Oberschenkelprothesen
Abteilung für Prothetik der unteren ExtremitätErklärung
In den letzten 10 Jahren entwickeln sich die technischen Möglichkeiten im Prothesenbau mit einer rasanten Geschwindigkeit. Was heute realisiert wird, war vor 10 Jahren noch undenkbar. Die vielen unterschiedlichen Passteile und Komponenten tragen in der richtigen Kombination zu einer wesentlich besseren Rehabilitation beinamputierter Menschen bei. Bei aller Euphorie für die neuen Entwicklungen, seien es Karbonfederfüße, Stoßdämpfer oder computergesteuerter Kniegelenke, wird leider mitunter vergessen, dass die Grundvoraussetzung für eine gute Prothese immer noch ein perfekt sitzender Schaft ist.
Es kann also eigentlich nicht von der besten Prothese gesprochen werden. Denn eine Prothese muss immer den Ansprüchen des Amputierten gerecht werden. Egal wie teuer eine Prothese ist, sie ist immer nur ein Kompromiss aus den unterschiedlichen, teils konträren Anforderungen des einzelnen Patienten. Ein junger im Berufsleben stehender Mensch etwa hat einen hohen Anspruch an Dynamik und Funktion. Je mehr Funktion die einzelnen Bauteile einer Prothese bieten, desto schwerer wird die gesamte Prothese. Ein älterer Mensch hingegen erwartet eine hohe Sicherheit hinsichtlich der Sturzgefahr sowie ein geringes Gewicht. An diese Bauteile werden hier also ganz andere Anforderungen gestellt.
Früher liefen viele Oberschenkelamputierte mit Krücken humpelnd durchs Leben. Inzwischen ist die kosmetische Anpassung wichtig geworden. Außerdem weiß man heute, dass ein möglichst symmetrisches und unauffälliges Gangbild die gesunde Seite vor frühzeitigem Verschleiß schützen kann. Auch Begleitbeschwerden wie muskuläre Verspannungen können dadurch reduziert werden. Die neuen Ansprüche belasten den Beinstumpf aber stärker als bisher. Mit den alten Schaftformen ließen sich Prothesen nicht mehr passgenau realisieren. Druck- und Scheuerstellen waren die Folge, was wiederum ein hinkendes Gangbild verursachte. Es war dringend erforderlich, die neuen technischen Möglichkeiten auch hier einzusetzen.
Entwicklung von Oberschenkelprothesen
Die ersten Prothesenschäfte waren so gestaltet, dass der Amputierte auf dem Rand des Schaftes aufsaß, und die Prothese mit einem aufwändigen Gurtsystem am Körper gehalten wurde. Der Weg hin zu passgenaueren Konstruktionen begann mit der Entwicklung eines Saugschaftes. Der Amputierte saß immer noch auf dem oberen Rand der Prothese auf. Der Holzschaft war innen lackiert und am oberen Ende relativ eng gehalten. Am unteren Ende wurde der Schaft mit einem Ventil verstopft. Der Stumpf dichtete den Schaft durch die enge Fassung oben ab, während das Ventil, das zum Einziehen des Stumpfes erforderlich war, den Schaft unten abdichtete. Dadurch konnte in der Schwungphase (beim Abheben der Prothese vom Boden) keine Luft mehr in den Schaft eindringen. Die Prothese hielt am Bein durch das sich bildende Vakuum. Jetzt konnte man zwar auf die Gurte verzichten, die Stumpfbelastung war aber wegen der kleinen nutzbaren Fläche immer noch sehr hoch. Bei stärkerer Belastung traten zudem Hautveränderungen und Druckstellen im Bereich der Leiste auf, wo der Stumpf auf der Prothese aufsaß. Außerdem beobachtete man immer wieder Stauungen am Stumpfende. Eine solche Stauung konnte zu offenen Stellen oder krebsähnlichen Hautveränderungen führen.
