19.12.2022…

INTEGRATE-ATMP: Konsortialprojekt will effiziente Versorgungsstrukturen für innovative Therapien schaffen

Dresdner Teams treffen sich mit Forschenden aus dem Heidelberger Uniklinikum zum Kick-off-Meeting.

Foto: Uniklinikum Dresden / Kirsten Lassig

Dresdner Uniklinikum ist Konsortialpartner des mit 13,6 Millionen Euro geförderten Projekts „INTEGRATE-ATMP“. Neuropädiatrie und Hämatologie werden bei Vor- und Nachsorge von Gentherapie und CAR T-Zelltherapien unterstützt. Dresdner Teams treffen sich mit Forschenden aus dem Heidelberger Uniklinikum zum Kick-off-Meeting.

Ziel des neuen Konsortialprojekts „INTEGRATE-ATMP“ ist es, die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern, bei denen innovative Wirkstoffe der Gen- und Zelltherapie eingesetzt werden. Das unter Federführung des Universitätsklinikums Heidelberg laufende Projekt, für das auch das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden als einer von insgesamt neun universitären Partnern ausgewählt wurde, erhält in den kommenden vier Jahren insgesamt 13,6 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Im Mittelpunkt stehen die Einführung und Entwicklung verschiedener Instrumente, mit denen sich die Versorgung von Patientinnen und Patienten verbessern lässt, die diese neuartigen, innovativen Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products – ATMP) erhalten. Sie kommen unter anderem bei Erkrankungen zum Einsatz, für die es bisher keine oder nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten gibt. Dies sind unter anderem bestimmte Formen des Lymphdrüsenkrebses oder die Spinale Muskelatrophie (SMA) bei Kindern. Zum Projektauftakt für Dresden trafen sich Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Heidelberger Uniklinikum am Freitag, den 2. Dezember mit Teams aus der Medizinischen Klinik I und der Abteilung Neuropädiatrie der Uni-Kinderklinik.

Das „INTEGRATE“ in dem Projektnamen steht für die Integrierte Versorgung mit neuen Therapien durch Telemedizin, Empowerment (Wissenstransfer), Register, Arzneimittelsicherheit, strukturierte Therapiepfade und Erstattung. Möglich wird dies durch die in dem Projekt weiter strukturiertem und zwischen allen Zentren abgestimmten Behandlungspläne, mit denen sich die ambulante Vor- und Nachsorge inklusive deren Kostenerstattung standardisieren lassen. Zudem soll ein neu aufgesetztes ATMP-Register die Therapieerfahrungen mit ATMPs krankheitsübergreifend und -unabhängig erfassen. Dabei ist geplant, diese Dokumentation mit bereits bestehenden krankheitsspezifischen Registern zu verknüpfen. Diese Lösung soll in Zukunft auch auf neue ATMP-Zulassungen erweiterbar sein. Weiterer Bestandteil des „INTEGRATE-ATMP“ ist eine telemedizinische Kommunikationsplattform, die den direkten Austausch aller an der Behandlung Beteiligten sowie Institutionen erleichtern und zugleich Patientinnen und Patienten in ihrem Versorgungsalltag entlasten wird – auch dadurch, dass sie den Austausch mit ihren Behandlerinnen und Behandlern flexibel gestaltet. Zudem soll die telemedizinische Plattform mit dem Register zusammenwirken und ein strukturiertes Management möglicher unerwünschter Nebenwirkungen von ATMPs ermöglichen. „Dieses bundesweite Projekt zeigt, wie es gelingen kann, zwei Herausforderungen der Universitätsmedizin in einem standortübergreifenden Projekt zu meistern. Denn hochkomplexe, innovative Therapien sowie die Behandlung seltener Erkrankungen stellen für einzelne Institutionen eine große finanzielle wie personelle Belastung dar“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstands des Dresdner Uniklinikums. „Das Konzept ‚INTEGRATE-ATMP‘ überzeugt hierbei nicht nur durch den Ansatz, bereits in einer frühen Phase die Vor- und Nachsorge bundesweit zu vereinheitlichen und mit einer entsprechenden Regelung der Kostenerstattung zu versehen, sondern parallel eine telemedizinische Plattform zu schaffen, die auch Patientinnen und Patienten nutzen können. Das Dresdner Uniklinikum kann durch die Mitarbeit an dem Projekt seine Kompetenzen in den Bereichen Telemedizin, Netzwerkarbeit und interdisziplinärer Zusammenarbeit ebenso einbringen wie seine wissenschaftliche Exzellenz auf den Gebieten der Onkologie und der neurodegenerativen Erkrankungen.“

