Kinderorthopädie - Wenn Graffiti-Bilder die Heilung fördern
Vanessa Hub und Carolin Kretz erklären Moderator Robin Krüger, was sich hinter einer frühkindlichen Hirnschädigung verbirgt, welche Auswirkungen diese auf den Körper haben kann und wie man sie behandelt. Denn genau auf diese Art von Patienten ist die Kinderstation spezialisiert.
Wie sehen die Behandlungsmethoden aus? Was ist das besondere bei der Kinderpflege? Nicht nur diese Fragen werden in diesem Podcast von den beiden Gesundheits- und Krankenpflegerinnen beantwortet. Sie sprechen auch darüber, wie sich junge Pflegekräfte mit ihren Ideen einbringen können. Außerdem erfährt man, was ein Graffiti Künstler mit der Kinderstation zu tun hat.
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Robin Krüger:
„Hallo und herzlich willkommen zu unserer letzten Folge der ersten Staffel von unserem UKHD Pflege Podcast. Mein Name ist Robin Krüger. Ich bin der Moderator hier und habe heute zwei ganz besondere Gesprächspartnerinnen aus der Orthopädischen Klinik bei mir. Die zwei arbeiten nämlich auf der Kinderstation B1. Ich habe einmal Vanessa Hubs, die stellvertretende Stationsleitung auf dieser Station, und die Carolin Kretz. Sie ist die Praxisanleiterin auf der Station. Hallo ihr zwei.“
Vanessa Hubs:
„Hallo Robin.“
Robin Krüger:
„Vanessa, möchtest du erstmal erzählen, was das Besondere bei euch auf Station ist?“
Vanessa Hubs:
„Ich möchte gerne heute über unsere Kinderstation in der Orthopädie sprechen. Wir sind die Station B1 in der Orthopädie Schlierbach, und wir sind etwas ganz Besonderes, denn wir arbeiten vorrangig mit ICP Patienten jeglichen Alters. Für alle, denen ICP kein Begriff ist: Die infantile zerebrale Paralyse bedeutet die frühkindliche Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel vor und auch manchmal während der Geburt. Hierbei können körperliche aber auch geistige Behinderungen unterschiedlichen Schweregrades auftreten, und durch den Sauerstoffmangel können Kontrakturen sowie Fehlstellungen des Bewegungsapparates, aber auch des Skeletts Systems entstehen. Aufgrund dessen haben sie einen Aufenthalt bei uns auf Station B1. Das operative Fachgebiet bei unseren Patienten beinhaltet vorrangig die Wirbelsäulenbegradigung bei Skoliose, Mehretagenkorrekturen bei Hüftfehlstellungen, sowie Knöchern- und Weichteil- korrekturen bei Fußdeformitäten. Außerdem behandeln wir auch noch andere Patienten mit typischen Sportverletzungen, Verletzungen der oberen Extremitäten wie Hand und Schulter sowie Onkologiepatienten. Unser Patientenklientel reicht von jung bis alt und genau das macht uns besonders.
Robin Krüger:
„Bei euch auf der Station ist natürlich dann die Pflege umso anspruchsvoller und die Einarbeitung für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauert ja dann auch, wie wir das schon im Vorgespräch hatten, ein halbes Jahr. Was könnt ihr uns denn noch über die Arbeit erzählen? Ein bisschen noch genauer beschreiben vielleicht? Und was ist vielleicht auch gerade bei der Einarbeitung wichtig bei euch? Carolin?“
Carolin Kretz:
„Also wir sind eine operative Station. Wir bereiten den Patienten zur OP vor und versorgen ihn danach. Wie Vanessa vorhin schon erwähnt hat, haben wir sehr komplexe Hüftoperation und deshalb kommen die Patienten von weit hergereist, um sich das bei uns operieren zu lassen. Extra für diese Hüftoperation wird von unseren Mitarbeitern, unserer eigenen technischen Orthopädie im Haus, eine „Rückenlageschaumstoffschale“ angefertigt, in der der Patient dann oft mehrere Wochen liegen muss. Die Schaumstoffschale wird in Handarbeit angefertigt. In Zusammenarbeit mit uns, mit den Physios und mit den technischen Orthopädie-Mitarbeitern, wird die Schale dann auf Passgenauigkeit geprüft, verändert um Druckstellen zu vermeiden und einfach geschaut, ob die Schale dann auch passt. Aufgrund dieser Immobilität ist oft eine Versorgung dieser Patienten mit zwei oder sogar drei Pflegekräften nötig. Das Handling sowie die Lagerung und Transfer sind meist von den Patienten und auch der OP-Technik abhängig und machen deshalb die Versorgung so komplex und individuell, was für einen neuen Mitarbeiter einen monatelangen Übungs- und auch Lernprozess bedeutet und dadurch die längere Einarbeitungszeit rechtfertigt.“
Robin Krüger:
„Vanessa, du bist ja schon ein bisschen länger auf der B1 in der Kinder-Orthopädie. Wie hat sich denn die Arbeit so in den letzten Jahren verändert?