Vollkontaktschaft
Die beschriebene Schwierigkeiten beim Saugschaft führten zur Entwicklung eines Vollkontaktschaftes. Dabei wird die gesamte Oberfläche des Stumpfes zur Übertragung der Last herangezogen. Durch den großflächigen Kontakt verbessert sich die Führung der Prothese in der Standphase (im Stehen) und in der Schwungphase. Diese Entwicklung war ein entscheidender Schritt.
Ein häufiger Fehler, der teilweise auch heute noch auftritt, war die zu geringe Endbelastung bei den neuen Vollkontaktschäften. Anfangs konnten sich sowohl Patient als auch Orthopädietechniker nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass das Stumpfende einen Teil der Körperlast trägt. Gerade bei schmerzhaft veränderten Stumpfenden versuchte man, an diesen Stellen Platz zu schaffen. Damit bewirkte man aber genau das Gegenteil. Da der neue, kleinere Saugraum am Stumpfende ein größeres Vakuum entwickelte als der größere Saugraum bei Saugschäften, verstärkte sich die Problematik eher noch. Für die Lösung dieses Problems gab es nur einen Weg: Zunächst wird vorsichtig der Kontakt zum Stumpfende hergestellt, um den Stumpf daran zu gewöhnen. Dann im Laufe der nächsten Wochen steigert man den Kontakt langsam, damit das Stumpfende Belastung aufnimmt. Durch die Lastaufnahme am Stumpfende vergrößert sich die Belastungsfläche. Es kommt oft auch zu Erleichterung an anderen Stellen wie der Innenseite der Leiste oder im Bereich des Sitzbeins, wo natürlich immer noch die größte Belastung aufgenommen wird. Dennoch konnte man mit einem Vollkontaktschaft schon vielen Patienten helfen.
Zwei Probleme blieben weiterhin ungelöst:
- Das Ausweichen der Prothese in der Standphase nach außen. Das führt zu einer Belastung der Adduktoren (Muskulatur an der Innenseite des Oberschenkels) mit Druckstellen in der Leiste.
- Der große Druck auf die Femoralgefäße (die für die Blutzirkulation im Stumpf verantwortlich sind) durch die enge Schaftbettung. Trotz Vollkontakt kam es trotzdem gelegentlich zu Stauungen, besonders bei durchblutungsgefährdeten Patienten. Gerade diese Patienten stellen den weitaus größten Teil der Neuamputierten dar.
Sitzbeinumgreifender Schaft
Daraus ergab sich der bisher letzte Entwicklungsschritt auf dem Weg zu einer modernen Prothesenversorgung, der sitzbeinumgreifende Schaft, auch CAT-CAM Schaft, auch längsovaler Schaft genannt.
Aus dem Vergleich der Oberschaftformen (s. obige Abb.) wird deutlich, dass ein querovaler Schaft die Weichteile erheblich stärker verformt als ein längsovaler Schaft. Denn dieser orientiert sich mehr an den anatomischen Gegebenheiten. Es handelt sich in der Abbildung jeweils um das rechte Bein bzw. um einen rechten Schaft. Vor allem die Femoralgefäße werden bei dem querovalen Schaft stark komprimiert, was sich negativ auf die Durchblutung auswirkt.
Die zweite wichtige Änderung war die Einbettung des Sitzbeins in den Oberschenkelschaft. Damit konnte eine Anlage an der Innenseite des Sitzbeins geschaffen werden, die ein Ausweichen des Schaftes nach außen wirkungsvoll verhindert. Diese knöcherne Verriegelung schützt nun die Weichteile in der Leiste vor übermäßigem Druck. Außerdem ergibt sich durch die bessere Verankerung des Schaftes am Stumpf eine deutlich verbesserte Prothesenführung und -kontrolle.