Der Begriff „Arzneimittel für neuartige Therapien“ – englisch Advanced Therapy Medicinal Products oder ATMP – fasst eine Gruppe innovativer Wirkstoffe zusammen, die entweder aus Nukleinsäuren oder Zell- beziehungsweise Gewebeprodukten bestehen. Zum einen sind dies aus Nukleinsäuren aufgebaute Gentherapeutika. Mit ihnen lassen sich entweder defekte oder dysfunktionalen Gene ersetzen, reparieren, entfernen oder regulieren. Diese Medikamente werden beispielsweise bei der Behandlung der Spinalen Muskelatrophie eingesetzt. Die zweite Gruppe der ATMP wird aus Zellen oder Geweben hergestellt, die zum Teil genetischen Veränderungen unterzogen werden. So können zusätzliche Funktionen auf die Zellen oder das Gewebe übertragen werden. Dies sind zum Beispiel CAR T-Zellen, mit denen Krebszellen attackiert werden können. ATMP sind damit individuell auf Patientinnen und Patienten abgestimmte Arzneimittel, die eine gezieltere Behandlung, im besten Fall Heilung von angeborenen oder erworbenen Erkrankungen ermöglichen.

„INTEGRATE-ATMP“ schlägt auch im Dresdner Uniklinikum interdisziplinäre Brücke
Prof. Maja von der Hagen, Leiterin der Abteilung  Neuropädiatrie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und Dr. Malte von Bonin, Oberarzt der Medizinischen Klink I, stehen für zwei ganz verschiedene Fachbereiche, die bisher nur sehr wenige Anknüpfungspunkte hatten. Mit dem Aufkommen von ATMPs änderte sich das in den vergangenen Jahren. Die Anwendung dieser innovativen Medikamente bedeutet eine große Herausforderung für die Behandlungsteams. Das liegt unter anderem an der relativ geringen Zahl an Patientinnen und Patienten – so ist die spinale Muskelatrophie mit einer Inzidenz von 1:8.000 bis 1:10.000 Neugeborene eine seltene Erkrankung – sowie an den sehr komplexen, von der Vorbereitung der Therapie bis zur Nachsorge reichenden Vorgehensweisen. Bisher wurden die Kosten der Gabe dieser Therapeutika von den Krankenkassen nur per Einzelfallentscheidung finanziert. Die Leistungen der aufwändigen Vor- und Nachsorge ließen sich nur mit der allgemeinen Hochschulambulanzpauschale abrechnen. Im Rahmen von „INTEGRATE-ATMP“ wird nun mit der Techniker-Krankenkasse als Konsortialpartner ein Selektivvertrag nach §140a des fünften Sozialgesetzbuchs ausgehandelt.

Wie das Universitätsklinikum Heidelberg ist das Dresdner Uniklinikum eines der Vorreiterinstitutionen bei der Anwendung von ATMPs. So war die Medizinische Klinik I von Anfang an mit dabei, als die CAR T-Zell-Therapie in Deutschland eingeführt wurde und ist hierfür seit 2018 zertifiziert. Ähnlich ist es mit dem Bereich der Neuropädiatrie. Mit der Verfügbarkeit der Genersatztherapie mit „Zolgensma“ gegen Spinale Muskelatrophie (SMA) wurden bereits Kinder vor der Zulassung behandelt. Das deutschlandweit erste Kind in Heidelberg und das zweite – „Baby John“ – im Dresdner Uniklinikum. Auch wenn an der Dresdner Uni-Kinderklinik jährlich lediglich drei bis fünf von SMA betroffene Kinder mit der Genersatztherapie behandelt werden, bleibt der personelle und zeitliche Aufwand bei der Versorgung dieser Mädchen und Jungen erheblich. Das liegt auch daran, dass der G-BA eine Nachsorge über 15 Jahre und sowie danach die Transition vorgibt und dass die Behandlung mit Ausnahme der Finanzierung des sehr teuren Medikaments gegen die genetische neurologische Erkrankung nicht adäquat bezahlt wird. Ohne die Genersatztherapie würden die Kinder bereits in den ersten Lebensjahren schwerste Bewegungseinschränkungen erleiden oder versterben. „Wenn das Projekt ‚INTEGRATE-ATMP‘ erfolgreich ist, kann in Zukunft der bisherige Vergütungsweg im besten Fall abgelöst werden. Denn aktuell lässt sich die von der universitären Medizin geleistete Versorgung bei weitem nicht kostendeckend über den Hochschulambulanzvertrag oder die Sozialpädiatrischen Zentren abrechnen. Wir hoffen, dass es mit der ‚INTEGRATE-ATMP-Jahrespauschale‘ gelingt, die notwendige Transparenz und entsprechende Finanzierung der spezialisierten Nachsorge zu erzielen, um sie für alle Behandlungszentren gleich aufsetzen zu können.“, sagt Prof. Maja von der Hagen, Leiterin der Abteilung Neuropädiatrie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin.