Vanessa Hubs:
„Aufgrund immer kürzerer Liegezeiten nach großen operativen Eingriffen liegen im Vergleich zu vor fünf Jahren ein ICP Patient nach einer großen OP nur noch 7 bis 14 Tage bei uns auf Station. Früher waren das 8 bis 12 Wochen. Anschließend ist er nach den 8 bis 12 Wochen in eine Anschlußheilbehandlung gegangen. Aktuell läuft das Ganze so ab, dass er nach 7 bis 14 Tage nach Hause entlassen wird, was natürlich ein super Vorteil ist für den Patienten, um den Klinikalltag zu entkommen, und macht zu Hause ambulante Reha. Wir lernen auf Station somit natürlich deutlich mehr Patienten kennen und unsere Arbeitsweise hat sich auch beschleunigt. Was für uns sehr positiv ist: Wir haben deutlich mehr Fachbereiche hinzugewonnen, was die Arbeit für uns alle zusammen im Team deutlich interessanter und auch vielfältiger gestaltet. Die digitale Akte, die wir seit circa zwei Jahren haben, erleichtert uns den täglichen Ablauf auf Station deutlich.“
Robin Krüger:
„Und wieso würdest du einer jungen Pflegekraft, die vielleicht gerade ihre Ausbildung gemacht hat, auch raten, bei dir oder bei euch anzufangen?“
Vanessa Hubs:
„Ja, weil wir vorrangig auf jeden Fall ein sehr großes und gemischtes Team sind, aller Altersklassen. Wir haben die verschiedenen Fachbereiche, was niemals langweilig bei uns auf Station wird. Wir haben ein abwechslungsreiches Arbeitsaufkommen und kein Tag gleicht eigentlich dem anderen. Man lernt bei uns nie aus und wir haben sehr viele seltene Krankheitsbilder, die es sonst selten auf anderen Stationen zu sehen gibt. Aufgrund von den Krankheitsbildern, sind wir auch pflegerisch wirklich breit gefächert. Das heißt, wir haben immer, immer und immer wieder wechselnde Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Versorgung von Tracheostoma, von PEG, von verschiedenen Katheter-Systemen. Wir arbeiten viel mit Schmerzkathetern, wir haben die Prothesenversorgung und noch sehr, sehr viel mehr auf Station zu bieten.“
Robin Krüger:
„Es ist sicherlich natürlich auch spannend, nationale und internationale Patientinnen bei sich zu behandeln und nicht nur vielleicht die, die aus Heidelberg sind, die man vielleicht schon kennt oder auch immer wieder so Neue zu bekommen. Carolin, bist du bei euch auf Station ausschließlich als Praxisanleiterin tätig? Hast du noch andere Aufgaben? Was gehört so zu deinem Aufgabenfeld? Wie siehst du den Alltag aus?“
Carolin Kretz:
„Ich bin natürlich eine ganz normale Gesundheits- und Krankenpflegerin, habe einen normalen Alltag wie alle anderen auch. Aber ich bin Ansprechpartnerin Nummer eins für die Schüler. Die Schüler kommen am ersten Tag zu mir. Ich begrüße sie, ich zeige ihnen die Station und so arbeite ich sie von Tag zu Tag in unseren Stationsalltag ein und führ ich sie an den Umgang mit den ICP-Patienten quasi heran. Viele hatten nämlich noch gar keine Begegnung zu behinderten Patienten und da führ ich sie langsam ran. Ich erkläre und schule die Schüler, zeige ihnen alles auf Station, zeig ihnen unsere Lernmaterialien und führe sie so an ihre täglichen Aufgabengebiete heran. Allmählich bekommt so jeder einzelne Schüler mehr Selbstständigkeit und somit auch mehr Verantwortung übertragen. Aber natürlich immer unter einem strengen Auge und auch einem offenen Ohr für Fragen und Hilfestellungen.“
Robin Krüger:
„Vanessa, wie siehst du denn die Rolle der Pflege bei der Versorgung von den Kindern?“
Vanessa Hubs:
„Ja, die Rolle der Pflege bei der Versorgung dieser schwerstbehinderten Kinder ist sehr wichtig. Wir sind oft die Schulter zum Anlehnen, gerade bei Ängsten oder auch mal schlechten Nachrichten, gerade was die Onkologie-Patienten betrifft. Wir sind manchmal die Freunde von den Kindern, gerade wenn es Richtung Entlassung geht. Und manchmal sind wir aber auch natürlich der Feind, gerade wenn es um Verbandswechsel oder Blutentnahme geht. In manchen Fällen muss ich auch dazu sagen, haben wir Kinder, die alleine bei uns auf Station liegen, die aus einem Pflegeheim kommen, wo es eben keine Eltern oder auch keine Angehörigen gibt. Da sind wir manchmal so eine Art Mutterersatz oder auch Bezugsperson. Und was für uns natürlich sehr wichtig ist, ist die Zusammenarbeit mit den Eltern. Gerade aufgrund dieser komplexen Hüftoperation müssen wir oft mit den Eltern zusammen das Handling der Kinder neu erlernen.“
Robin Krüger:
„Vanessa, wie lange bist du auf der Station schon?“
Vanessa Hubs:
„Tatsächlich schon 13 Jahre.“
Robin Krüger:
„Und Carolin. Du bist seit wie lange auf der Station?“
Carolin Kretz:
„Ich bin ein halbes Jahr länger als die Vanessa.“
Robin Krüger:
„Wow. Das bringt mich nämlich zur nächsten Frage. Und zwar Vanessa oder Carolin. Vielleicht habt ihr auch ein ähnliches Schicksal, was ihr erzählen wollt, was euch vielleicht besonders berührt hat oder was ihr gerade auch mit der Station irgendwie in Verbindung bringt.
