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Pflege neu denken – Nachhaltigkeit in der Pflege

Karin Ameti ist seit bald 40 Jahren Gesundheits- und Krankenpflegerin am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD). Sie arbeitet auf einer Allgemeinstation der Chirurgischen Klinik und engagiert sich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen* für den bewussteren Umgang mit Materialien und die Reduktion von Müll im Pflegealltag. Im Gespräch mit ihr wird schnell klar, dass es auf Station, trotz vieler Einschränkungen durch hygienische Bestimmungen, jede Menge Potenzial für Einsparungen gibt. Viele kleine Projekte wurden am UKHD bereits angestoßen, doch der Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Pflege ist nicht leicht.

Während wir im Privaten unseren Ressourcenverbrauch und die Entstehung von Abfall weitestgehend selbst steuern können, beispielsweise indem wir möglichst unverpackt einkaufen oder auf Mehrwegprodukte setzen, scheint es, als seien uns auf der Arbeit die Hände gebunden. Und gerade in der Pflege fällt jede Menge Verpackungsmüll an. Medizinprodukte unterliegen strengsten hygienischen Standards und sind häufig Einwegprodukte, die mehrfach eingeschweißt sind. Die Kunststoffverpackungen bestehen aus verschiedensten Materialien, die schwer zu trennen und recyceln sind.

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachformen verzichtet.

Laut Ameti schöpfen wir in der Pflege aus dem Vollen. Die Schränke in den Stationszimmern sind voll, die Materialien mannigfaltig und teuer. Ameti berichtet, dass in den letzten Jahren mit dem Aufkommen der Corona Pandemie die Unsicherheit hinsichtlich Hygiene gewachsen sei, was teilweise zu übertriebenen Maßnahmen geführt habe. So werden beispielsweise häufig Einmalhandschuhe getragen, wo diese überhaupt nicht nötig sind. Auszubildende ziehen Handschuhe an, wenn sie Patienten Haare kämmen oder den Rücken waschen, Bettenfahrer wenn sie ein Bett schieben. Und muss ein Patient wirklich mit einer Einmalzahnbürste versorgt werden, die auch bei Nichtbenutzung weggeworfen wird, wenn er seine eigene Zahnbürste dabei hat? Ameti spricht gar von einem „Hygienewahn“ und wünscht sich strengere Vorgaben, was die Bereitstellung und Benutzung von Wegwerfprodukten betrifft. Sie vermisst ein Bewusstsein darüber, was für eine hygienisch vertretbare Pflege wirklich benötigt wird und plädiert dafür, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass wir es uns hinsichtlich Klimaschutz schlichtweg nicht mehr erlauben können, so verschwenderisch zu agieren.

Häufig begegnet Ameti dem Argument, der Zeitfaktor stehe dem bewussteren Umgang mit Materialien entgegen, denn Wegwerfen geht schneller als Aufbereiten. Sie kennt das Gefühl, in der Pflege keine Zeit zu haben für etwas, das nicht direkt am Patienten stattfindet und in der Personalbemessung nur schwer abgebildet werden kann. Doch gerade die vorbereitende Arbeit, Material sorgfältig und passgenau auszuwählen, ist wertvoll und sorgt für weniger Verschwendung. Wer sich die Zeit nimmt, um bewusst auszuwählen, greift nicht zuerst zum falschen Produkt, das nach dem Öffnen weggeworfen werden muss. Da in der Pflege häufig Zeitdruck herrscht, helfen klare Vorgaben, um die Entscheidung darüber, welche Materialien notwendig sind, den Pflegenden abzunehmen. Um sinnvoll und nachhaltig arbeiten zu können, braucht die Pflege vor allem eines: Zeit.