Projekt schafft wissenschaftliche Grundlage zur Nachsorge bei der CAR T-Zell-Therapie
Das Dresdner Uniklinikum ist eines von derzeit zwei Zentren in Sachsen, die die CAR T-Zell-Therapie anbieten. Davon profitieren jährlich 30 bis 50 Patientinnen und Patienten mit bösartigen Erkrankungen des lymphatischen Systems – Lymphdrüsenkrebs – die eine CAR T-Zell-Therapie in der Medizinischen Klinik I erhalten. „Diese Form der Therapie ist sehr komplex und bedarf in der Nachsorge einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle“, sagt Dr. Malte von Bonin: „Unsere Patienten leiden nach der eigentlichen Therapie unter einer Immunschwäche mit erhöhter Infektionsneigung und zum Teil auch längerfristig an einer Blutarmut.“ Bisher gibt es keine bundesweiten Standards für die Versorgung von Krebskranken nach einer CAR T-Zelltherapie. Die Akteure verfahren hier erfahrungsbasiert. Eines der Ziele des „INTEGRATE-ATMP“-Projekts ist es deshalb, eine wissenschaftliche Grundlage für diese Behandlungsschritte zu schaffen. Es soll geklärt werden, in welchem Intervall Nachsorgeuntersuchungen standardmäßig erfolgen und welche Werte dabei erhoben werden müssen. Auch geht es um die Frage, ob und wenn ja welche Arzttermine telemedizinisch abgedeckt werden können. Dabei liegt der Fokus des Projekts nicht nur darauf, das medizinische Behandlungsergebnis weiter zu verbessern, sondern auch die Lebensqualität der Betroffenen.

Das Dresdner Uniklinikum ist neben der Charité als einziges Krankenhaus in den neuen Bundesländern an dem Projekt „INTEGRATE-ATMP“ beteiligt. Die besondere Expertise Dresdens im Bereich CAR T-Zellen zeigt sich auch in der Beteiligung am Zukunftscluster „SaxoCell“, das darauf abzielt, lebende Arzneimittel wie die CAR T-Zell-Therapie künftig für deutlich mehr Patienten verfügbar zu machen.

Fakten zu „INTEGRATE-ATMP“

  • Projektlaufzeit: vom 1. Oktober 2022 bis zum 30. September 2026 (vier Jahre)
  • Beteiligt sind neun deutsche Universitätsklinika (Charité Berlin, Dresden, Erlangen, Essen, Frankfurt, Hamburg, Heidelberg, Klinikum der Universität München, Tübingen). Beteiligt sind mit Ausnahme des Uniklinikums Frankfurt jeweils die Fachgebiete Hämato-Onkologie und Neuropädiatrie.
  • Weitere Konsortialpartner sind das Deutsche Register für Stammzelltransplantation e. V., das Institut Frauengesundheit – Institute Woman’s Health GmbH sowie die Techniker Krankenkasse.
  • Das Projekt wird mit 13,6 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert. Davon fließen 500 000 Euro direkt in den Standort Dresden.
  • Die Studie ist nicht randomisiert, das heißt, dass alle teilnehmenden Patientinnen und Patienten von den möglichen Vorteilen der bundesweiten Abstimmung profitieren können.
  • Die ersten Patientinnen und Patienten werden ab Januar für das Projekt rekrutiert.

    Quelle: PM - 2.12.2022 Universitätsklinikum Carl Gustav Carus