Vanessa Hubs:
„Ja, also wir haben auf Station sehr viele Schicksale. Die Caroline und ich haben uns auch im Vorfeld lange darüber unterhalten und haben einfach festgestellt, dass bei uns jedes Kind auf Station einzigartig ist. Jedes Kind kommt mit einem anderen Schicksal und muss auch mit einem anderen Schicksal zurechtkommen. Und jedes Kind erzählt eigentlich seine eigene Geschichte. Deswegen konnten wir jetzt beide nicht an einer Geschichte festhalten. Wir bauen generell zu den Kindern, aber auch zu den Eltern eine wirklich sehr enge und auch fast freundschaftliche Beziehung auf, was die Arbeit bei uns einfach sehr besonders macht.“
Robin Krüger:
„Carolin, möchtest du uns noch ein bisschen über die Zusammenarbeit im Team auf Station erzählen?
Carolin Kretz:
„Ja, also generell haben wir einen sehr engen und freundschaftlichen und vertrauensvollen Umgang miteinander, und wir arbeiten sehr, sehr eng mit anderen Berufsgruppen, wie zum Beispiel den Physios und den Ergos und auch den technischen Orthopädiemitarbeiter zusammen, wie ich es vorhin schon erwähnt hatte. Gerade aufgrund unserer speziellen Lagersysteme natürlich. Viele unserer Tätigkeiten wie Lagerung, Mobilisation und auch Grundpflege unserer schwerst körperlich erkrankten Kinder, müssen wir im Tandem durchführen, also Hand in Hand mit einer anderen Kollegin, was ein gegenseitiges Vertrauen und auch einen respektvollen Umgang voraussetzt. Und was aber ganz wichtig ist bei uns finde ich, dass Humor und Spaß immer dazwischen passt. Also egal wie stressig es ist, wir haben Spaß und Freude an unserer Arbeit im Team.“
Robin Krüger:
„Was treibt dich denn bei der Arbeit so an?“
Carolin Kretz:
„Vanessa und ich haben uns darüber unterhalten und wir waren uns auf Anhieb einig, dass es das Lächeln der Kinder und die Dankbarkeit der Eltern ist. Was uns oft den stressigen Alltag vergessen lässt. Und natürlich auch der sichtbare Fortschritt. Wenn man einen Patienten sieht, der uns vor der OP in einem Rollstuhl begrüßt hat, weil er auf den Rollstuhl angewiesen war, und nach der OP und Reha natürlich mit einem Strahlen Gesicht zwar an Hilfsmitteln wie zum Beispiel Rollator oder auch Gehstützen, aber laufend auf Station besucht. Und genau das treibt mich und Vanessa immer wieder neu an!“
Robin Krüger:
„Ja, ist schön. Vanessa, wie sorgst du denn für dich bei der Arbeit? Oder halt auch in deinem Privaten?“
Vanessa Hubs:
„Ja, ich habe für mich einfach gemerkt, man muss lernen, Privates und Berufliches zu trennen, auch wenn es wirklich manchmal schwerfällt. Gerade bei den vielen schweren Schicksalsschlägen. Es hilft einfach dabei, die Schicksalsschläge schon mit den Kollegen im Team zu besprechen und sich untereinander auszutauschen. Dadurch bekomme ich in der Regel eigentlich einen freien Kopf für mein Privatleben, das ich gerne mit Freunden, Familie, mit Reisen, aber auch mit Hobbys wie Sport oder Fotografie genießen kann.“
Robin Krüger:
„Welches Erlebnis oder welches Ereignis hat euch denn bei der Arbeit in der Orthopädie in der Uniklinik auch besonders berührt? Ich erinnere mich noch daran, als ich noch damals in der Orthopädie gearbeitet hatte, gab es diese eine Aktion mit diesem Graffiti Künstler, der hier in Heidelberg sehr, sehr bekannt ist und sehr, sehr viel unterwegs war, der meine ich bei euch auf Station auch was gemacht hatte, oder?“
Vanessa Hubs:
