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„Pflege Gehör verschaffen“ – Eine Landespflegekammer für Baden-Württemberg

Ende 2024 könnte eine Landespflegekammer Baden-Württemberg ihre Arbeit aufnehmen und für die demokratische Teilhabe der professionell Pflegenden in Entscheidungsgremien sorgen. Nicht mehr über, sondern mit der Pflege soll dann gesprochen werden. Für die Einführung gibt es viele gute Gründe, aber auch einige Unklarheiten stehen im Raum. Deshalb haben wir unsere Fragen zur Landespflegekammer an Susanne Scheck, Vorsitzende des Landespflegerats in Baden-Württemberg, und Edgar Reisch, Pflegedirektor des Universitätsklinikum Heidelberg, gestellt.

 

Die aktuellen Probleme in der Pflege, wie beispielsweise Personalnotstand, geringe gesellschaftliche Anerkennung oder schlechte Arbeitsbedingungen, sind seit langem bekannt und unumstritten. Was kann eine Pflegekammer leisten, um diese Herausforderungen anzugehen?

Das größte Problem ist, dass in den großen Entscheidungsgremien im Gesundheitswesen die Profession Pflege in keinster Weise vertreten ist. Das heißt im Klartext, Gesetze zur Pflege werden ohne die Expertise der Berufsgruppe erarbeitet und erlassen. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Genau hier kommt die Pflegekammer ins Spiel. Sie ist im Rahmen unseres in Deutschland vorherrschenden Systems die einzige Möglichkeit, Einfluss auf die Rahmenbedingungen und die Gesetzgebung zu nehmen und mit anderen Heilberufen auf Augenhöhe zu agieren. Anerkennung und Wertschätzung hat aus meiner Erfahrung immer auch mit Beteiligung an Entscheidungsprozessen zu tun. Wenn wir kein Mitspracherecht erhalten, wenn über uns statt mit uns entschieden wird, dann sind wir de facto kein gleichberechtigter Partner.

Das Thema Personalnotstand ist beispielsweise eines, das auf der Agenda einer Pflegekammer steht. Natürlich kann eine Pflegekammer den Pflegenotstand nicht beheben, aber sie hat beispielsweise die Aufgabe, in einem Pflegeberuferegister die Pflegenden zu führen und kann dadurch Versorgungslücken auf Landesebene aufzeigen. Erstmals wären wir dann in der Lage, verlässlich zu sagen, wie viele Pflegefachpersonen in Baden-Württemberg in der Pflege tätig sind, wer berufsfremde Tätigkeiten ausübt und wie viele perspektivisch in Rente gehen.

Weitere wichtige Punkte sind die Festlegung einer Berufsordnung sowie einer Fort- und Weiterbildungsordnung. Wer ist besser geeignet zu sagen, was die Aufgaben der Profession sind und wie sich die Qualität des Berufes weiterentwickeln kann und soll, als die Pflege selbst?

Warum ist es Ihnen als Pflegedirektor des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) wichtig, dass Baden-Württemberg eine Pflegekammer bekommt?

Pflege muss endlich als Profession anerkannt werden, denn sie leistet mit ihrem gesellschaftlichen Auftrag, ihrer exzellenten Expertise und Erfahrung einen Beitrag zur Sicherstellung der qualitativ hochwertigen pflegerischen Versorgung der Bevölkerung. Auch muss man wissen, dass die stationäre Krankenhaus-Behandlung dann erforderlich wird, wenn pflegerische Leistungen notwendig sind. Sind keine pflegerischen Leitungen notwendig, könnte die Behandlung ambulant durchgeführt werden.

Dass die Profession Pflege zudem systemrelevant ist, wurde bereits während der Corona-Pandemie mehr als deutlich. In Heidelberg beispielsweise, durch den Einsatz des Corona-Taxis, das hauptverantwortlich durch Pflegende betreut wurde.

Auch wenn zu Zeiten von Corona geklatscht wurde und die Wertschätzung an unserem Beruf und unserer Leistung hoch angesehen wurde, so ist das Image unseres Berufes in der Bevölkerung nach wie vor nicht gut. Mit der Pflegekammer können wir unsere Interessen sowohl bei politischen Entscheidungsprozessen vertreten, wie auch durch eine eigene Berufsordnung, Aufgaben und Verantwortungen, aber auch professionelle und moderne Qualitätsstandards definieren. Dabei erhoffe ich mir, dass mit der Pflegekammer längst nötige eigenständige Handlungsfelder diskutiert und klargelegt werden. In Diskussionen über die Pflege liefert die Pflegekammer kompetente Beiträge und positioniert sich jederzeit zu aktuellen Themen der pflegerischen Versorgung.