Nur beim Sitzen verursachte die neue Schaftform anfangs noch Schwierigkeiten, die durch weiche Kunststoffen beseitigt wurden. Heute ist die längsovale, tuberumgreifende Schaftform Standard. Es gibt nur wenige relative Kontraindikationen. Beispielsweise wenn das Hüftgelenk eine starke Beugekontraktur aufweist, ist die Anfertigung eines solchen Schaftes schwierig. Auch bei sehr kurzen Stümpfen kann die längsovale Form Probleme bereiten. Hier sollte man wegen der vielen Vorteile, die diese Form bietet, wenigstens einen Versuch unternehmen. Bei Patienten, die von einer querovalen Form auf die längsovale Form umgestellt wurden, haben wir eine Erfolgsquote von ca. 80 %. Es kann zwar auch hier gelegentlich zu Problemen kommen, die hängen aber meist mit Gewohnheit zusammen.
In unserer Werkstatt versorgen wir alle neu Amputierten mit längsovalen Schäften, sofern nicht eine der oben erwähnten Kontraindikationen vorliegt.
Die Abbildungen zeigen schon auf den ersten Blick deutliche Formunterschiede. Links ist der längsovale Schaft aus Kunststoff mit weichem Rand und der Anlagefläche innen am Sitzbein abgebildet. Rechts ein querovaler Holzschaft mit Tuberbank und starkem Gegenhalt an der Vorderseite. Dieser Gegenhalt ist bei einem querovalen Schaft erforderlich, um zu verhindern, dass der Stumpf in den Schaft hineinrutscht. Bei einem längsovalen Schaft bedarf es hier nur einer leichten Anlage. Durch die Anlage innen klafft der Schaft außen auch nicht mehr beim Gehen, was die Kosmetik erheblich verbessert.
M.A.S. Schaft
Der Marlo Anatomical Socket ist eine Variante und Weiterentwicklung des tuberumgreifenden Schaftes. Ziele sind eine größere Bewegungsfreiheit, verbesserte Prothesenführung und bessere Kosmetik. Das erreicht der M.A.S. Schaft durch eine geänderte Schaftführung im Schrittbereich und einen anderen Querschnitt des Schaftes. Nachteilig ist vor allem ein höherer Aufwand bei der Anpassung. Die meisten Patienten, die von uns mit dieser Schafttechnik versorgt wurden, sind sehr zufrieden und berichten von einem deutlich höheren Tragekomfort.
Zwei typische M.A.S. Schäfte im Probezustand. Gegenüber den ursprünglichen längsovalen Schäften ist das Verhältnis im Querschnitt eher quadratisch. Dafür reicht die Umgreifung des Sitzbeins deutlich weiter nach vorne. Der Schaft ist vorne und hinten für einen großen Bewegungsspielraum im Hüftgelenk sehr tief ausgeschnitten.
Bauteile
Füße
Carbonfederfüße zählen heute zum technischen Standard. Bei den meisten Patienten sind diese Füße allen anderen Gelenkkonstruktionen weit überlegen. Da diese Technik aber erheblich teurer ist als die konventionellen Methoden mit Schaumstoff, Holz oder Gelenken, tun sich die Kostenträger oft schwer mit ihrer Entscheidung. Bei jungen, aktiven Patienten zweifelt inzwischen niemand daran, dass Carbonfüße sinnvoll sind. Studien haben indes gezeigt, dass diese Füße auch bei weniger aktiven Amputierten einen deutlichen Gewinn in der Energieausnutzung bringen. Und gerade ältere Patienten sind auf solche energiesparenden Konstruktionen angewiesen.
Eine Variante dieser "gelenklosen" Füße sind Konstruktionen, bei denen die Absatzhöhe variabel ist. Das führt zu einem höheren Gewicht und einer geringeren Dynamik bei der Energieausnutzung.
