Thalassaemia intermedia

Klinisches Beratungszentrum für Anämien Pädiatrische Onkologie, Hämatologie und Immunologie Thalassämien

Definition der Erkrankung

Der Begriff Thalassemia intermedia (TI) umfasst ein weites klinisches Spektrum symptomatischer, aber nicht regelmäßig transfusionsbedürftiger Thalassämien. Der Begriff ist darüber hinaus dynamisch, da einige Patienten erst im Verlauf einen regelmäßigen Transfusionsbedarf entwickeln und dann als Thalassaemia major klassifiziert werden müssen. Der Begriff „intermedia“ impliziert einen im Vergleich zur Thalassaemia major günstigeren Krankheitsverlauf. Das gilt jedoch nur für den natürlichen Verlauf der Krankheiten ohne Therapie, d.h. Patienten mit gut behandelter Thalassaemia major können unter Umständen weniger Komplikationen erfahren als Patienten mit einer Thalassaemia intermedia.

Eine Thalassaemia intermedia kann sich sowohl bei einer α-Thalassämie als auch bei einer ß-Thalassämie entwickeln. Pathophysiologisch ist entscheidend, dass der relative Überschuss an Globinketten weniger ausgeprägt ist als bei der Majorform. Bei der ß-Thalassaemia intermedia steht die ineffektive Erythropoiese mit Hyperplasie des blutbildenden Knochenmarks im Vordergrund. Die α-Thalassaemia intermedia gleicht anderen hämolytischen Anämien und führt weniger zur Knochenmarkshyperplasie.

Homozygote β-Thalassämie

  1. Thalassämiemutationen mit einer hohen Restaktivität des β-Globingens
  2. HbE/β-Thalassämie
  3. HPFH-Mutationen
  4. α-Thalassämiedeletionen

Heterozygote β-Thalassämie

  1. triplizierte α-Globingene
  2. autosomal dominante β-Thalassämie
  3. instabile β-Globinketten

α-Thalassämie

  1. HbH-Krankheit

Weitere Informationen

Diagnose

Während die Behandlung der TM konzeptionell relativ einfach und leicht standardisierbar ist, ist das Management der in ihrem Schweregrad sehr variablen TI sehr viel individueller und daher schwieriger. So stellt sich oft die Frage, wann eine Transfusionstherapie eingeleitet werden muss und wie die Komplikationen der Erkrankung (z.B. Facies thalassaemica, raumfordernde extramedulläre Hämatopoiese, endokrine Störungen, Wachstumsretardierung) vermieden werden können.

Wir geben hier eine Übersicht über die Therapieoptionen der vielfältigen Komplikationen dieser schwierigen Erkrankungsgruppe.

Pathophysiologisch entscheidend für die Entwicklung von Krankheitssymptomen ist der relative Überschuss an Globinketten, so dass es zu einer klinisch milderen Verlaufsform kommt, wenn dieser weniger stark ausgeprägt ist.

Dies kann bei der homozygoten β-Thalassämie durch eine hohe Restaktivität der β-Globingene, durch eine gleichzeitig vorliegende α-Thalassämie (geringeres α/β-Ketten-Ungleichgewicht) oder durch genetische Veränderungen des β-Globingenkomplexes zustande kommen, die zu einer postnatal persistierenden γ-Globingenexpression und somit zur hereditären Persistenz der fetalen Hämoglobinsynthese (HPFH) führen [28, 30, 31]. Besonders häufig kommt es bei der gemischten Heterozygotie für eine β-Thalassämiemutation und für das HbE zur TI. Die HbE-Mutation führt nicht nur zu einem Aminosäureaustausch an Position 26 der β-Globinkette sondern auch zu einer Inhibtion der RNA Prozessierung und so zur verminderten Expression des betroffenen Gens.

Bei der heterozygoten β-Thalassämie kann es zu Symptomen, das heißt zur Thalassaemia intermedia kommen, wenn Genduplikationen der α-Globingene entstanden sind und statt der normalen 4 α-Globingene 5 oder 6 α-Globingene aktiv sind [32, 58]. Ebenso kann es bei den hyperinstabilen Hämoglobinvarianten und bei vorzeitigen Stopmutationen im letzten Exon des β-Globingens zu Symptomen einer Thalassaemia intermedia kommen. Das besondere genetische Merkmal dieser Formen der Erkrankung ist ihr dominanter Vererbungsmodus [29, 38, 59].

