscheidungshilfe zur Erstlinientherapie entwickelt. Entwicklung, Implementierung, Evaluation und Erfassung der Akzeptanz der Entscheidungshilfe waren dabei konkrete Inhalte des Projekts.
Das Projekt erhielt über vier Jahre eine Förderung durch den Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesausschusses. Aufgrund seiner hohen Patientenorientierung wurde das PEF-Immun-Projekt im Mai 2023 für den renommierten MSD-Gesundheitspreis nominiert.
Arbeitsplan und Methodik: Das PEF-Immun-Projekt gliederte sich in zwei Projektphasen. Im ersten Studienjahr ab 2019 (Phase 1) wurde die webbasierte, interaktive Entscheidungshilfe entwickelt und in Kooperation mit einer Medienagentur (TAKEPART) programmiert. Es wurden animierte Erklärvideos, Experteninterviews sowie Patient*innen-Interviews eingearbeitet. Außerdem werden Informationen graphisch veranschaulicht und in leicht verständlichen Texten widergegeben. Die interdisziplinäre Projektgruppe bestehend aus Dermatoonkolog*innen und Psychosomatiker*innen folgte bei der Erstellung eines ersten Prototyps der Entscheidungshilfe den Qualitätskriterien der „International Patient Decision Aids Standards (IPDAS) Collaboration“. Dies beinhaltete u.a. die Bedarfsanalyse, Integration der S3-Leitlinie, Literaturrecherchen und stetige Verbesserung dank multipler Feedbackschleifen durch Fokusgruppen mit Patient*innen, Patient*innen*vertreter*innen und Expert*innen.
Ab dem zweiten Studienjahr ab 2020 (Phase 2) standen Implementierung und Evaluation der Entscheidungshilfe im Vordergrund. Die Entscheidungshilfe wurde in einer zweiarmigen, prospektiven, randomisiert-kontrollierten, bizentrischen Studie an einer repräsentativen Stichprobe von 128 Melanompatient*innen an den Nationalen Tumorzentren (NCT) in Heidelberg und Dresden hinsichtlich Akzeptanz, Informiertheit, realistischer Risikowahrnehmung, Entscheidungszufriedenheit und PEF überprüft. Die Interventionsgruppe (IG) bekam vor dem entscheidungsrelevanten Arztgespräch Zugang zur Entscheidungshilfe, die Kontrollgruppe (KG) erhielt treatment-as-usual. Hierbei werden im Rahmen des Arztgespräches relevante Informationen nur mündlich vermittelt. Die Datenerhebung erfolgte zu drei Messzeitpunkten (vor dem Arztgespräch (T=0), nach dem Arztgespräch (T1), beim 3-Monats-Follow-up (T2)). Patient*innen mit metastasiertem Melanom und Indikation zu systemischer Erstlinientherapie wurden nach Aufklärung und schriftlicher Einwilligung via softwarebasierter Block-Randomisierung einem der beiden Studienarme zugewiesen.
Ergebnisse: Mittels kontrolliert-randomisierte Studie konnte nachgewiesen werden, dass Patient*innen, die die Entscheidungshilfe nutzten ein höheres Wissen bzgl. der verschiedenen Therapieoptionen erlangen und das Nebenwirkungsrisiko realistischer einschätzen, als Patient*innen der Kontrollbedingung. Die Verständlichkeit und Nützlichkeit der Entscheidungshilfe wurden durch die Patient*innen als sehr positiv bewertet. Die Entscheidungshilfe wurde somit als gute Unterstützung im herausfordernden Behandlungsprozess erlebt.
Ausblick: Aufgrund der positiven Studienergebnisse und Beurteilung durch Patient*innen und Expert*innen soll die Entscheidungshilfe allen Patient*innen mit Melanom in Deutschland zugänglich gemacht werden. Die Entscheidungshilfe wird daher in Kürze unter der Schirmherrschaft der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie (ADO) über die Webseite Infoportal Hautkrebs (www.infoportal-hautkrebs.de) der Nationalen Versorgungskonferenz (NVKH) öffentlich für alle Patient*innen zur Verfügung stehen.
Das Projekt steht unter der Konsortialführung von apl. Prof. Dr. med. Christiane Bieber aus der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik und wurde in Kooperation mit dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg (PD Dr. med. Imad Maatouk, Prof. Dr. med. Jessica Hassel) sowie dem UniversitätskrebsCentrum (UCC) Dresden (Prof. Dr. Friedegund Meier) durchgeführt.
Projektleitung
apl. Prof. Dr. med. Christiane Bieber
Fachärztin für Innere Medizin
Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Schwerpunkt
Shared Decision Making, Arzt-Patient-Beziehung und Kommunikationsforschung, Chronischer Schmerz, Psychoonkologie
Arbeitsgruppe:
Milena Borchers M. Sc., Pia Grabbe M. sc., Dr. phil. Dipl. Psych. Kathrin Gschwendtner, Dr. med. Martin Salzmann, Dr. med. Sophia Strobel, Dr. phil. Miriam Grapp
Kooperations-/Verbundpartner:
Prof. Dr. med. Jessica Hassel (NCT Heidelberg), PD Dr. med. Imad Maatouk (NCT Heidelberg), Prof. Dr. med. Friedegund Meier (UCC Dresden)
Laufzeit: 4 Jahre (Januar 2019 - Dezember 2022)
Gefördert von: (mit insgesamt 575.000 Euro)