In Zeiten in denen wir mit vielen anderen Ausbildungsberufen z.B. im Handwerk konkurrieren, ist es wichtig das Ansehen des Pflegeberufes in ein positives Licht zu rücken. Hier ist eine Pflegekammer hilfreich, denn sie bietet die Möglichkeit Einfluss auf die Rahmenbedingungen zu nehmen. Darüber hinaus können wir auf Gesetzgebungen einwirken und die Profession Pflege als gleichberechtigte Partner anderer Heilberufe repräsentieren.

Im Übrigen, das Handwerk blickt auf eine jahrzehntelange Kammergeschichte zurück. Die Handwerkskammer vertritt auch hier die Interessen des Gesamthandwerks und regelt die Belange des Handwerks im Zuge der Selbstverwaltung selbst.

Und eben dies wird auch die Pflegekammer tun, denn Mitwirkung, Mitspracherecht und Beteiligt-sein an Entscheidungsprozessen sind grundlegende und weitreichend bekannte Motivationsfaktoren.

Weitere Fragen an Herrn Reisch:

Eine Berufskammer hat zum Ziel, den Berufsstand attraktiver zu machen. Welche Maßnahmen hat die Pflegedirektion des UKHD bereits eingeleitet, um den Pflegeberuf aufzuwerten?

Die Pflegedirektion des UKHDs hat in den vergangenen Jahren an Vielzahl an Maßnahmen und Projekten ins Leben gerufen um den Pflegeberuf aufzuwerten, Pflegende zu gewinnen und zu binden. 

Bereits 2007 wurde ‚der Heidelberger Weg – eine neue Aufgabenverteilung in der Patientenversorgung‘ beschlossen. Dabei wurden neue Berufsfelder eröffnet, wie beispielsweise das Zentrale Patientenmanagement zur Steuerung des Behandlungsprozesse, die Übernahme deklinierbarer ärztlicher Tätigkeiten durch qualifizierte Pflegende oder auch die Entlastung der Pflegenden durch den Einsatz von Versorgungs- und Teamassistentinnen.

Mit der Akademie für Gesundheitsberufe bieten sich eine Vielzahl an Fort- und Weiterbildungen an, die die Mitarbeitenden unterstützen neue Kompetenzen zu erlangen. Neben fachpraktischen Fort- und Weiterbildungen sind weitere Themen wie Führungskompetenz, Kommunikation und Work-Life-Balance wichtige Themenschwerpunkte. Dabei werden die Präsenzveranstaltungen durch Möglichkeiten des e-Learning unterstützt.

Ein weiterer Aspekt ist die Möglichkeit der persönlichen Karriereentwicklung. Dabei bieten wir die Möglichkeit einer fachpraktischen oder pädagogischen Karriere wie auch die im Management. Wir unterstützen unsere Pflegenden mit einer Vielzahl staatlich anerkannter Weiterbildungen, Aufstiegs- und Anpassungslehrgängen. Des Weiteren setzten wir uns auch für akademische Karriereweg ein. Unseren Pflegenden stehen eine Vielzahl an grundständigen Bachelor- und weiterführenden Masterstudiengängen mit anschließenden Berufsperspektiven offen. So haben wir inzwischen einen Anteil von 5-7% akademisierten Pflegefachpersonen. Unser 2021 entwickeltes dreidimensionale Kompetenzmodell, welches neben der Kompetenz und der Qualifikation auch die Erfahrung miteinschließt, dient dabei als übergreifendes Personalentwicklungs-Instrument für die Berufsgruppe der Pflegenden und dem Management als einheitliches Steuerungsintrument.

Geleitet werden wir von unseren ‚Führungsgrundsätzen des Pflegedienstes‘, die 2016 von einer hierarchieübergreifenden Arbeitsgruppe definiert wurden und als Handlungsorientierung aller Pflegenden dient.

2016 wurde das Projekt ‚Heidelberger Expertise 2020‘ ins Leben gerufen, um qualifizierte Mitarbeitende dauerhaft zu binden, die Berufszufriedenheit zu erhöhen und um eine exzellente Patientenversorgung zu gewährleisten. Neben den Aktionsfeldern Führung und Qualifikation, Gesundheit und Arbeitsumgebung, Marketing ist die Ergebnisqualität in der Pflege ein wichtiger Aspekt um die Berufszufriedenheit zu erhöhen.