Dass es Ansätze für mehr Nachhaltigkeit in der Pflege gibt, zeigen Ameti und weitere Kollegen, die sich seit einigen Jahren in der sogenannten Spar AG zusammengetan haben, um verschiedene, kleine Projekte anzustoßen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen und für das Thema zu sensibilisieren. Das Team trifft sich circa alle drei Monate und wird dabei von der stellvertretenden Pflegedienstleitung der Chirurgie mit wertvollem Input und Tipps versorgt. In der AG legen sie den Fokus auf Materialkosteneinsparungen, die Kostenreduktion insgesamt über Prozessoptimierungen und Nachhaltigkeitsanalysen. Eine Pflegende setzt sich hier zum Beispiel zum Ziel, die Notwendigkeit des Wechselns von Müllbeuteln mit wenig Inhalt zu prüfen. Ein anderer Kollege beschäftigt sich mit Bestellvorgängen und evaluiert, ob Bestellmengen angemessen sind. Ameti hat sich die Wiederverwendbarkeit von Medikamentenspendern zu Herzen genommen und mittlerweile dafür gesorgt, dass diese auf ihrer Station gereinigt und wiederverwendet werden.

In einem anderen Projekt konnten Pflegende erreichen, dass in der gesamten Chirurgischen Klinik der Gebrauch von PET Flaschen abgeschafft und stattdessen Glaskaraffen und Leitungswasseraufbereiter angeschafft wurden. Das Team setzte sich hier das Ziel, Ressourcen zu schonen, Kosten zu senken und die Patienten-Zufriedenheit zu erhöhen. So gelang es beispielsweise, Patienten dazu zu motivieren, sich häufiger selbst zu mobilisieren, um sich mit Trinkwasser zu versorgen. Manche Patienten wählen bewusst die kleinen Karaffen von 500 Milliliter, um häufiger aufzustehen und sich mehr bewegen zu müssen als bei den 1 Liter Karaffen. So kann der durch die üblicherweise am UKHD verwendeten PET Flaschen entstandene Abfall vermieden, Kosten gespart und Patienten mobilisiert werden.

Dass Nachhaltigkeit in der Pflege nicht nur Aufgabe der Pflegenden ist, sondern auch Pflicht der Hersteller von Medizinprodukten, zeigt das Entsorgungsproblem aufgrund der Beschaffenheit der Verpackungen. Dr. Vanessa Benkert, Sachgebietsleiterin Entsorgungs- und Umweltmanagement am UKHD, arbeitet daran, klare Konzepte hinsichtlich der Entsorgung von Krankenhausabfall für alle Beschäftigten zu erarbeiten. Sie berichtet vom Trend sogenannter Rücknahmeprogramme, die von Herstellerfirmen angeboten werden. Eine positive Entwicklung, die sich aktuell aber noch auf einzelne Produkte beschränkt und teilweise mit Mehrkosten verbunden ist. So startete am UKHD kürzlich ein Projekt im Herzkatheter Labor zur Rückgewinnung von Edelmetallen aus Katheter Spitzen. Bislang landeten sie in der Müllverbrennung, nun werden die benutzten Spitzen separat gesammelt und dem Recycling zugeführt.  

Um Klimaschutz voranzutreiben, muss langfristig im Bereich der Medizinprodukte auf Kreislaufwirtschaft gesetzt werden. Geräte und Materialien müssen so lange wie möglich genutzt, repariert und anschließend recycelt werden. Hersteller können für eine erhöhte Langlebigkeit sorgen, wenn sich Produkte gut reparieren lassen. Tatsächlich wird die Treibhausgas-Intensität von Medikamenten und Medizinprodukten stark unterschätzt. Das zeigen Umfragen, die im Rahmen des Projekts „Klimaschutz in Kliniken durch Optimierung der Lieferketten“ (KliOL) durchgeführt wurden. Claudia Quitmann vom Institute of Global Health des UKHD und Koordinatorin von KliOL berichtet, dass Energie, Abfall und Mobilität als Hauptemissionsquellen am UKHD wahrgenommen werden. Tatsächlich stammten aber etwa drei Viertel der Emissionen durch vor- und nachgelagerte Prozesse, wie die Entwicklung und Fertigung, der Betrieb und die Entsorgung von Medizinprodukten. Im KliOL-Projekt erstellt das Team rund um Quitmann einen Treibhausgas-Rechner für Krankenhäuser mit speziellem Fokus auf die Lieferketten.