Mit dem erstes bionisch gesteuertes Prothesenfuß setzt die Firma Össur neue Maßstäbe: Der über Mikroprozessoren gesteuerte PROPRIO FOOT™ wurde erstmalig noch vor der Produkteinführung an sechs Patienten in unserem Ganglabor getestet. Die Elektronik des Fußes erkennt die einzelnen Schrittphasen und reagiert darauf selbsttätig mit einer Bewegung. Beim Rauflaufen auf einer schrägen Ebene wird die Fußspitze angehoben, um das Gehen zu erleichtern. Beim Hinablaufen dagegen senkt die Prothese die Fußspitze automatisch an, um den Fuß schneller mit der ganzen Fläche auf dem Boden zu haben. Das gibt dem Amputierten mehr Sicherheit. In der Ebene wird die Fußspitze bei jedem Durchschwingen der Prothese unter dem Körper angehoben, um mehr Bodenfreiheit und damit mehr Sicherheit gegen ein Hängenbleiben zu bekommen. Die Analysen in unserem Ganglabor haben gezeigt, dass diese Innovation funktioniert. Nachteilig sind das hohe Gewicht und Preis des Prothesenfußes.
Kniegelenke
Ein Prothesenkniegelenk erfüllt im Wesentlichen zwei Aufgaben: (1) Es sichert die Standphase gegen das Einknicken des Kniegelenkes. Andernfalls könnte dies einen Sturz zur Folge haben. (2) Es steuert die Schwungphase. Der Unterschenkel der Prothese soll beim Laufen möglichst natürlich bewegt werden. Dies hat nicht nur ästhetische Gründe, sondern schont auch den gesamten Bewegungsapparat.
Zur Realisierung dieser beiden Anforderungen stehen verschiedene Techniken zur Verfügung. Die beste Standphasensicherung bietet ein in gestrecktem Zustand gesperrtes Kniegelenk. In der Schwungphase kann das Knie dann aber nicht gebeugt werden, was ein stark humpelndes Gangbild mit großer Belastung für den Bewegungsapparat zur Folge hat. Solche Kniegelenke werden nur bei Patienten mit einem sehr großen Sicherheitsbedürfnis eingesetzt. Am häufigsten setzen wir Bremssysteme ein, die auf Belastung reagieren. Damit ist ein Durchschwingen der Prothese unter dem Körper möglich, während im Stand die Kniebeugung verhindert wird. Auch hier gibt es eine Vielzahl von Gelenken unterschiedlichster Preisklassen.
Unsere Aufgabe ist es, für unsere Patienten jeweils das richtige Gelenk und die richtige Kombination aus Fuß und anderen Bauteilen einer Prothese zusammenzustellen. Hier muss man immer einen Kompromiss zwischen Sicherheit und Dynamik finden. Beiden Aspekte stehen jedoch im Gegensatz zueinander. Je sicherer eine Prothese ist, desto weniger Dynamik wird sie haben. Die Industrie arbeitet daran, diese Gegensätze zumindest abzuschwächen, um ein breiteres Spektrum der Prothesennutzung mit einem einzelnen Gelenk für jeden Patienten anzubieten. Schließlich läuft auch nicht jeder Mensch in der gleichen Art und Weise. Mal möchte man einen Schaufensterbummel machen, bei dem eher langsam und gemütlich gegangen wird. Dann hat man es eilig zum Bus zu kommen. Ein anderes Mal wiederum muss die Prothese viel Sicherheit bieten, weil man beim Heimwerken einen sicheren Stand braucht.
Mikroprozessorgesteuerte Kniegelenke
Die lange Zeit beste Lösung für diese konkurrierenden Ansprüche war C-Leg® von der Firma Otto Bock. Eine elektronische Einheit erfasst 50-mal pro Sekunde verschiedene Parameter der Prothese und errechnet daraus, wie viel Standsicherheit oder Beweglichkeit des Kniegelenkes jeweils notwendig ist. Das Gelenk "erkennt" die Bedürfnisse des Patienten. Wir können mit unseren Erfahrungen den hohen Anspruch des Gelenkes bestätigen. Selbst schiefe Ebenen und Treppen können unsere Patienten nicht mehr erschrecken. Leider ist dieses Gelenk derzeit auch die teuerste Konstruktion. Eine Prothese mit C-Leg® kostet etwas EUR 20.000,-. Da ist es verständlich, dass die Krankenkassen sehr genau wissen wollen, warum dieses Gelenk bei einer Neuversorgung eingesetzt werden soll. Nachteilig ist vor allem auch die größere Aufbauhöhe gegenüber herkömmlichen "polyzentrischen" Gelenken, was im Sitzen optisch störend ist.
