Die Familienlotsin – Eine psychosoziale Unterstützung für die ganze Familie
Um Angehörige von psychisch erkrankten Menschen zu entlasten und ihnen ein passendes und ortsnahes Unterstützungsangebot zu unterbreiten, wurde am Zentrum für Psychosoziale Medizin (ZPM) eine Familienlotsin etabliert. Das Projekt wurde beim 6. Heidelberger Pflegepreis, der im September vergeben wurde, mit dem ersten Platz ausgezeichnet.
Angehörige beziehungsweise Familien von Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie und Psychosomatik einzubinden, hat einen hohen Stellenwert in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen. Vermehrt sind die Angehörigen durch die Behandlung eines Familienmitglieds stark belastet.
Gleichwohl können Angehörige maßgeblich dazu beitragen, die Behandlungsergebnisse zu verbessern und Rückfallraten langzeitig zu reduzieren. Ein unterstützendes familiäres Umfeld verbessert somit maßgeblich die Adhärenz und psychische Gesundheit. Erkrankt ein Familienmitglied, ist dies ein immenser Einschnitt in die bisherige Lebenssituation und stellt eine große Herausforderung für die unterschiedlichen Rollen in der gesamten Familienstruktur dar, mitsamt deren Beziehungsmustern sowie Alltagsroutinen. In der Gesamtbehandlung ist die Begleitung der Familie somit ein wichtiger Baustein. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Erkrankung eines Angehörigen innerhalb des Familiengefüges sowie die Bedrohung des Familienzusammenhalts sollten im Vordergrund der Angehörigen- beziehungsweise Familienarbeit stehen. Durch eine Förderung des Krankheitsverständnisses, wie beispielsweise Edukation von Krankheitsbildern, innerhalb der Familie kann ein positiver Effekt auf den Behandlungsverlauf erzielt werden. Die Arbeitsgruppe Familiengesundheit im ZPM ist ein erster Schritt, um die Familien eines psychisch erkrankten Menschen zu betreuen und anzubinden. Die Etablierung einer Familienlotsin soll die Integration und Aufmerksamkeit bei der Arbeit mit Familien sowie Angehörigen stärken und im ZPM fest verankern.
In einer zunehmend komplexen Gesellschaft, in der Familien mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind, gewinnt das innovative Konzept der Familienlotsin am ZPM zunehmend an Bedeutung. Sie agiert als Wegweiser*in und Ansprechpartner*in für Familien aus Heidelberg und Umgebung in unterschiedlichsten Lebenslagen, indem sie nicht nur auf individuelle Bedürfnisse eingeht, sondern auch als Bindeglied zu relevanten Ressourcen und Dienstleistungen fungiert.
Seit mehreren Jahren lässt sich feststellen, dass die zentrumsinterne Versorgung bezüglich der Begleitung, Beratung und Einbindung von Angehörigen psychosozial erkrankter Menschen gestärkt werden muss.
Ziel ist es, ein gezieltes und kontinuierliches Angebot zu schaffen, um Angehörige aller Altersklassen einzubinden. Dazu sollen die Schnittstellen zwischen stationären und ambulanten Angeboten effektiver verknüpft werden. Ebenfalls soll ein Anlaufpunkt erstellt werden, in dem der individuelle Unterstützungsbedarf ermittelt wird und somit passende Angebote vermittelt und kontinuierlich durch den prästationären, stationären sowie poststationären Prozess begleitet werden.
Bereits 2021 wurde im ZPM eine Arbeitsgemeinschaft Familiengesundheit gegründet, um die Einbindung der gesamten Familie zu stärken. Die AG Familiengesundheit setzt sich aus allen Kliniken des ZPM zusammen und ist interprofessionell besetzt. Dazu zählen unter anderem Vertreter des Sozialdiensts, Oberärztinnen und -ärzte sowie Psycholog*innen. Die AG setzt sich zum Ziel, ein übergeordnetes Angebot für die psychosoziale Versorgung von Familien als wichtigen Stützpfeiler zu etablieren. Dabei soll eine verbesserte und passgenauere Versorgung zwischen Patient*innen und deren Angehörigen beziehungsweise Familien gesichert werden. Extern soll die Angebotsstruktur des ZPM für Patient*innen und ihre Familien, aber auch für Zuweiser*innen, wie Hausärztinnen und -ärzte oder Fachärztinnen und -ärzte, sichtbarer werden. Intern soll vor allem die Kenntnis aller Mitarbeitenden des ZPM, der Universität Heidelberg und des Universitätsklinikums Heidelberg, über die Angebote des ZPM bei Mitbehandlungsbedarf innerhalb der somatisch-medizinischen Versorgung erhöht und als wichtigster Faktor die Vernetzung innerhalb des Versorgungsprozesses hinsichtlich der Familiengesundheit verbessert werden.