Ablauf der Behandlung

Therapie

Die Behandlung von Patienten, die aufgrund einer hohen Restaktivität ihrer b-Globingene, einer HPFH oder einer zusätzlich vererbten a-Thalassämie auch ohne Transfusion auskommen, ist bei oberflächlicher Betrachtung paradoxerweise besonders schwierig, durch die komplexe Pathophysiologie und die vielfältigen Komplikationen der Erkrankung jedoch erklärlich. Der klinische Verlauf von Patienten mit Thalassaemia intermedia gestaltet sich individuell verschieden. Im Folgenden gehen wir auf wichtige Elemente der Therapie ein. Allerdings sind viele der auch hier gegebenen Behandlungsempfehlungen noch nicht durch prospektiv randomisierte Studien evaluiert, stellen jedoch eine Richtschnur für die klinische Praxis bei der Versorgung dieser schwierigen Patientengruppe dar [62,63].

Erythrozytentransfusion, Stammzelltransplantation und Eisenelimination

 

Bei der Thalassaemia major gehören regelmäßige Bluttransfusionen seit den 60er Jahren zum Standard der konventionellen Therapie. Ziel ist die Korrektur der Anämie und somit die Suppression der gesteigerten Erythropoiese. Adäquate Transfusionen ermöglichen ein normales Wachstum und Entwicklung und normale Belastungsfähigkeit und verhindern Komplikationen wie Herzinsuffizienz und schwere Knochendeformitäten.

Obwohl die Transfusionstherapie nicht zur Routinebehandlung der Thalassaemia intermedia gehört, können auch diese Patienten von der Behandlung profitieren. Der zunächst oft mildere Verlauf der Erkrankung sowie die Langzeitkomplikationen der Transfusions- und Chelattherapie führten dazu, dass diese Patienten vor 1975 selten Transfusionen erhielten [2]. Die deutliche klinische Verbesserung von Patienten mit Thalassemia major durch Transfusions- und Chelattherapie, und die im Erwachsenalter häufig schwerwiegenden Komplikationen der Thalassaemia intermedia verdeutlichen die Bedeutung dieser Therapie.
Die Entscheidung zur Transfusionstherapie ist individuell zu stellen und sollte aufgrund klinischer Symptome, insbesondere der Anämie und Wachstums-und Entwicklungsverzögerung gestellt werden. Hervorzuheben ist, dass die klinische Gesamtsituation für die Indikationsstellung entscheidend ist, und nicht allein der gemessene Hb-Wert. Bereits vorhandene Komplikationen bei zu spät begonnener Transfusionstherapie sind oft nur teilweise oder nicht reversibel.

Sind Transfusionen indiziert, sollten sie in regelmäßigen Abständen entsprechend dem Schema der Thalassaemia major erfolgen. Liegen bereits schwere Komplikationen wie extramedulläre Hämatopoiese, schwere Skelettveränderungen, endokrine Dysfunktionen wie Pubertäts-und Wachstumsstörung vor, ist eine Transfusionstherapie selbst bei kontinuierlich hohen Hb-Werten unerlässlich. Bei Patienten mit häufigem Transfusionsbedarf besteht analog zur Behandlung der TM eine Indikation zur allogenen Stammzelltransplantation.

Eine Eiseneliminationstherapie sollte begonnen werden, wenn der Lebereisengehalt 3 mg/g Lebertrockengewicht übersteigt. Die Serumferritinkonzentration ist auch bei der TM nur bedingt zur Kontrolle der Eisenüberladung geeignet. Bei der TI kommt hinzu, dass bereits bei relativ niedrigen Ferritinspiegeln eine relevante Hämosiderose vorliegen kann [43]. Aus diesem Grunde ist bei der TI die direkte Messung der Lebereisenkonzentration durch SQUID  oder T2*-MRT erforderlich [40]. Die Chelattherapie sollte entsprechend gesteuert werden.

Jede Veränderung des Ungleichgewichts der Globinketten, d.h. jede Veränderung des Verhältnisses von a- zu non-a-Ketten führt zu einer Verminderung der ineffektiven Erythropoiese und Hämolyse und somit zu einer Besserung der Symptomatik. Verschiedene Substanzen stehen zur Verfügung, die die g-Kettensynthese reaktivieren können.

Hydroxyurea, auch bekannt als Hydroxycarbamid, führt zur Induktion von HbF und wird daher seit den 90er Jahren bei der Sichelzellerkrankung, seit kurzem nun auch bei Patienten mit Thalassaemia intermedia eingesetzt. Studien aus Indien [15] und dem Iran [25] zeigten beeindruckende Ergebnisse: 83 von 106 Patienten mit Thalassaemia intermedia, die zuvor regelmäßig transfundiert wurden, benötigten durch die Therapie mit Hydroxyurea keinerlei Transfusionen mehr, 23 Patienten benötigten lediglich 1-2 Transfusionen innerhalb eines Zeitraums von 6 Jahren. Bei Patienten, die nicht regelmäßig transfundiert wurden, stieg die Hb-Konzentration durch die Therapie mit Hydroxyurea an.