Die Firma Össur bietet inzwischen ein Konkurrenzprodukt an. Das so genannte Rheo KNEE™ arbeitet im Detail etwas anders, verfolgt jedoch eine ähnliche Philosophie. Auch der Preis befindet sich auf einem ähnlich hohen Niveau. Der Orthopädietechniker, der die Eigenschaften beider Konstruktionen kennt, muss hier den Patienten beraten. Im Zweifel müssen beide Gelenke am Patienten getestet werden, um die optimale Lösung für den Einzelnen zu finden.
Andere Firmen wie Bauerfeind und Neuhof bieten zwar auch mikroprozessorgesteuerte Kniegelenke an. Bei der Standphasensicherung greifen diese aber auf konventionelle Methoden zurück. Dass muss kein Nachteil sein. Aber auch hier ist eine umfassende Beratung und Würdigung der Lebensumstände und Bedürfnisse der Patienten durch den erfahrenen Orthopädietechniker unerlässlich.
Auf den Abbildung sieht man einen beidseits oberschenkelamputierter Patient mit C-Leg-Prothesen. Versorgungen bei Patienten, die an beiden Oberschenkeln amputiert sind, kommen äußerst selten vor. Sie werden nur durchgeführt, wenn der Amputierte noch jung und sehr aktiv ist. Alle Versuche mit älteren Patienten mussten erfolglos abgebrochen werden. Denn die körperliche Leistungsfähigkeit dieser Patienten muss weit über dem Durchschnitt liegen, um eine solche Versorgung erfolgreich durchführen zu können.
Der Patient auf dem Foto kann sogar mit den Prothesen und einer Gehstütze die Treppe herunter gehen. Diese Leistung ist nur mit sehr viel Übung, eisernem Willen und nur wenigen Prothesenkniegelenken möglich.
Ungünstige Stumpfverhältnisse stellen uns immer wieder vor besonders große Herausforderungen. Durch die enge Zusammenarbeit mit der Spezialambulanz für Amputierte können wir auch schwierige Fälle lösen. Bei den folgenden Abbildungen handelt es sich um einen Stumpf, der über große Flächen mit Narben bedeckt ist.
Der Stumpf wurde zunächst mit einem Liner aus Polyurethan bedeckt, um die Formen auszugleichen. Dann erst steigt die Patienten mit dem Liner in den Prothesenschaft ein. Man sieht auf dem rechten Foto die probefertige Prothese. Die zirkuläre Verdickung in der Mitte des Stumpfes dient der Verankerung des Stumpfes im Schaft.
Diese Abbildung zeigt eine schwarze zweiteilige Kosmetik, die wir auf Wunsch eines jungen Mannes angefertigt haben. Im Gegensatz zur einteiligen Schaumkosmetik beeinträchtigt die zweiteilige Kosmetik nicht die Bewegungen im Kniegelenk.