Die AG bietet wöchentlich eine Telefonsprechstunde an, bei der alle Mitglieder abwechselnd Ansprechpartner*in sind. Zudem ist die AG über ein gemeinsames Postfach per E-Mail erreichbar. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage (siehe Link unterhalb des Beitrags) .
Die Familienlotsin nimmt im Gesamtsystem die zentrale Rolle ein, die Familiengesundheit zu fördern und die Angehörigen zu unterstützen. Primär ist die Familienlotsin zentrale Ansprechpartnerin für Angehörige, Patient*innen sowie Personen, die ambulant oder stationär beteiligt sind. Die Lotsin dient als Schnittstelle beziehungsweise Bindeglied und unterstützt bei allen Anliegen rund um das Thema Familiengesundheit und Angehörige.
Zu den zentralen Aufgaben der Familienlotsin zählen unter anderem:
- Screening von ambulanten und stationären Patient*innen bezüglich der Familiengesundheit und Bedarfserhebung von Angehörigen
- Erhebung und Auswertung von Daten bezüglich der Angehörigenkontakte und Vermittlung an Behandlungsangebote
- Vermittlung und Koordination von Behandlungs- und Begleitangeboten durch die Mitglieder der AG Familiengesundheit
- Übernahme der Telefonsprechstunde als Schnittstellen- beziehungsweise Koordinationsfunktion (unterstützt durch die Mitglieder der AG Familiengesundheit)
- Teilnahme an Angehörigengruppen und Veranstaltungen zum Thema Familiengesundheit (unter anderen Selbsthilfegruppen oder der Heidelberger Trialog, der das Zusammentreffen von Patient*innen, Angehörigen und Mitarbeitenden in der psychosozialen Versorgung fördert)
- Koordination zwischen Anbieter*innen des sozialen Unterstützungssystems und der stationären beziehungsweise ambulanten Behandlung
- stetige*r Ansprechpartner*in und (aktive) Einbindung von Angehörigen beziehungsweise der Familie
- Aktualisierung der Website sowie Planung von Veranstaltungen
Die Implementierung der Familienlotsin im ZPM in Heidelberg markiert einen maßgeblichen Fortschritt, um die Betreuung von Angehörigen zu optimieren. In den ersten Monaten nach der Einführung wurde offensichtlich, dass nur begrenzte Zeitressourcen zur Verfügung stehen, um mit Angehörigen in der täglichen Praxis zu arbeiten. Die Familienlotsin schließt nun erfolgreich diese Versorgungslücke. Angehörigen aller Altersklassen kann bei Belastungen, die aufgrund der psychosozialen Erkrankung eines Familienmitglieds hervorgerufen werden, ein passendes und ortsnahes Angebot unterbreitet werden. Die Wirkung der Familienlotsin im gesamten Zentrum wird als äußerst positiv wahrgenommen und als bedeutende Entlastung in der Zusammenarbeit mit Angehörigen empfunden. Etwaige Bedenken hinsichtlich möglicher Überschneidungen mit dem Arbeitsfeld der Sozialarbeit konnten durch eine intensive Zusammenarbeit im Vorfeld erfolgreich ausgeräumt werden. Es kann bereits jetzt ein erstes positives Feedback und ein erheblicher Mehrwert durch die Einführung einer Familienlotsin am ZPM festgestellt werden, der in der Zukunft weiter ausgebaut werden soll.
Weitere Informationen, Kontakt
Quellen:
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (2009): Familiengesundheit. Ein neues Handlungsfeld für Pflegende und Hebammen. Berlin. Online >> hier verfügbar
Scheiner C, Burak E. Familienlotsin – psychosoziale Unterstützung für die ganze Familie. Psych. Pflege Heute 2024; 30: 230–236