Vorherige Studien aus Europa hatten einen Anstieg des MCV und HbF, jedoch nur einen geringen Einfluß auf die Gesamthämoglobinkonzentration gezeigt. Hydroxyurea scheint gut bei der HbE/ b-Thalassämie und bei Formen mit a-Globingendeletionen anzusprechen [51].
Möglicherweise nimmt die Effizienz der Therapie jedoch im Verlauf der Behandlung ab [34].

Studien, die an Pavianen, Mäusen mit Thalassämie und in Zellkulturen durchgeführt wurden, zeigten einen Anstieg der g-Globinsynthese und der Erythrozytenindices durch rekombinantes, humanes Erythropoietin [3]. Vor allem bei splenektomierten Patienten mit Thalassaemia intermedia wurde ein signifikanter, dosisabhängiger Anstieg der Erythropoiese, jedoch ohne Anstieg von HbF, MCV, und MCH beobachtet [48].

Die Befürchtung, Erythropoietin könne zu einer Zunahme der extramedullären Gewebsmassen führen, erwies sich als unbegründet; der Hb-Anstieg durch Erythropoietin ist jedoch nur vorübergehend nachweisbar [8].  

Durch die Splenektomie kann die hämolytische Komponente und damit die Anämie bei der Thalassaemia intermedia gebessert werden. Allerdings treten bei splenektomierten Patienten wesentlich häufiger Komplikationen wie thrombotische Ereignisse oder pulmonaler Hypertonus auf. Aus diesem Grund wird die Splenektomie nur noch sehr zurückhaltend eingesetzt, wenn bei massiv vergrößerter Milz ein relevanter Hypersplenismus oder das Risiko einer Milzruptur vorliegen.

Mögliche Komplikationen / Risiken

Prinzipiell können in verschiedener Ausprägung alle Komplikationen der Thalassemia major entstehen, mit einigen zusätzlichen Besonderheiten wie z.B. der extramedullären Hämatopoiese, die bei Patienten mit behandelter Thalassaemia major nicht auftritt (s. unten).
Wie bei der Thalassemia major sind ineffektive Erythropoiese, chronische Anämie und Eisenüberladung verantwortlich für das klinische Bild und die Komplikationen der Thalassaemia intermedia.

Die ineffektive Erythropoiese ist der maßgebliche Faktor für das Ausmaß der Anämie. Folge der Anämie ist eine erheblich gesteigerte Erythropoiese, die zur erythroiden Hyperplasie des Knochenmarks und zu typischen Skelettdeformitäten wie der Facies thalassaemica mit Hyperplasie der Mandibula, der Maxilla, prominenten Jochbeinbögen, hoher Stirn, und einem Bürstenschädel führt (s.Abb.1+2). Es gibt Einzelfallberichte über eine kosmetisch erfolgreiche plastische Rekonstruktion insbesondere der Maxilla. Allerdings sollte diese belastende Komplikation möglichst durch eine frühzeitige Transfusionstherapie vermieden werden.
Frakturen, insbesondere von Unterarm, Femur und Tibia sind häufig [19]. Mikrofrakturen, die nur mittels Szintigraphie nachgewiesen werden können und Osteomalazie sind häufig für akute Kniegelenks- und Knöchelschmerzen verantwortlich [23]. Für die Behandlung stehen Biphosphonate, Calcitonin sowie die Hormonersatztherapie bei Osteoporose zur Verfügung [60].

Extramedulläre Hämatopoiese entsteht als Kompensationsmechanismus durch erhöhte Aktivität des Knochenmarks, um der chronischen Anämie entgegenzuwirken. Aufgrund dieser erythroiden Hyperplasie entstehen Ansammlungen von erythropoietischem Gewebe an verschiedenen Stellen, beispielsweise in Leber, Milz und Lymphknoten, bevorzugt auch paravertebral. Häufig entstehen dadurch keine Symptome, schwerwiegende Komplikationen können jedoch neurologische Probleme wie z.B. Rückenmarkskompressionen bis hin zur Querschnittslähmung sein [10, 44]. Die Beteiligung der Pleura kann zu massivem Erguss und konsekutivem Hämothorax führen [35, 57].
Eine italienische Studie zeigte bei 65% der erwachsenen Patienten mit Thalassaemia intermedia extramedulläre erythropoietische Gewebsansammlungen; 15% litten an schweren klinischen Komplikationen [17]. Extramedulläre Pseudotumoren müssen meist bestrahlt oder operiert werden, da sie auch durch einer Transfusionstherapie meist nicht zurückgehen [21, 52].