Motorbetriebenes Kniegelenk Alle bisher beschriebenen Prothesenkniegelenke waren passive Konstruktionen, die über die Muskelkraft des Patienten sekundär bewegt werden. Vereinfacht betrachtet hebt der Amputierte die Prothese mit Rumpf- und Hüftmuskulatur an und bringt sie mit einer Bewegung in die Hüftbeugung nach vorne. Dies erfolgt alles mit der verbliebenen Muskulatur, die zudem teilweise ihrer Ansätze am Ober- und Unterschenkel beraubt ist und damit in ihrer Kraft geschwächt sind. Das Prothesenkniegelenk steuert und reguliert nur die Bewegung. Das ist immer auch mit einem Energieverlust verbunden. Um dem Patienten hier Linderung zu verschaffen, arbeiten Ingenieure schon lange an einer Lösung, bei der das Kniegelenk selbst auch Kraft generiert und zumindest einen Teil der Muskulatur ersetzt. Dies kann vor allem beim Treppensteigen oder beim Rauflaufen an einer schiefen Ebene/Rampe von großem Vorteil sein. Aber auch in der Ebene würde ein solches Kniegelenk den Amputierten in der Fortbewegung unterstützen und Energie sparen. Die Firma Össur stellte 2006 auf der internationalen Messe Orthopädie + Reha-Technik in Leipzig das erste nahezu serienreifes motorbetriebenes Kniegelenk vor.
Dieses sensationelle Kniegelenk ist in der Lage, und diese wurde auf der Messe eindrücklich demonstriert, den Amputierten beim Treppen- und Rampenlaufen deutlich zu unterstützen. Zum ersten Mal war es einem Oberschenkelamputierten möglich, Schritt für Schritt (alternierend) eine Treppe zu steigen. Aber auch beim Bergablaufen und in der Ebene schien das Gelenk einen Vorteil gegenüber bisherigen Konstruktionen zu haben.
Als erstes deutsches Unternehmen haben wir im Sommer 2007 das Power Knee™ am Oberschaft eines erfahrenen Oberschenkelamputierten zwei Monate ausprobiert. Dieser Patient nutzte bisher eine C-Leg®-Prothese. Nach den ersten Konfigurationen mit Technikern der Herstellerfirma machte sich der Patient mit Hilfe der Physiotherapie zunächst mit dem Power Knee™ vertraut. Die ersten Schritte waren noch sehr unsicher, da der junge Mann die Reaktionen des Gelenkes erst einmal kennen lernen musste.
Bei den ersten Schritten unterstützen wir den Patienten auf beiden Seiten, denn er muss eine sehr exakte Gehtechnik anwenden, um das Gelenk richtig ansteuern zu können.
Schon nach kurzer Zeit konnte er sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf die gebeugte Prothese stellen. Den Handlauf und die Wand brauchte er nur zur Sicherheit.
Nach rund 3 Wochen war es unserem Probanden möglich, eine Treppe mit nur noch einer Hand am Handlauf zu steigen.
Auch die schräge Ebene im Gelände konnte nach rund 4 Wochen gut bewältigt werden.
Nach rund 8 Wochen intensiver Gehschule, Übung und Betreuung mit Feinjustierung der Elektronik wussten wir, bei welchem Patienten wir ein solches Gelenk empfehlen können, und was die Vor- und Nachteile des Power Knee™ sind. Abschließend wurde noch eine Ganganalyse im Ganglabor durchgeführt, bei der die Prothese mit C-Leg® mit der Prothese mit Power Knee™ verglichen wurden.
Das Power Knee™ verfügt über alle beschriebenen Eigenschaften und ist zugleich sehr leistungsfähig. Es ist möglich, eine schiefe Ebene hinaufzugehen und Treppen zu steigen. Aber auch beim Laufen in der Ebene und Hinablaufen einer Treppe oder Rampe bietet das Gelenk viel Unterstützung und Sicherheit. Nachteilig sind vor allem das hohe Gewicht von rund 4,5 kg (ohne Oberschaft) und der hohe Preis, der etwa viermal über dem Preis einer Prothese mit C-Leg® oder Rheo KNEE™ liegt. Es zählt damit zu den bisher teuersten Prothesenversorgungen. Außerdem ist eine intensive Lern- und Trainingsphase von mindestens 4 Wochen unter physiotherapeutischer Anleitung und technischer Betreuung durch einen speziell geschulten Orthopädietechniker erforderlich. Während dieser Zeit wird es kaum möglich sein, sich beruflich zu betätigen, da diese Trainingsphase täglich einige Stunden beansprucht.