Seit 2017 rekrutiert das UKHD Fachpersonen für den Pflegedienst aus dem internationalen Ausland um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken. Wir haben bereits über 300 internationale Pflegende gewinnen und in unsere Teams integrieren können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist unsere Beteiligung an der seit 2020 laufenden europaweiten Studie Magent-4-Europe mit, das zum obersten Ziel hat die „psychischen Gesundheit und das Wohlbefindens von Ärzt*innen, Pflegefachpersonen und weiteren Angehörigen der Gesundheitsberufe in europäischen Krankenhäusern“ zu verbessern. Dabei streben wir nach Beendigung der Studie eine Zertifizierung an.

Hier ist mir wichtig zu erwähnen, dass wir als Pflegende in einem interprofessionellen Kontext arbeiten, bei dem gegenseitige Wertschätzung und das Arbeiten auf Augenhöhe ein wesentlicher Bestandteil ist, damit der Pflegeberufe auch am UKHD attraktiv bleibt.

Inwiefern bietet eine Kammer die Chance, den Dialog auf Augenhöhe mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen zu stärken?

Im Moment wird über die Pflege diskutiert, denn häufig ist die Pflege nicht mit vertreten. Dies liegt auch daran, dass ein großer Teil der Pflegenden nicht organisiert ist.

Mit der Etablierung einer Pflegekammer ändert sich diese Situation. Die Pflege wird für ihre eigenen Belange einstehen und auf pflegepolitische Entwicklungen Einfluss nehmen können.

Denn über das Heilberufsgesetz ist die Pflegekammer und deren Aufgabe gesetzlich festgeschrieben. Dies bedeutet, dass die Einflussnahme der Pflege dann institutionalisiert ist

und sie auf Augenhöhe mit allen anderen Kammern auf Landesebene mitdiskutieren und ihre eigene Position vertreten kann. Das heißt zum Beispiel, dass wir mit der Ärztekammer auf Augenhöhe diskutieren und so für einen gemeinsamen gesundheitspolitischen Haltung auf politischer Ebene einstehen können. Darüber hinaus sind die öffentlichen Stellen natürlich verpflichtet, die Pflegekammer an zu hören und mit ihr und davon gehe ich aus, auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten.

Wenn wir von Augenhöhe sprechen, dann spielen natürlich auch die Gewerkschaften und Berufsverbände weiterhin eine wichtige Rolle. Mit den Gewerkschaften werden wir weiterhin Tarifverhandlungen haben und auch die gewerkschaftliche Beratung der Pflegenden obliegt ihnen. Gleichermaßen gilt dies auch für die Berufsverbände, die für die Weiterentwicklung der Profession Pflege und ebenfalls der Beratung derer Mitglieder verantwortlich sind. Hier kann ich nur den Slogan der Infokampagne für eine Landespflegekammer in Baden-Württemberg „Harmonischer Dreiklang für eine starke Pflege!“ unterstützen.


Weitere Fragen an Frau Scheck:

Es gibt bereits Berufsverbände, Gewerkschaften und den Landespflegerat. Wozu braucht es zusätzlich noch eine Pflegekammer? Und wie planen Sie, die Pflegefachkräfte für eine Kammer zu mobilisieren?

Nicht alle Pflegefachkräfte sind in Berufsverbänden oder Gewerkschaften vertreten. Die Berufsverbände können also nicht für die Mehrheit der Pflegenden sprechen. 2021 waren rund 4,7 % aller Pflegefachkräfte in Verbänden organisiert sind. Auch im Landespflegerat sind nicht alle Pflegeverbände vertreten. Berufsverbände haben die spezifische Aufgabe, die berufliche Weiterentwicklung ihrer Mitglieder zu fördern und haben durchaus ihre Berechtigung.

Gewerkschaften haben andere Aufgaben als eine Pflegekammer oder Berufsverbände, wie z.B. Tarifverhandlungen zu führen. Sie sind wichtig, aber auch hier besteht das Problem, dass sehr wenig Pflegekräfte in Gewerkschaften organisiert sind. Derzeit gibt es nur ver.di als Gewerkschaft mit Tarifautonomie für Tarifverhandlungen im Pflegebereich. In ve.rdi ist die Pflege im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft als einer von fünf Fachbereichen vertreten. Wir kennen die genauen Zahlen nicht, es wird jedoch geschätzt, dass ca. 10 Prozent der Pflegenden bei ver.di Mitglied sind. Das heißt, auch ver.di hat keine Legitimation für die ganze Profession zu sprechen.

 

Die Pflegekammer möchte weder Berufsverbände noch Gewerkschaften ersetzen. Es wird ein harmonischer Dreiklang für eine starke Pflege benötigt, damit die Pflege auf allen Ebenen kompetent und sichtbar vertreten ist. Nur gemeinsam wird es uns gelingen, der Pflege Gehör zu verschaffen. Es ist dringend geboten, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und uns nicht gegenseitig auszubooten.