Endokrinologische Probleme sind bei der Thalassaemia intermedia seltener als bei der Thalassaemia major, jedoch abhängig vom Ausmaß der Anämie und der Eisenüberladung. Die häufigste endokrinologische Komplikation ist der Hypogonadismus; Frauen sind hiervon häufiger betroffen als Männer [45], gefolgt von Diabetes mellitus und Hypothyreoidismus. Auch wenn es häufig zu einer Pubertätsverzögerung und präpuberalen Wachstumsverzögerung kommt, ist die sexuelle Entwicklung und Fertilität normal [12]. Bei Auftreten von endokrinen Komplikationen empfiehlt sich die entsprechende Hormonsubstitution. Nicht regelmäßig transfundierte Patienten sollten täglich 1 mg Folsäure erhalten.

Folsäuremangel entsteht insbesondere aufgrund eines erhöhten Bedarfs und Verbrauchs des Knochenmarks durch die massiv gesteigerte Erythropoiese. Patienten mit Thalassaemia intermedia, die nicht transfundiert werden, profitieren daher von einer täglichen Folsäuresubstitution von 1 mg  [36]. Bei Patienten, die regelmäßig transfundiert werden, ist die erythroide Hyperplasie supprimiert, so dass in der Regel kein Folsäuremangel besteht [35]. Häufig tritt bei nicht transfundierten Patienten eine Hyperurikämie auf, akute Gichtanfälle sind jedoch selten [42]. Die chronische Hyperbilirubinämie führt häufig zur Cholelithiasis [11].

Die pulmonale Hypertonie ist definiert durch einen systolischen pulmonalarteriellen Druck > 30 mmHg. Sie ist eine häufige Komplikation- fast 60% der Patienten mit Thalassaemia intermedia entwickeln einen pulmonalen Hypertonus [1]. Zudem ist die PH die führende Ursache für die Entstehung einer Herzinsuffizienz bei diesen Patienten, von der präferentiell nicht transfundierte Patienten betroffen sind [13, 14, 33, 61]. Bei der Pathogenese spielen Vasokonstriktion, Gefäßwandhypertrophie, Hyperkoagulation, Thrombosen, die Erhöhung von Thromboxan und Endothelin sowie erniedrigte Werte für Prostazyklin und NO eine Rolle. Insbesondere bei splenektomierten Frauen mit stark ausgeprägter Anämie, Thrombozytose und erhöhten Ferritin-Werten ist das Risiko eine PH zu entwickeln erhöht [5, 6]. Daher sollten Patienten mit PH regelmäßige Transfusionen sowie eine Chelattherapie erhalten [54]. Sildenafil wurde erfolgreich bei der Therapie der PH angewand, bei Patienten mit Thalassaemia intermedia sind bisher nur bei wenigen Patienten Studien hierzu durchgeführt worden [14].

Thrombembolien sind häufige Komplikationen bei der Thalassämie, insbesondere bei der Thalassaemia intermedia [8]. So zeigte eine italienische multizentrische Studie, dass 10% der Patienten mit Thalassaemia intermedia und 4% der Patienten mit Thalassaemia major eine Thrombose erlitten [7]. Hauptsächlich betroffen ist das venöse System mit tiefer Venenthrombose (40%), Pfortaderthrombose (29%), Schlaganfall (9%) und Lungenembolie [55]. Nach Splenektomie ist das Thromboserisiko besonders erhöht [9].
Der prokoagulatorische Effekt von anionischen Phospholipiden auf der Oberfläche von beschädigten Erythrozyten wird als mögliche Ursache für die chronische Hyperkoagulation beschrieben [18]. Bisher gibt es keine wirkungsvolle Prävention um diese thrombembolischen Komplikationen vollständig zu vermeiden. Eine Antikoagulation mit LMWH scheint während der Schwangerschaft und mit Vitamin K Antagonisten nach bereits stattgefundenem Thromboseereignis gerechtfertigt.

Der genaue Mechanismus, der zur häufigen Entwicklung einer Autoimmunhämolyse (AIHA) bei Patienten mit Thalassämie führt, ist unklar. Gerade bei diesen Patienten, die bereits an einer hämolytischen Anämie erkrankt sind, kann die Entwicklung einer AIHA leicht übersehen werden. Die AIHA führt nicht nur zu einer Verstärkung der Anämie sondern erschwert zusätzlich die Transfusionsbehandlung.

Ältere Studien zeigten eine hohe Inzidenz eines positiven Coombs Tests bei Patienten mit einer transfusionsbedürftigen Thalassämie [27]. Die heute übliche Auswahl auch in Untergruppen kompatibler Spender hat sicher zu einer verminderten Häufigkeit dieser Komplikation geführt, obwohl dies nicht systematisch untersucht wurde. In der Regel spricht die AIHA gut auf eine Therapie mit Kortikosteroide an; einige Patienten wurden erfolgreich mit intravenösen Immunglobulinen oder mit Rituximab behandelt [4 ], [62].

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