Der Ablauf
Nach einer Amputation ist Ihr Stumpf geschwollen, schmerzt und ist nur wenig belastbar. Deshalb empfehlen wir vor der Prothesenversorgung zumindest die Wundheilung abzuwarten. Während dieser Zeit müssen erst Sie und der Stumpf auf die Prothese vorbereitet und das "Leben danach" konditioniert werden.
Um die Schwellung und den Erguss schnell zum Abklingen zu bringen, wird der Stumpf von außen komprimiert. Je schneller die Schwellung abgeklungen ist, desto eher kann die Prothesenversorgung beginnen. Wenn zu früh damit begonnen wird, verändert sich der Stumpf noch, was zu einem schlecht sitzenden Schaft führt. Zur Kompression eignen sich zunächst elastische Binden. Wenn der Stumpf sich etwas stabilisiert hat, kommt ein Kompressionsstrumpf oder ein einfacher Silikonliner (Verbindungselement zwischen Stumpf und Prothese) zum Einsatz. Fängt man zu früh damit an, müsste man aus dem gleichen Grund wie beim Schaft den Stumpf bald erneuern.
In der Zwischenzeit härten Sie Ihren Stumpf vorsichtig ab. Dazu gibt es mehrere Methoden:
- Bürstmassagen
- Frottieren
- Abklatschen
- Mit kalten Wasser abwaschen
Der Patient beginnt so bald wie möglich mit ersten Stehversuchen auf dem erhaltenen Bein, sofern dieses belastbar ist. Das Wichtigste: Den Stumpf immer komprimieren. Er darf in dieser Zeit niemals ohne Wickelung oder Kompressionsstrumpf sein. Die Kompression darf nur zur Körperpflege, zur Physiotherapie und für Abhärtungsmaßnahmen abgenommen werden.
Außerdem leiten unsere Physiotherapeuten Sie dazu an, eine Beugekontraktur im Hüftgelenk zu vermeiden. Denn eine solche Bewegungseinschränkung wirkt sich sehr negativ auf die Prothesenversorgung aus.
Nach etwa 4 bis 6 Wochen ist Ihr Stumpf soweit, mit einer Interimprothese die ersten Steh- und Gehversuche zu unternehmen. Eine Interimprothese ist eine modulare Konstruktion mit einem Schaft, der mit wenig Aufwand verändert werden kann. Eine solche Vorabkonstruktion ist erforderlich, weil sich Ihr Stumpf auch jetzt noch und vor allem durch die Einwirkung der Prothese weiter verändert. Außerdem dient die Interimprothese dazu, unterschiedliche Bauteile wie Kniegelenk und Fuß zu testen, um bei der Definitivprothese die für Sie bestmögliche Kombination einsetzen zu können.
Nach 3 bis 6 Monaten ist Ihr Stumpf so weit stabilisiert, dass mit der Definitivprothese begonnen werden kann. Während Ihre Interimprothese immer wie ein Rohbau aussieht, ist Ihre Definitivprothese mit einer Kosmetik verkleidet und auf Leichtbau sowie geringe Wandstärken optimiert.
Haltbarkeit
Die Haltbarkeit von Prothesen ist sehr unterschiedlich. Junge, aktive Menschen können innerhalb von 1 bis 2 Jahren eine Prothese völlig verschleißen. Bei anderen Patienten hält die gleiche Prothese auch 10 Jahre. Wenn sich jedoch das Volumen Ihres Stumpfes aufgrund einer Gewichtsveränderung ändert, ist eine Anpassung des Schaftes oft unvermeidlich. Bei manchen Menschen wirkt sich schon ein Unterschied von 1 bis 2 kg entsprechend deutlich aus.
Um Ihnen Sicherheit gewährleisten zu können, empfehlen wir zweimal jährlich die Kontrolle der Funktion aller Bauteile.