 

Zu dem Teil Ihrer Frage, wie wir die Pflegenden mobilisieren wollen, steht für mich fest, dass das nur zu schaffen ist, wenn es uns gelingt, ausreichend und transparent die Pflegefachkräfte zu informieren. Nur dann können sie sich selbst eine Meinung bilden. Derzeit läuft eine Informationskampagne zur Errichtung unserer Landespflegekammer in Baden-Württemberg, um möglichst viele Pflegefachkräfte mit umfassenden Informationen zu erreichen. Gerade im Hinblick darauf, dass Baden-Württemberg ein Flächenland ist, haben wir über 50 ehrenamtliche Kammerbotschafter gewinnen können, die in den Einrichtungen informieren, Ansprechpartner vor Ort sind und die Belange und Fragen der Pflegefachkräfte aufnehmen. So hoffen wir, möglichst viele Pflegende über den Benefit einer Pflegekammer zu informieren und auch mit Fake-News aufzuräumen.

Vorausgesetzt es gibt eine Landespflegekammer und alle Pflegefachkräfte wären darin registriert, dann nimmt die Landespflegekammer jährlich regelmäßig Mitgliederbeiträge ein. Wozu werden diese Gelder verwendet? 

Wer zahlt, bestimmt. Das heißt, die Pflegekräfte legen die Höhe des Mitgliedsbeitrages in ihrer Kammerversammlung selbst fest – und zum Teil auch, wofür dieser eingesetzt wird. Selbstverständlich muss damit eine wie auch immer personell und strukturell ausgestattete Geschäftsstelle finanziert werden. Die Beiträge werden aber vornehmlich dafür eingesetzt, den Mitgliedern eine fachliche versierte Beratung vorzuhalten – auch auf juristischer Ebene. Kommt es zu Streitigkeiten zwischen Pflegekräften und ihren Arbeitgebern, kann die Kammer angerufen werden und diese bringt das Verfahren vor den Schlichtungsausschuss und begleitet es. Wir brauchen dringend Lobbyarbeit, auch das kostet Geld. Wir werden noch lange nicht so weit sein wie die Ärzte, die allein im Gemeinsamen Bundesausschuss ein Büro mit mehreren Mitarbeitern unterhalten. Aber da müssen wir perspektivisch hinkommen.

Ein Teil des Geldes wird benötigt, um eine Berufsordnung sowie Qualitätsstandards in der Fort- und Weiterbildung zu erarbeiten und damit die pflegerische Versorgung der Bevölkerung auf hohem Niveau sicherzustellen. Selbstverständlich wird der größte Teil der Arbeit in den Ausschüssen weiterhin im Ehrenamt stattfinden.

95 Prozent der Pflegenden sind abhängig beschäftigt, das heißt, sie arbeiten „weisungsgebunden“ und unterliegen arbeitsrechtlichen Regeln des Arbeitgebers. Welchen Nutzen haben aus Ihrer Sicht zusätzliche Regelungen beispielsweise hinsichtlich Berufsordnung oder Fort- und Weiterbildungen?

Ja, 95 Prozent der Pflegenden sind weisungsgebunden beschäftigt. Oft wird argumentiert, dass das in anderen „verkammerten“ Berufen nicht der Fall ist. Aber das stimmt so nicht. Laut Statistik der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2021 sind auch 51 Prozent der Ärzte abhängig beschäftigt. Bei den Apothekern sind rund 53.285 angestellt beschäftigt. Kammer und Festanstellung schließt sich also nicht aus. Im Gegenteil: Ähnlich wie bei den Ärzten hat auch das Land den Sicherstellungsauftrag für die pflegerische Versorgung und täte gut daran, dies über eine Pflegekammer auch rechtlich auf sichere Beine zu stellen. Sich für bessere Rahmenbedingungen einzusetzen und den Pflegeberuf insgesamt weiterzuentwickeln sind Aufgaben einer Pflegekammer – und die sind unabhängig von der Art der Beschäftigung. Es gibt bereits jetzt eine Weiterbildungsordnung für Pflegekräfte, die von der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft erarbeitet wurde. Die Frage ist, wollen wir weiterhin, dass andere Professionen uns die Vorgaben machen? Wir haben als Profession die Kompetenz, dies selbst für uns zu tun. Ich finde es ist höchste Zeit, dass wir unsere Berufsordnung selbst erarbeiten, denn wir führen diesen Job tagtäglich aus.

Erlauben Sie mir noch eine weitere Anmerkung: Es wird von der Politik oft moniert, dass es im Bereich der Pflege keinen Ansprechpartner gibt, der für alle sprechen kann. Das ließe sich mit einer Pflegekammer ganz einfach aus der Welt schaffen.