Karin Ameti wünscht sich, dass die Müllvermeidung im Krankenhausalltag und das Thema Nachhaltigkeit im Allgemeinen gleichwertig zur Hygiene behandelt werden. Beiden Aspekten müsse Rechnung getragen werden. Für sie steht fest, dass sich erst etwas verändern wird, wenn es uns gelingt, ein stärkeres Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Viele kleine Dinge seien schon umgesetzt worden und wir sind auf dem richtigen Weg. Nichtsdestotrotz muss noch ganz viel passieren. Die Zeit dafür ist reif. Ob Energie sparen, Müll vermeiden oder mit dem Rad zur Arbeit fahren – jeder Mitarbeitende kann seinen Teil für eine nachhaltigere Zukunft beitragen.

Was sonst noch am UKHD zum Thema Nachhaltigkeit passiert:

Arbeitsgruppe zum Thema Klimawandel und Gesundheit

Seit 2012 befasst sich das Institut für Global Health mit dem Thema Klimawandel und Gesundheit. In einem aktuellen Projekt geht es um "Klimaschutz in Kliniken durch Optimierung der Lieferketten" (KliOL). In Kooperation mit dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg wird ein Treibhausgas-Rechner für Krankenhäuser entwickelt, der explizit die Emissionen u.a. aus den Lieferketten miteinbezieht. Mit Hilfe des Rechners können erfolgversprechende Klimaschutzmaßnahmen benannt, erprobt und ausgewertet werden.

Netzwerk Nachhaltigkeit

Das 2020 gegründete Netzwerk Nachhaltigkeit (NENA) ist ein für alle Mitarbeitende offener Zusammenschluss von ca. 50 Aktiven, die sich in mehreren Arbeitsgruppen mit klimarelevanten Themen beschäftigen. Neben einer engen Zusammenarbeit im Projekt KliOL geht es in einem weiteren Projekt um die Klimaschädlichkeit von Narkosegasen. Diese belasten die Umwelt, denn Narkosegase sind direkte Treibhausgase und werden von Patienten während der OP zum großen Teil wieder ausgeatmet. Gemeinsam mit der Klinik für Anästhesie wird versucht, die Emissionen durch Narkosegase zu reduzieren. Bei Interesse sich im Rahmen von NeNa für Klimaschutz am UKHD zu engagieren, können Sie sich gerne melden unter: nachhaltigkeit(at)med.uni-heidelberg.de.

Teil der Nationalen Klimaschutzinitiative des Bundes

Neben KliOL und NENA gab es bis April 2022 zudem das Projekt „KliK Green - Klimaschutz trifft Krankenhaus" am UKHD, das im Rahmen der Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums gefördert wurde. Die Ziele bestanden darin, mindestens 100.000 Tonnen CO2-Äquivalente zu vermeiden. Bundesweit engagierten sich 250 Krankenhäuser und Reha-Kliniken mit über 1.600 Klimaschutzmaßnahmen.

Arbeitsgruppe Mobilität

Bereits seit 2018 existiert eine Arbeitsgruppe zum Thema Mobilität, die Vorschläge entwickelt, wie man zum Beispiel die Verkehrssituation im Neuenheimer Feld entlasten und die Bedingungen für Radfahrer verbessern kann. Zuletzt bestand eine Teilnahme im Förderprogramm der Stadt Heidelberg, das die Unternehmen bei der Einführung des Betrieblichen Mobilitätsmanagements unterstützt.

Stabsstelle für Nachhaltigkeit und Klimaschutz

Am 1. Oktober 2022 wurde am UKHD eine eigene Stabsstelle eingerichtet, um alle Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit über die Geschäftsbereiche und Tochtergesellschaften hinweg zu koordinieren. Neben der Umsetzung von Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit geht es auch um den Einsatz von Anästhesiegasen oder das betriebliche Mobilitätsmanagement. Die Einführung eines effizienten Nachhaltigkeitsmanagementsystems steht ebenfalls auf der Agenda.