„Ja genau Robin, das war uns ein sehr intensives Anliegen. Wir haben einen tollen Graffiti Künstler aus Wiesloch kennengelernt, der Marco Billmaier. Der hat uns ein tolles Angebot gemacht, hat uns vorab sehr tolle Graffitis kreiert. Die haben wir zusammen im Team miteinander besprochen, haben unsere eigenen Ideen mit einbringen können und er hat es wirklich tatsächlich in einer Wochenendaktion, hat er uns die ganze Station wirklich toll gestaltet, mit verschiedenen Bereichen. Einmal ein Dschungelbereich, einmal eine Unterwasserwelt, einmal eine Art Bauernhof und einmal eine Art Blumenwiese mit Libellen. Die Kinder sehen das wirklich gerne. Auch die Erwachsenen freuen sich jeden Tag, wenn sie an den Bildern vorbeifahren. Und was für uns auch immer wieder schön ist, wenn die Patienten kommen und sagen: „Ich liege neben dem Nilpferd in diesem Zimmer oder ich liege bei dem Haifisch in dem Zimmer.“
Robin Krüger:
„Das war wirklich eine tolle Aktion und das kann sich mal selber, wenn man als Pflegekraft in der Orthopädie unterwegs ist, auch mal anschauen, weil es wirklich ein echtes, echtes Highlight ist! Vanessa, wo siehst du denn die Pflege am Universitätsklinikum Heidelberg so in den nächsten Jahren?“
Vanessa Hubs:
„Ja, ich sehe die Pflege am Uniklinikum Heidelberg weiterhin auf neuestem, fortschrittlichen, aber auch auf hohem Niveau, bei dem der Patient eigentlich immer an erster Stelle steht. Gerade jetzt im Rahmen mit Magnet for Europe, finde ich, kommen spannende Zeiten auf die Klinik, aber auch auf uns als Mitarbeiter zu. Und auch wir in der Orthopädie freuen uns, diesen Prozess miterleben zu dürfen und sind gespannt, was uns da noch erwartet.“
Robin Krüger:
„Carolin, gibt es denn noch eine kleine Anekdote aus deinem Berufsleben, die du uns erzählen möchtest?“
Carolin Kretz:
„Eine kleine Anekdote eher nicht. Aber ich kann mittlerweile auf 13 Jahre Arbeit auf der B1 zurückblicken und mir wird immer wieder bewusst, dass manch so groß scheinenden privaten Probleme im Hinblick auf die Schicksale unserer Patienten, klitzeklein werden. Ich selbst erkenne plötzlich, dass Dinge, die für uns so selbstverständlich wirken, eigentlich an einem seidenen Faden hängen und man lernt so vieles mehr zu schätzen.“
Robin Krüger:
„Liebe Carolin, liebe Vanessa, einen besseren Schlusssatz hätte ich mit Sicherheit auf keinen Fall gefunden. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Euch für dieses tolle Interview und habe auch hiermit dann die letzte Folge der ersten Staffel abgedreht. Wir verabschieden uns nämlich jetzt in eine kreative Pause. Ich würde mich über euer Feedback sehr, sehr freuen. Die dazugehörige E Mail Adresse findet ihr noch in der Infobox. Vielen, vielen Dank für die tolle Zeit. Vielen Dank auch an alle anderen GesprächspartnerInnen, die wir bisher hatten. Und ich wünsche euch jetzt eine gute Zeit. Ihr werdet sicherlich über die sozialen Netzwerke auf dem Laufenden gehalten, wann es wieder weitergeht mit unserem schönen Podcast und bedanke mich.“
Carolin Kretz:
„Also für mich war das eine tolle Erfahrung, Robin mit diesem Podcast. Ich war jetzt das erste Mal dabei. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht und ich bedanke mich, dass ich dabei sein durfte und wünsche euch für die nächsten Podcasts ganz viel Erfolg.“
Vanessa Hubs:
„Danke Robin für die nette Unterhaltung, für das nette Interview. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht und vielleicht sind wir auch beim nächsten Podcast wieder dabei.“